# taz.de -- Gebären in Corona-Zeiten: Mutterseelenallein im Kreißsaal
       
       > Einige Kliniken wollen bei der Geburt keine Begleitperson mehr zulassen.
       > Für Schwangere ist das beängstigend – auch weil es an Hebammen fehlt.
       
 (IMG) Bild: In der Geburtshilfe gibt es momentan noch größere Engpässe als sonst
       
       Die [1][Geburt ihres Kindes] hat sich Jeniffer Guderian ganz anders
       vorgestellt. Die Schwangerschaft der 26-Jährigen war unbeschwert, „ich habe
       Freunde getroffen und war viel draußen“. Zusammen mit ihrem Mann
       informierte sie sich über verschiedene Kliniken und entschied sich für eine
       mit Kinderstation. „Wir wollten nach der Geburt ein Familienzimmer nehmen“,
       sagt Guderian, die kurz vor der Entbindung steht, am Telefon. „Natürlich
       wollte mein Mann die ganze Zeit dabei sein. [2][Vor Corona] haben wir uns
       das so schön ausgemalt.“
       
       Nun hat sich der Plan geändert – gezwungenermaßen. Guderian,
       Psychotherapeutin im Mutterschutz, und ihr Mann wohnen in Sankt Augustin in
       der Nähe von Bonn. Vor zwei Wochen teilten die Bonner Kliniken mit, dass
       Begleitpersonen wegen der Coronapandemie nicht mehr in die Kreißsäle
       dürfen. Damit waren sie nicht die einzigen: Bundesweit gingen Kliniken wie
       das Potsdamer Ernst von Bergmann Klinikum oder das Rostocker Klinikum Süd
       diesen Schritt.
       
       „Ich war total panisch, als ich das gehört habe“, sagt Guderian, deren
       anstehende Geburt ihre erste sein wird. „Ich habe mich extrem hilflos
       gefühlt.“ Um sich selbst machte sie sich Sorgen: ihr Kind ist groß, das
       Risiko eines Kaiserschnitts besteht. Um ihren Mann sorgte sie sich, der
       extrem enttäuscht war. Und um ihr Kind außerdem: „So viel Stress kurz vor
       der Geburt“, sagt sie, „ist nicht gut.“
       
       Guderian und ihr Mann hatten Glück im Unglück: Das Bonner Marienhospital,
       in dem sie angemeldet sind, lockerte das Verbot nach heftigen Protesten.
       Zwar ist das Familienzimmer für Guderian und ihren Mann vom Tisch und auch
       Besuch auf der Wochenbettstation ist in Coronazeiten in vielen Klinken
       untersagt oder die Besuchszeiten sind stark eingeschränkt. Zumindest aber
       bei der Geburt kann Guderians Mann voraussichtlich dabei sein.
       
       ## Keine einheitlichen Regeln
       
       Das wird längst nicht bei allen Geburten der Fall sein, die in den
       kommenden Wochen anstehen. Zwar ist die Situation in den rund 600
       bundesweiten Geburtsstationen in Kliniken derzeit unterschiedlich geregelt.
       Doch auf die eine oder andere Weise stellen sich alle Häuser auf
       verstärkten Infektionsschutz ein. Damit eine Begleitperson dabei sein darf,
       muss diese grundsätzlich symptomfrei sein. Bei einem Kaiserschnitt lassen
       viele Kliniken, darunter auch die Bonner, allerdings auch dann keine
       Begleitung mehr zu.
       
       In manchen Kliniken dürfen Begleitende erst dann in den Kreißsaal, wenn die
       Geburt unmittelbar bevorsteht. Eine normale Geburt dauert zwischen 4 und 18
       Stunden, bei schwierigem Verlauf auch länger. Andere Kliniken, darunter das
       Potsdamer Ernst von Bergmann Klinikum, bleiben bei dem strikten Verbot: „Um
       das Infektionsrisiko für Patientinnen, Neugeborene und Mitarbeitende gering
       zu halten, gilt im Kreißsaal ein Besuchs- und Begleitverbot“, heißt es auf
       der Website. Für eine Stellungnahme war die Klinik nicht zu erreichen.
       [3][Laut den Potsdamer Neuesten Nachrichten ] kämpft sie nun selbst gegen
       einen Ausbruch des Coronavirus in der geriatrischen Abteilung.
       
