# taz.de -- Gebauer über Corona im Globalen Süden: „Corona verschärft Ungleichheit“
       
       > Arme Länder sind mehr denn je auf gerechten Ausgleich angewiesen, um die
       > Coronakrise zu bewältigen, sagt Thomas Gebauer von medico international.
       
 (IMG) Bild: Feuerwehrmänner desinfizieren eine Straße in der äthiopischen Hauptstadt Addis Ababa
       
       taz: Herr Gebauer, die Industriestaaten mobilisieren gigantische
       Ressourcen, um die Folgen der Sars-CoV-2-Pandemie abzufangen. Was droht dem
       Globalen Süden, der diese Ressourcen nicht hat? 
       
       Thomas Gebauer: Schon vor Wochen hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres
       davor gewarnt, dass die Pandemie die ohnehin schon herrschende soziale
       Ungleichheit in der Welt weiter verschärfen wird. Im Süden ist die
       Coronakrise vor allem ein wirtschaftliches und soziales Problem.
       
       Was bedeutet das? 
       
       Hierzulande kann der Lockdown vielleicht wirtschaftlich abgefedert werden.
       Im Globalen Süden wird das nicht der Fall sein. Schon in den USA gibt es ja
       kein Kurzarbeitergeld. Wie sollen die wirtschaftlichen Folgen in Afrika
       abgefangen werden, wie in Asien? Kaum waren hier die Geschäfte dichtgemacht
       worden, kam es zur Stornierung von Aufträgen in den asiatischen
       Textilfabriken. In Pakistan wurden daraufhin unmittelbar Arbeiter
       entlassen. In Südafrika fordert die Regierung „Social Distancing“, in
       Indien herrscht eine Ausgangssperre. Wie sollen Tagelöhner in den Slums auf
       ihre Tätigkeit und Einkommenssicherung verzichten? Schon jetzt gibt es
       deshalb Konfrontationen zwischen armer Bevölkerung und Sicherheitskräften.
       
       Wird diese wirtschaftliche Dimension vernachlässigt und zu sehr auf die
       medizinische Seite geschaut? 
       
       Man darf das nicht gegeneinanderstellen. Auch die Gesundheitssysteme der
       Länder des Südens, die sich in einer fast schon permanenten Krise befinden,
       sind überlastet. Auch dort fehlt es an Schutzkleidung für Pflegende,
       Desinfektionsmittel, Aufklärungsmaterial. In somalischen Flüchtlingslagern
       fördern wir eine Organisation, die mit Wasserkanistern unterwegs ist, damit
       die Leute sich die Hände waschen können. In Deutschland wird ein
       Schutzschirm mit 122 Milliarden aufgespannt. Der Corona-Fonds, den die UN
       aufgelegt haben, soll gerade mal 2 Milliarden Dollar umfassen. Das ist ein
       Witz. Und es ist noch nicht mal sicher, ob die Summe auch zusammenkommen
       wird. Ohne global koordinierte Aktionen, ohne eine gerechte Nutzung der
       global vorhandenen Ressourcen wird es nicht gehen. Es müssen sehr viel mehr
       Mittel aus den reichen Ländern zu den armen fließen.
       
       Die Industriestaaten fürchten eine Rezession ungekannten Ausmaßes. Welche
       Aussicht gibt es, dass sie trotzdem den Entwicklungsländern mehr helfen als
       bisher? 
       
       Im Augenblick dominiert die nationale Perspektive. Um der Krise wirksam
       begegnen zu können, wird die Welt nicht umhinkommen, über globale
       Umverteilung nachzudenken. Es ist jetzt oft von Solidarität die Rede. Die
       Frage aber ist: Welche Solidarität?
       
       Welche gibt es denn? 
       
       Die Gefahr ist, dass es bei einer Solidarität unter Gleichen bleibt, einer
       nationalen Solidarität, die auf Abschottung setzt und schließlich einen
       autoritären Wohlfahrtstaat befördert, wie wir es in Polen oder Ungarn
       sehen. Gerade die Coronakrise macht deutlich, wie dringend stattdessen eine
       Solidarität auch mit Fremden nötig ist, eine kosmopolitische Solidarität,
       die sich auch in transnationalen Institutionen niederschlägt, die für einen
       globalen Ausgleich sorgen.
       
