# taz.de -- Professorin über WHO und Trump: „Mehr Handlungsspielräume“
       
       > Die Professorin Anna Holzscheiter spricht über die Bedeutung der WHO für
       > den globalen Umgang mit der Pandemie und Trumps haltlose Kritik.
       
 (IMG) Bild: Ein Rettungssanitäter in Nairobi trägt Schutzkleidung um eine Coronavirus-Infektion zu verhindern,
       
       taz: Frau Holzscheiter, der US-Präsident droht der
       Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Mittelkürzung wegen einer
       vermeintlich verfehlten Informationspolitik und unangemessenen
       „China-Freundlichkeit“. Zu Recht?
       
       Anna Holzscheiter: Wir haben es hier mit einem Präsidenten zu tun, der zum
       einen massive Fehler bei seiner Antwort auf die [1][Pandemie] begangen hat
       und zum anderen allen internationalen Organisationen – insbesondere den
       Vereinten Nationen – feindselig gegenübersteht. Warum sollten wir seine
       Kritik an der WHO ernst nehmen? Es ist einfach, das eigene Versagen auf
       eine internationale Organisation mit stark begrenzter
       Durchsetzungsfähigkeit abzuwälzen.
       
       Die WHO hat keine Fehler gemacht und immer angemessen gewarnt? 
       
       Tatsächlich ist es so, dass die WHO noch am 11. März 2020 dazu geraten hat,
       internationale Reisen nicht zu beschränken, mit dem Verweis darauf, dass
       Bewegungseinschränkungen von Menschen und Waren in epidemischen Situationen
       ‚ineffektiv‘ seien, zu Engpässen bei der Versorgung führen können und
       ‚negative soziale und ökonomische Folgen für die betroffenen Länder haben
       können‘. Dies jedoch angesichts der in vielen europäischen Ländern
       ergriffenen Reiseeinschränkungen als unterlassene Hilfestellung der WHO zu
       werten, ist in meinen Augen grotesk.
       
       Wie beurteilen Sie das aktuelle Auftreten der WHO in der Corona-Pandemie? 
       
       Ich bin mir sicher, dass viele Menschen, die die politischen Institutionen
       in der Corona-Pandemie beobachten, die WHO als unsichtbar bis unbedeutend
       einstufen würden. Wenn es um Informationen über den Verlauf der Pandemie
       geht, stehen nationale Gesundheitsinstitutionen – in Deutschland allen
       voran das Robert-Koch-Institut – und insbesondere die Datenbank der Johns
       Hopkins University im Vordergrund. Und das, obwohl die WHO seit ihrer
       Gründung das Mandat hat, vergleichbare und verlässliche Daten zur
       Gesundheit der Bevölkerung ihrer Mitgliedsstaaten zu sammeln, auszuwerten
       und zugänglich zu machen.
       
       Woran liegt diese mangelnde Wahrnehmung? 
       
       In meinen Augen sind nicht nur die WHO, sondern auch die anderen
       internationalen Organisationen im System der Vereinten Nationen momentan
       weitgehend ausgeblendet in der Corona-Krise. Das ist sicherlich auch dem
       stark nach innen gerichteten Blick der Krisenmanager und der medialen
       Darstellung geschuldet. Dennoch ist die WHO eine zentrale Institution in
       der Bewältigung der Gesundheitskrise – nicht zuletzt deshalb, weil sie seit
       ihrer Gründung ermöglicht, dass ihre 194 Mitgliedsstaaten sich über
       internationale und nationale Maßnahmen im Falle drohender Pandemien
       verständigt haben. Die vielen Maßnahmen, die wir nun alle am eigenen Leib
       erfahren können – und die Gleichförmigkeit der Maßnahmen, die wir in vielen
       von der Corona-Pandemie betroffenen Ländern beobachten können – sind auch
       Ergebnis eines langen Kommunikations- und Erfahrungsprozesses unter den
       Mitgliedsstaaten, die sie unter anderem unter Anleitung der WHO in
       nationale Pandemie-Pläne und Übungen übersetzt haben.
       
       Hat die WHO, anders als bei der Ebola-Epidemie 2014/2015 in Westafrika,
       diesmal frühzeitig reagiert und mehr Dinge richtig gemacht? 
       
       Die WHO war nach der Ebolakrise 2014/15 massiver Kritik ausgesetzt – sie
       habe zu spät gehandelt, zu spät gewarnt und zu spät eine sogenannte
       „gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite“ ausgerufen. Daraus
       hat die WHO viel gelernt – und ihren Handlungsspielraum in
       Gesundheitskrisen (wieder) ausgebaut. Dazu gehört auch, dass etliche
       Mitgliedsstaaten wieder mehr in den regelmäßigen Etat der WHO einzahlen und
       damit der WHO ein Stück Autonomie – insbesondere im Bereich der „outbreak
       and emergency response“ – zurückgegeben hat.
       
       Was macht die WHO denn in der aktuellen Krise richtig? 
       
       Die WHO hat auf jeden Fall sehr eindeutig, detailliert und konsistent auf
       die drohende Pandemie reagiert – und im Moment ist es ja auch die WHO, die
       kontinuierlich davor warnt, die Notfallmaßnahmen zu schnell zurückzufahren.
       Die WHO ist auch deshalb eine überaus wichtige internationale Organisation,
       weil sie eben [2][die globalen Dimensionen der Krise] nicht aus den Augen
       verliert und immer wieder darauf verweist, mit welchen Herausforderungen
       Länder mit schwachen Gesundheitssystemen auf unabsehbare Zeit kämpfen
       werden. Zugleich ist die WHO eine zwischen-staatliche Organisation, also
       eine Organisation, die nur soweit Handeln kann, wie es ihre
       Mitgliedsstaaten und ihr vergleichsweise geringes Budget zulassen. Sie ist
       eine politische Organisation, in der nicht nur einzelne Staaten um
       Einflussmöglichkeiten ringen, sondern auch zivilgesellschaftliche
       Organisationen sowie eine ganze Reihe finanzstarker privater Stiftungen und
       Firmen. Diese politischen Auseinandersetzungen führen dazu, dass die WHO
       mit ihren 194 Mitgliedsstaaten nicht genauso zielgerichtet, schnell und an
       den Verfahrensregeln vorbei reagieren kann, wie wir das in beispiellosem
       Ausmaß gerade in Ländern selbst mit demokratischer Verfassung beobachten
       können.
       
