# taz.de -- 40 Jahre Moskauer Olympiaboykott: Spielball der Supermächte
       
       > Was die Verschiebung der Olympischen Spiele von Tokio 2020 mit dem
       > Boykott der Sommerspiele 1980 in Moskau zu tun hat – und was nicht.
       
 (IMG) Bild: Opfer des Kalten Kriegs: Sportler gegen den Boykott der Spiele in Moskau in der Westfalenhalle
       
       „Es tut weh, wenn man könnte und nicht darf“, hat Ulrike Nasse-Meyfarth
       dieser Tage in einem Interview gesagt und damit eine Verbindung angedeutet,
       die zwischen der Verschiebung der Olympischen Sommerspiele von Tokio und
       dem Boykott von [1][Moskau] besteht. Athletinnen und Athleten hätten in den
       vergangenen Wochen so intensiv und fokussiert trainiert und alles auf das
       Großevent im Sommer ausgerichtet, dass es ihnen nun schwerfalle, ihr
       Training auf den neuen Termin im kommenden Sommer zu adjustieren, sagte die
       ehemalige Hochspringerin.
       
       In der Tat: Das mag nicht einfach sein, auch weil auf absehbare Zeit wegen
       der Coronakrise keine Wettkämpfe stattfinden werden. Aber die Sportler sind
       heute in einer komfortableren Lage als vor 40 Jahren. Sie wissen,
       vorausgesetzt die Sars-CoV-2-Pandemie wird eingedämmt und die Virologen
       entwickeln alsbald einen Impfstoff, dass sie im Sommer nächsten Jahres eine
       neue Chance bekommen werden. So etwas lässt sich mental leichter
       verarbeiten als eine Komplettabsage aus politischen Gründen, die aus
       Sportlern ohnmächtige Akteure in einem miesen Spiel der Supermächte macht
       und sie obendrein gegeneinander ausspielt, weil die einen olympische
       Medaillen gewinnen können und die anderen nicht.
       
       ## Vorgefestigte Meinungen
       
       Viele bundesdeutsche Sportler waren damals auf dem Höhepunkt ihrer
       Leistungsfähigkeit, Zehnkämpfer Guido Kratschmer zum Beispiel, Hochspringer
       Dietmar Mögenburg oder Mittelstreckler Thomas Wessinghage. Wessinghage war
       damals Athletensprecher und traf im Zuge der Krise Politiker auf höchster
       Ebene, darunter SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Wessinghage war nicht nur
       entsetzt über den Opportunismus führender Sportfunktionäre, sondern auch
       darüber, wie „vorgefestigt“ die Meinungen im Bundeskanzleramt waren.
       
       Die Politik gab die Richtlinie vor, der deutsche Sport folgte: Am 15. Mai
       1980 stimmte das Nationale Olympische Komitee (NOK) der Bundesrepublik mit
       59:40 Stimmen für den Boykott, dem sich einige, aber längst nicht alle
       westlichen Staaten anschlossen. Am Ende verweigerten weltweit über 60 NOKs
       die Reise nach Moskau, aus unterschiedlichen Gründen. Andere fuhren hin zu
       den Spielen wie Athleten aus Großbritannien, Spanien, Frankreich oder
       Portugal, die eine subtilere Form des Protests gegen den Ende Dezember 1979
       erfolgten Einmarsch der Roten Armee in Afghanistan wählten: Ihre
       Delegationen traten unter der olympischen Flagge an.
       
       ## Zäsur in der Sportgeschichte
       
       Trotz einer nicht enden wollenden Reihe von Boykotten in der olympischen
       Geschichte bedeutet der 1980er Boykott des Westens eine Zäsur. Nicht nur,
       dass er vier Jahre später in Los Angeles eine Retourkutsche der Sowjets und
       der mit ihnen verbandelten Staaten des Warschauer Pakts provozierte, der
       Sportwelt wurde auch klar, dass sie sich dem langen Arm der Politik durch
       geschicktes Taktieren zumindest formell entziehen muss. Und den Politikern,
       allen voran US-Präsident Jimmy Carter, dürfte aufgegangen sein, dass sie
       eine Grenze überschritten haben und ihre Gelüste auf Symbolpolitik lieber
       anderswo stillen sollten; sie tun es natürlich immer wieder, die
       Verlockungen im Eventsport sind einfach zu groß.
       
       Dennoch: Das Trauma des Doppelboykotts in der 1980ern hat die
       Sportlandschaft nachhaltig verändert. In diese Sphäre der ultimativen
       Sportmanipulation will man eher nicht mehr vorstoßen. Und auch das
       Internationale Olympische Komitee (IOC) hat seine Lehren daraus gezogen,
       nicht zuletzt, weil es in [2][Thomas Bach] einen ehemaligen Fechter an
       seiner Spitze hat, der vom Boykott persönlich betroffen war.
       
       In einem Interview mit der Welt am Sonntag verriet er kürzlich, dass
       Sportlerinnen und Sportler selbst dann die Chance bekämen, an Olympischen
       Spielen teilzunehmen, wenn das NOK des jeweiligen Landes die Teilnahme
       verweigert. „Nach unserer Auffassung kann eine wie auch immer
       zusammengesetzte Gruppe nicht per Mehrheit über dieses Recht eines
       individuellen Athleten entscheiden“, sagte er. Manchmal kann auf
       politischem Mist auch etwas Gutes gedeihen.
       
       16 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=ArRYdfWazs8
 (DIR) [2] https://www.jensweinreich.de/2016/07/25/thomas-bach-die-vielfaeltigen-lebenssachverhalte-des-unpolitischsten-deutschen-ioc-praesidenten/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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