# taz.de -- Corona verändert die Weltwirtschaft: Grenzen der Globalisierung
       
       > Die Coronakrise belastet den Welthandel massiv. Das trifft vor allem die
       > exportlastige Wirtschaft der Deutschen. Ist das nicht eine Chance?
       
 (IMG) Bild: In Zukunft vielleicht ein seltener Anblick: ein chinesisches Frachtschiff im Hamburger Hafen
       
       BERLIN taz | Seit Montagmorgen laufen die Produktionsbänder wieder. Nach
       fast sechs Wochen Zwangspause können rund 8.000 MitarbeiterInnen im
       Wolfsburger Stammwerk von Volkswagen an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.
       „Es geht jetzt wieder los“, freut sich VW-Markenchef Ralf Brandstätter.
       
       Die Freude könnte aber nur kurz währen. Denn Probleme gibt es weiter bei
       vielen Zulieferern. „Alle unsere Partner haben uns signalisiert, dass sie
       anlaufbereit sind“, versichert Brandstätter. Doch garantieren kann er das
       nicht. Zu komplex und engmaschig sind die globalen Lieferketten.
       
       In Norditalien etwa, einem Zentrum der europäischen Zuliefererindustrie,
       sind wegen der Coronapandemie viele Betriebe auch weiterhin dicht. Hinzu
       kommt: Der Automarkt ist rund um die Welt um mehr als die Hälfte
       eingebrochen. Es wird Monate brauchen, bis sich die Branche erholt – wenn
       überhaupt. Experten rechnen damit, dass die Krise exportlastige
       Industriezweige nachhaltig verändern wird.
       
       Kaum ein Land hat in den vergangenen drei Jahrzehnten so sehr von der
       Globalisierung profitiert wie Deutschland. Sie hat vor allem die Industrien
       beflügelt, in denen die Deutschen stark sind: Autoindustrie, Maschinen- und
       Anlagenbau. Die Exportquote liegt in beiden Branchen bei über 80 Prozent.
       Die Deutschen machen nicht einmal 1 Prozent der Weltbevölkerung aus, ihr
       Land ist aber die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ohne Globalisierung
       wäre das nicht möglich gewesen. Umso heftiger ist nun der Einbruch.
       
       Der Seeverkehr ist im März im Vergleich zu den Vormonaten um 48 Prozent
       eingebrochen, der Eisenbahnverkehr sogar um 67 Prozent. Ökonomen rechnen
       damit, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal um 7 Prozent
       schrumpfen wird, das dickste Minus seit dem Krieg.
       
       ## Keine Deglobalisierung
       
       Gabriel Felbermayr, Chef des [1][Instituts für Weltwirtschaft in Kiel],
       geht zwar davon aus, dass sich die hiesige Konjunktur in der zweiten
       Jahreshälfte erholen wird. Doch an der Art des Wirtschaftens werde sich
       einiges ändern. „Als eine Folge der Coronakrise werden deutlich mehr
       Produktionsstätten direkt in Abnehmerländern entstehen“, vermutet der
       Ökonom. „Die Strukturen werden regionaler.“
       
       Diese Entwicklung setzte zwar schon vor der Krise ein. Der von den USA
       ausgelöste Zollstreit hat bereits dazu geführt, dass der globale Handel
       zurückgeht. Die Viruskrise beschleunigt diesen Trend aber, sagt Felbermayr.
       „Sie zeigt, wie groß das Problem ist, wenn systemrelevante Produkte wie
       Atemschutzmasken oder Penicillin nur noch in China hergestellt werden,
       dieser Warenstrom aber plötzlich unterbrochen ist.“ Viele Länder dürften
       ihre Lehren daraus ziehen und Industrien zurückholen.
       
       Ein Ende der Globalisierung muss das aber nicht bedeuten. Für die
       Digitalwirtschaft könnte die Krise sogar zum Trendbeschleuniger werden.
       Viele Unternehmen machen Erfahrungen mit Homeoffice und der Nutzung
       digitaler Arbeitsplattformen. Das werde sich dauerhaft auswirken, vermutet
       Felbermayr. „Wir kommen nicht in eine Deglobalisierung, sondern könnten
       aus der Krise sogar globalisierter hervorgehen.“
       
       Für die deutsche Wirtschaft sind beide Entwicklungen schlecht. Der Standort
       Deutschland punktete bislang mit einer guten Infrastruktur, dem dualen
       Ausbildungssystem und der zentralen Lage in der Mitte Europas. Diese
       Vorteile spielen nun aber eine geringere Rolle. „Plötzlich haben Länder wie
       Indien, die in der Old Economy chancenlos waren, viel bessere Karten“, sagt
       Felbermayr. „Das wird Deutschland wehtun.“
       
       Weniger Welthandel durchaus Positives abgewinnen kann Thomas
       Eberhardt-Köster, Handelsexperte des [2][globalisierungskritischen
       Netzwerks Attac]. Solange sich es um Produkte mit fairen Löhnen geht, die
       nur in bestimmten Gegenden angebaut werden können, seien längere
       Transportstrecken in Kauf zu nehmen, sagt Eberhardt-Köster. Wenn aber
       gehandelt werde, weil Lohnstückkosten in anderen Ländern wegen schlechter
       Arbeitsbedingungen oder niedriger Umweltstandards geringer sind, habe das
       gesamtgesellschaftlich keinen Mehrwert: „Man muss nicht“, betont
       Eberhardt-Köster, „einen Joghurt um die halbe Welt transportieren.“
       
       30 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.ifw-kiel.de/de/themendossiers/corona-krise/
 (DIR) [2] https://www.attac.de/kampagnen/corona-was-wirklich-wichtig-ist/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Lee
       
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