# taz.de -- Die Wahrheit: Hauptstadt der Metaphern
       
       > Ein Spaziergang durch die Hauptstadt bietet viel. Auch eine Sprache, die
       > nicht immer ganz niet- und wackelfest ist. Schon gar nicht auf Plakaten.
       
 (IMG) Bild: Wichtige Aufgabe für Spaziergänger: Kadaver sammeln
       
       „Düfte sind die Gefühle der Blumen“, steht über einem der vielen
       U-Bahn-Aufgänge des fast verlassen daliegenden Berliner Hauptbahnhofs.
       Daneben sieht man das Bild eines grimmig dreinschauenden Mannes, der einen
       Parfümflakon umfasst, als wolle er ihn gleich zerdrücken und ärgere sich
       jetzt schon über die Scherben in seiner Handinnenfläche.
       
       Auf der Zeitschrift der Berliner Verkehrsbetriebe dagegen ist der
       Modedesigner Guido Maria Kretschmer abgebildet, unter ihm steht „Mode ist
       die Haut der Seele“. Und auf einem Plakat des Fußballvereins Hertha BSC ist
       ein muskulöser, Flagge schwenkender Arm zu sehen, auf dem eine
       beeindruckende Ader hervortritt. Auch dieser Arm sieht aus, als würde er
       etwas zerdrücken – die Fahnenstange nämlich. Zerdrücken ist offenbar gerade
       Trend unter gelangweilten Parfüm- oder Flaggenträgern in der Hauptstadt.
       
       Unter der Krampfader steht „Spree-Athen lebt blau-weiß“, obwohl der Spruch
       eigentlich ja „Berlin ist das Athen an der Spree, und das Leben hier hat
       die Farben weiß und blau“ heißen müsste, um in die Reihe zu passen.
       Spree-Athen ist nicht nur die Stadt der leichten Selbstüberschätzung,
       sondern auch der merkwürdigen Metaphern und haltlosen Behauptungen.
       
       Aber in Berlin sind Fakten eben nur der Kaviar auf der Kirsche des Lebens.
       Selbst wenn die Stadt in der Krise leergefegt ist. Auf den U-Bahn-Monitoren
       beispielsweise werden die wildesten Behauptungen verbreitet, ohne dass
       jemand sie nachprüfen könnte. In einer Rubrik, die ungefähr „Berlin für
       Besserwisser“ heißt, wird die Frage „Wie viele Taxis gibt es in Berlin?“
       gestellt. Die Antwort ist zwar völlig egal, es sind viele, aber Taxis sind
       der Pulsschlag im Venensystem des Berliner Verkehrs. Und die Bahnen und
       Busse der BVG sind die Adern und das Herz der Stadt. So hätten die
       Verkehrsbetriebe das jedenfalls gern, aber selbstverständlich ist das
       Blödsinn.
       
       ## Die Berliner Luft, ein ganz besonderer Duft
       
       In den Adern Berlins riecht es übrigens immer noch nicht gut. Gestank ist
       nämlich der Duft der U-Bahn. Aber was sind Gefühle, wenn sie gerade nicht
       duften? Gefühle sind die Waffen der Berliner. Mit Gefühlen können sie sich
       vor Eindringlingen schützen – auch vor Viren. Besonders gern schützen sich
       die Berliner, indem sie wütend und laut werden.
       
       Vor Kurzem hat mich eine alte Berlinerin sehr lange angeschrien, nachdem
       ich gefragt hatte, ob ich ihre Tasche tragen soll. Ihr Hauptkritikpunkt
       war, wenn ich das richtig verstanden habe, dass ihr mein Rucksack zu
       hässlich war. Aber Rucksäcke sind immer hässlich. Sie sind die Pickel auf
       der Haut der Seele.
       
       Und die Blumen – welche verrutschte, rätselhafte Metapher hat Berlin für
       Blumen? Blumen sind die Strafe Gottes! Das steht zwar nicht am Hauptbahnhof
       – dem Epizentrum der Berliner Metaphernproduktion –, aber das behaupte ich.
       Zumindest für uns Allergiker stimmt es ja auch.
       
       7 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Laura Brinkmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) U-Bahn Berlin
 (DIR) Metapher
 (DIR) Sprachkritik
 (DIR) Spaziergang
 (DIR) Museen
 (DIR) Videokonferenz
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Berlin
 (DIR) Café
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Interaktion mit Laternenpfählen
       
       Die seit der Pandemie neue Trendsportart Spazierengehen fordert ihre Opfer:
       die Gesellschaft, die Wirtschaft und uns alle.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Zwischen gebrochenen Herzen
       
       Die merkwürdigsten Museen der Welt (6). Heute: Das der vergangenen Liebe
       gewidmete Museum der zerbrochenen Beziehungen in Zagreb, Kroatien.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Die Schrankwände der anderen
       
       Entsetzen macht sich breit in den Videokonferenzen: Was zur Hölle steht da
       hinter den Kollegen? Und warum sind Schrumpfköpfe im Fenster zu sehen?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Verdünntes Nichts
       
       Wenn die Gespenster der Kinderkrankheiten auftauchen, verordnet manch
       resolute Ärztin homöopathische Mittel. Was würde Ibsen dazu sagen?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Obststörung am Straßenrand
       
       Tagebuch einer Verkehrsrentnerin: Aus dem städtischen Nahkampf nimmt man
       außer schlechter Stimmung nur wenig mit nach Hause.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Das Loch im Geschehen
       
       Eine auf den ersten Blick unschuldige Szene in einem Café. Wie in einem
       Song. Es wird Kaffee getrunken, Kuchen bestellt. Aber wer ist die Täterin?