       Was könnten solche Institutionen in der Coronakrise leisten? 
       
       Sie könnten etwa dafür sorgen, dass ein hoffentlich bald entwickelter
       Impfstoff allen zugänglich gemacht wird. Im Rahmen des bestehenden
       Patentrechts ist das nur schwer vorstellbar. Seit langem schon fordern wir,
       die Entwicklung von essenziellen Arzneimitteln zu einem öffentlichen
       Gemeingut zu machen.
       
       Wäre das im Fall eines Corona-Impfstoffs nicht ohnehin so, weil alles
       andere politisch nicht vermittelbar wäre? 
       
       Es ist gerade ein paar Tage her, da wollte der US-Präsident Donald Trump
       den USA die Exklusivrechte für einen Impfstoff sichern, an dem in
       Deutschland geforscht wird. Die Empörung war groß, und irgendwie haben alle
       verstanden, wie unsinnig Eigentumsrechte an lebenswichtigen Arzneimitteln
       sind. Ja, das Fenster für eine Revision der patentgestützten
       Forschungspraxis im Pharmabereich ist gerade offen. Die Frage ist, ob wir
       imstande sind, es zu nutzen.
       
       Bei HIV-Medikamenten hat das auch geklappt. 
       
       Aber nur durch öffentlichen Druck. Nur weil soziale Bewegungen in Ländern
       wie Südafrika und Indien, weil die Selbstorganisationen der Betroffenen und
       schließlich auch Studierende an großen Universitäten in den USA dafür
       gekämpft haben. Der öffentliche Druck wird auch heute nötig sein, wie der
       Streit um den Wirkstoff Remdisivir des US-Pharmakonzern Gilead zeigt. Der
       gilt als mögliches Corona-Medikament. Es ist nicht einmal eine Woche her,
       da versuchte Gilead, Remdisivir auf die Liste der „Arzneimittel für seltene
       Leiden“ setzen zu lassen. Dann läuft nämlich die Patentzeit länger. Nur der
       Wachsamkeit der Öffentlichkeit ist es zu verdanken, dass Gilead einen
       Rückzieher machen musste.
       
       Wie würde ein anderes Pharmaregime konkret aussehen? 
       
       Costa Rica etwa hat aktuell vorgeschlagen, die WHO solle einen Patentpool
       einrichten, in den die Inhaber von Patentrechten ihre Patente abgeben
       sollten. Das wäre zumindest ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einer
       generellen Neuregelung des TRIPS-Abkommens über geistige Rechte im
       Welthandel. Schon jetzt ist darin auch die Möglichkeit von Zwangslizenzen
       vorgesehen, mit denen Regierungen, wenn es das Gemeinwohl erfordert,
       Eigentumsrechte an Arzneimitteln einschränken zu können. Was uns aber
       vorschwebt, ist, die Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln insgesamt
       aus dem Patentschutz herauszulösen.
       
       Die WHO klagt seit langem über Unterfinanzierung. Ist sie deshalb in der
       Coronakrise hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben? 
       
       Vieles, was die WHO gemacht hat, war richtig. Und es sollte nun allen klar
       geworden sein, wie groß die Bedeutung der WHO für die Gewährleistung
       globaler Gesundheit ist. In der Krise sieht man dann aber auch die
       Schwachstellen.
       
       Welche sind das? 
       
       Der WHO fehlen die Mittel, um den einzelnen Ländern wirkungsvoll beim
       Aufbau gesundheitlicher Gemeingüter zur Seite zu stehen. Dazu zählen
       Systeme der Früherkennung, Laboreinrichtungen, Zugang zu Daten oder die
       Planung von Informations- und Aufklärungskampagnen. Darüber hinaus mangelt
       es an den Ressourcen für global koordinierte Antworten, etwa zur
       Beschaffung von Schutzkleidung. Die WHO kann an ihre Mitgliedstaaten
       appellieren, mit Geldtransfers die sozialen Folgen der Pandemie abzufedern,
       nicht aber mit eigenen Programmen selbst dafür sorgen.
       
       Welche Summe braucht die WHO, die ihr von den Geberstaaten verweigert wird? 
       