       Für werdende Eltern ist diese Situation enorm belastend. „Viele Frauen, die
       momentan bei uns anrufen, berichten von Panikattacken und Verzweiflung“,
       sagt Katharina Desery von der Elterninitiative Mother Hood. „Die wissen
       nicht, worauf sie sich einlassen – auch, weil sich die Situation je nach
       Infektionslage von heute auf morgen verändern kann. Diese Unsicherheit ist
       für viele eine Katastrophe.“ Wie viele Kliniken im Augenblick welche
       Verbote aussprechen, könne man nicht sagen. Zwar orientiere sich die
       Mehrheit der Häuser an dem, was die Länder jeweils vorgeben. Doch
       entscheiden würden sie allein. Und nach aktueller Lage.
       
       ## Gebären mit Partner:in
       
       Desery kritisiert die Entscheidung, keine Begleitperson zuzulassen,
       vehement. „In Zeiten des Hebammenmangels bedeutet das, dass Frauen unter
       der Geburt über weite Strecken allein sein werden.“ Eine Begleitung sei
       nicht nur psychologisch, sondern auch medizinisch nötig: Sie führe
       erwiesenermaßen zu weniger medizinischen Eingriffen. „Die Kliniken müssen
       das überdenken“, fordert Desery. „Gebären mit Partner:in muss möglich sein.
       Das gilt auch für den Kaiserschnitt.“
       
       Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert „eine Begleitperson der Wahl“,
       um eine sichere Geburt zu gewährleisten. Und auch hiesige
       Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und
       Geburtshilfe empfehlen Begleitpersonen: „Die PartnerInnen im Kreißsaal
       erfüllen wichtige Funktionen unter der Geburt. Nicht zuletzt leisten sie in
       diesem besonders vulnerablen Moment essenziell wichtigen mentalen Beistand
       für die Gebärenden“, heißt es auf deren Website. Eine Petition mit derzeit
       knapp 70.000 Unterschriften bezeichnet den Zwang, ohne Begleitperson in die
       Geburt zu gehen, als „seelische Grausamkeit“.
       
       Doch eine bundesweit einheitliche Regelung ist zumindest nach aktuellem
       Stand nicht geplant: Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf
       Nachfrage auf die Zuständigkeit der Länder, was Geburtsmedizin und
       Krankenhausplanung angeht.
       
       Die große Mehrheit der Frauen richtet sich, wie Desery sagt, auch deshalb
       zumindest darauf ein, nur für möglichst kurze Zeit in der Klinik zu sein –
       weshalb wiederum Hebammen in der Vor- und Nachsorge stärker gefragt sind.
       „In der Krise zeigt sich, wovor wir seit Jahren warnen“, sagt die
       Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands, Ulrike Geppert-Orthofer: „Das
       Limit ist längst überschritten.“
       
       Die Rückmeldung, die sie derzeit bekomme, sei: [4][In der Geburtshilfe
       herrschten noch größere Engpässe als sonst.] Und sowohl in den Kliniken als
       auch in der ambulanten Vor- und Nachsorge werde sich auf Dauer nicht
       vermeiden lassen, dass auch Hebammen erkranken. „Wenn die über Wochen
       ausfallen, ist noch unklar, wie wir diese Lücken schließen können.“ Der
       Verband versucht deshalb, alle Kräfte zu mobilisieren: „Wir möchten alle
       Kolleginnen bitten, ihre persönlichen Kapazitäten zu prüfen“, heißt es auf
       der Website, „und sich gegebenenfalls zur Arbeit in den Kliniken zur
       Verfügung zu stellen.“
       
       Zwar setzen gerade im ambulanten Bereich viele Hebammen während Corona
       ohnehin schon auf Video, sowohl was Geburtsvorbereitungskurse als auch was
       die Nachsorge angeht. Doch das ist eine einschneidende Veränderung.
       