       Hat die WHO angesichts ihrer finanziellen wie personellen Schwäche derzeit
       eine Chance, eigene und wahrnehmbare Akzente zu setzen in der Bekämpfung
       der Pandemie? 
       
       Ja, die WHO kann Akzente setzen, insbesondere da, wo es ihr gelingt, die
       Corona-Epidemie in einen größeren Zusammenhang einzubetten. Corona eben
       auch als Pandemie der globalen Ungleichheit, der Milliarden von Menschen in
       ärmeren Ländern und Regionen der Welt schutzlos ausgesetzt sind – vor allem
       dort, wo schon andere Infektionskrankheiten wie Malaria, Tuberkulose und
       HIV weit verbreitet sind. Erst am Dienstag wurde in vielen Medien über
       einen WHO-Bericht zur Lage der Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger
       weltweit berichtet – ein starker Indikator dafür, dass die WHO die für die
       Corona-Krise unmittelbar relevanten Gesundheitsthemen, wie beispielweise
       die schlechten Arbeitsbedingungen und die Migration von Gesundheitspersonal
       oder auch die Gender-Ungleichheit im Gesundheitssektor beleuchtet, wichtige
       Daten erhebt und in Umlauf bringt.
       
       Wie sinnvoll ist eine immer wieder geforderte Reform der WHO? 
       
       Internationale Organisationen befinden sich im Prinzip in einem
       kontinuierlichen Reformprozess. Seit 1990 hat sich diese Dynamik in der WHO
       noch mal drastisch beschleunigt. Erst das Ende des Kalten Krieges, dann die
       HIV-Pandemie, ab 2000 der massiv wachsende Einfluss wirtschaftlicher und
       gesellschaftlicher Akteure in der WHO, jetzt die Zunahme autoritärer oder
       populistischer Regierungen. Wir haben gesehen, dass die Mitgliedsstaaten
       der WHO nach 2014/15 erkannt haben, dass sie der Organisation wieder mehr
       Handlungsspielraum ermöglichen müssen, um selbst für Epidemien gewappnet zu
       sein. Welche Richtung der Reformprozess nach der Corona-Krise nehmen wird,
       ist sehr schwer einzuschätzen – denn die systemischen Effekte dieses
       Weltereignisses sind ja bereits so stark, dass drastische Veränderungen der
       internationalen Beziehungen und internationaler Organisationen immer
       wahrscheinlicher werden.
       
       Was muss Deutschland tun, um die WHO zu stärken? 
       
       Die Bundesregierung unter Angela Merkel hat sich schon seit den frühen
       2000er Jahren sehr für eine Stärkung der WHO eingesetzt und zusätzliche
       Mittel für den regulären Haushalt der WHO bereitgestellt. Nicht nur die
       Regierungsparteien sind engagiert beim Thema globale Gesundheit.
       Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren als verlässlicher
       Kooperationspartner der WHO hervorgetan – immer mit dem Verweis darauf,
       dass die Bundesregierung sich zum Prinzip des Multilateralismus bekenne und
       den Stellenwert von Gesundheit auch in den Außenbeziehungen Deutschlands
       erkannt hat. Meine Hoffnung wäre es zum einen, dass Deutschland diese
       Haltung auch nach der Kanzlerschaft von Angela Merkel nicht aufgibt, und
       sich andererseits auch für Themen einsetzt, die gerade nichts mit
       Gesundheitssicherheit, Infektionskrankheiten und Epidemien zu tun haben,
       wie beispielsweise psychische Gesundheit, Hygiene, Frauengesundheit oder
       die Migration von Fachkräften. Es ist wichtig, dass wir die vielen
       Gesundheitsthemen nicht aus den Augen verlieren, die es auch jenseits eines
       allzeit beobachtbaren Fokus' auf Infektionskrankheiten gibt.
       
       Das deutsche Engagement zur Bekämpfung der Pandemie und zur Stärkung der
       WHO ist die eine Sache, der europäische Beitrag die andere. Welche
       europäischen Akzente braucht es? 
       
       Die Europäische Union wird momentan vor allem als eine Institution
       wahrgenommen, die die unabsehbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen
       einer erneuten Wirtschaftskrise innerhalb Europas und global abfedern soll.
       Wie wir in diesen Tagen sehen, gestaltet sich dies schwierig und die EU
       erlebt den größten politischen Stresstest in ihrer Geschichte. Vor der
       Corona-Pandemie hat sich insbesondere die Europäische Kommission im Bereich
       der globalen Gesundheit als weitere wichtige Spielerin in Stellung gebracht
       und mehrere Strategiepapiere verfasst. Ich würde mir wünschen, dass die
       Europäische Union auch die globale Verantwortung im Gesundheitsbereich
       nicht aus den Augen verliert und beispielsweise das Thema Gesundheit in
       ihren Partnerschaften mit Ländern des globalen Südens zu einem zentralen
       Bestandteil macht. Dazu gehört auch, die gesundheitlichen Aspekte der
       wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der EU und Ländern insbesondere in
       sub-Sahara Afrika stärker zu berücksichtigen.
       
       8 Apr 2020
       
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