       Die Pflichtbeiträge sind vor einigen Jahren eingefroren worden. Insgesamt
       kann die WHO im Jahr etwa 4 Milliarden Dollar ausgeben. Ein großer Teil des
       Budgets kommt aber von privaten Gebern, allen voran der Gates-Stiftung, und
       ist zweckgebunden. Gerade jetzt wird deutlich, wie unhaltbar dieser Zustand
       ist. Es wäre viel gewonnen, wenn das Budget über Pflichtbeiträge gesichert
       wäre.
       
       Was kann die Zivilgesellschaft im Globalen Süden zur Bewältigung der
       Coronakrise beitragen? 
       
       Ganz entscheidend ist, dass diejenigen, die nun unter der Pandemie und
       ihren Folgen leiden, nicht diskriminiert und ausgeschlossen werden. Unsere
       Partner in Südafrika sprechen in diesem Zusammenhang von Health
       Sanctuaries, womit eine häusliche und unterstützende Pflege gemeint ist.
       Statt die Betroffenen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Lage viel eher
       gezwungen wären, gegen Auflagen zu verstoßen, einer
       gesundheitspolizeilichen Repression auszusetzen, sollen sie den Schutz
       bekommen, den sie brauchen. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, und es ist
       kein Zufall, dass dieser Vorschlag aus Südafrika kommt. Denn hier hat man
       sehr früh gelernt, dass sich HIV/AIDS nur bekämpfen lässt, wenn man Kranke
       nicht stigmatisiert und ausschließt.
       
       Weil sie sonst aus Angst vor der Repression ihre Krankheit nicht
       diagnostizieren lassen und unerkannt weitere Menschen anstecken? 
       
       Unter anderem. Als in Deutschland die ersten HIV-Fälle diagnostiziert
       wurden, haben Leute wie der CSU-Politiker Peter Gauweiler vorgeschlagen,
       diese wegzusperren. Es waren die HIV-Selbstorganisationen, die das
       verhindern konnten und Strukturen für einen auf Selbsthilfe basierenden
       gesellschaftlichen Umgang mit der Krankheit aufgebaut haben. Die wirken bis
       heute sehr stabilisierend. Die Botschaft war damals: Die Kranken sind nicht
       der Feind. Statt ihnen mit autoritären Maßnahmen zu begegnen, müssen ihnen
       Möglichkeiten zur sozialen Partizipation geboten werden. Das gilt
       entsprechend auch für den Schutz derjenigen, die von Corona betroffen sind.
       
       In Ländern wie Deutschland ist der Fixpunkt der Diskussion die Zahl der
       Beatmungsplätze. Die soll um jeden Preis ausreichend bleiben. Um welche
       medizinischen Fragen dreht sich die Corona-Diskussion in Ländern, in denen
       es so gut wie keine Intensivmedizin gibt? 
       
       Etwa um Tests. Unsere Partner in Bangladesch erproben derzeit eigene
       Testsubstanzen, die sie im Land einsetzen können, um die Antikörperbildung
       nach einer überstandenen Infektion feststellen zu können. Auch in dieser
       Krise sind die Länder des Südens nicht einfach nur Hilfeempfänger. Die
       können selbst hochaktiv sein.
       
       Wird in Entwicklungsländern damit gerechnet, weniger medizinische Probleme
       zu bekommen, weil es weniger alte Menschen gibt? 
       
       Eher nicht. Die Sorge ist schon zu spüren, dass die Krise auch sie massiv
       treffen wird. Klar sagen einige, dass sie nicht so viele Hochbetagte haben
       wie Japan oder Italien. Aber auch wenn nur ein paar Menschen betroffen
       sind, muss deren Schutz gewährleistet sein.
       
       Sind die Staaten, in denen Ebola sich ausgebreitet hatte, besser
       vorbereitet? 
       
       Ja, nach Ebola ist in den damals betroffenen Ländern einiges verbessert
       worden, vor allem im Bereich der Krisenvorbereitung.
       Katastrophenschutzpläne wurden erarbeitet, viele der öffentlichen
       Gesundheitsstationen rehabilitiert. Die Zeit, in der Krankenstationen
       aufgrund ihrer schlechten Ausstattung eher Orte der Ansteckung als der
       Heilung waren, schien vorbei zu sein. Nun aber sind auch diese Erfolge
       gefährdet. Die Befürchtung ist, dass nun die internationale Finanzierung
       hierfür gestrichen wird, weil der Norden das Geld wegen Corona für sich
       selber ausgibt.
       
       6 Apr 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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