       „Die Betreuung durch eine Hebamme lebt davon, dass man sich sieht und
       anfasst“, sagt etwa Katharina Kerlen-Petri, die in Berlin-Neukölln
       freiberuflich mit Schwangeren und Wöchnerinnen arbeitet. „Jetzt gibt es die
       Empfehlung, die Besuche auf ein Minimum zu reduzieren. Das heißt für mich,
       dass ich entgegen meinem Berufsverständnis arbeite.“ Zudem geht nicht alles
       virtuell: Eine Frau, die ihr erstes Kind bekommen hat, in den ersten Tagen
       per Video zu betreuen, sei schlicht nicht möglich.
       
       ## Desinfektion im Backofen
       
       Die drängendste Baustelle der Hebammen derzeit ist es, Schutzkleidung zu
       bekommen – auch im freiberuflichen Bereich, der bei der Verteilung schlicht
       nicht mitgedacht wurde. „In Krisensituationen wie jetzt“, kritisiert
       Geppert-Orthofer, „hat die Bundesregierung die Hebammen nicht auf dem
       Schirm.“
       
       Für Kerlen-Petri bedeutet das, sich selbst um ihren Schutz und den der
       Schwangeren kümmern zu müssen. „Ich habe in drei Apotheken Mundschutze und
       Handschuhe bestellt“, sagt sie. „Bisher ist noch nichts gekommen. An
       Schutzkleidung ist sowieso nicht zu denken.“ Auch der Berliner Senat habe
       nur gesagt, es gebe leider nichts mehr. Die fünf Mundschutze, die sie hat,
       hat sie von einer befreundeten Ärztin bekommen. Die desinfiziere sie im
       Backofen und mit Desinfektionsmittel immer wieder neu, so gut es eben geht.
       
       Kerlen-Petri versucht sich auf die kommenden Wochen einzustellen. Sie hat
       sich in ihrem Bezirk mit anderen Hebammen zusammengeschlossen, um
       diejenigen Frauen auffangen zu können, die sehr bald nach der Geburt die
       Klinik verlassen wollen oder müssen. „Das wird alles eine Art
       Notfallbetreuung“, sagt sie.
       
       Auch Jeniffer Guderian wird, wenn alles gut geht, schneller wieder zu Hause
       sein, als ihr lieb gewesen wäre. Um ihrem Mann zu ermöglichen, bei der
       Geburt dabei zu sein, lebt das Paar seit zwei Wochen in selbst gewählter
       Quarantäne, Freund:innen kaufen für sie ein. „Wenn mein Mann oder ich
       Symptome entwickeln, müsste ich doch noch allein in den Kreißsaal“,
       fürchtet Guderian. Dasselbe gilt, sollte die Geburt ein Kaiserschnitt
       werden.
       
       Verläuft alles wie geplant, wollen Guderian und ihr Mann „so schnell wie
       möglich wieder nach Hause, hoffentlich noch am selben Tag. Das hätte ich
       früher nie gewollt.“ Nun aber habe sich ihre Einstellung zu Krankenhäusern
       verändert. Wo sie zuvor damit gerechnet hatte, gut aufgehoben zu sein, ist
       durch Corona „das Vertrauen in den Ort weniger geworden“.
       
       Und dennoch: Ihre Hebamme konnte sich auf die Situation einstellen und wird
       Guderian auch nach ihrer Heimkehr betreuen. „Ich wünsche mir, dass wir die
       Anfangszeit als Familie genießen können“, sagt Guderian. „Trotz Corona.“
       
       1 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Hebammenkrise-in-Berliner-Kreisssaelen/!5442896
 (DIR) [2] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
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 (DIR) [4] /Geburtshelfer-gegen-Hebammenmangel/!5658073
       
       ## AUTOREN
       
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