# taz.de -- Mahnwachen von Corona-Skeptikern: Montags gegen Bill Gates
       
       > In Hamburg beleben Corona-Skeptiker*innen die Montags-Mahnwachen neu.
       > Dort standen Verschwörungsideologien schon immer hoch im Kurs.
       
 (IMG) Bild: Erkennungszeichen „Querdenker-Bommel“: Teilnehmer der Montags-Mahnwache in Hamburg
       
       HAMBURG taz | Die emotionalsten Reden und die radikalsten Wortbeiträge
       erhalten den größten Applaus. Rund 160 Personen sind am Montagabend zur
       254. „Mahnwache Hamburg“ am Jungfernstieg gekommen. Auf die rund 100
       Protestierenden gegen die Infektionsschutzmaßnahmen kommen rund 60
       antifaschistische Gegendemonstrant*innen.
       
       Das Tragen eines Mundschutzes dient als Zuordnungsmerkmal: Wer keinen
       trägt, unterstützt die Redner*innen am offenen Mikrofon; wer einen trägt,
       nicht. Es ist das erste Mal, dass der Gegenprotest so deutlich sichtbar
       ist. Seit mehreren Wochen treffen sich die Corona-Skeptiker*innen zur
       „Hygiene-Demo“ am Jungfernstieg – bisher immer samstags.
       
       Mit der Pandemie bekommt die montags stattfindende „Mahnwache für den
       Frieden“, die zu Beginn der militärischen Krise in der Ukraine 2014
       erstmals stattfand, ein neues Thema. Doch damals wie heute dominieren die
       unterschiedlichsten Verschwörungsideologien die Inhalte. Alle Redner*innen
       sind in Sorge, dass die Maßnahmen gegen das Coronavirus dazu führen
       könnten, dass alte Menschen vereinsamen, dass Kinder traumatisiert werden
       und die Grund- und Freiheitsrechte dauerhaft eingeschränkt blieben. Es
       drohe eine „Gesundheitsdiktatur“, ein totalitärer Überwachungsstaat wie in
       George Orwells dystopischem Roman „1984“, fürchten sie.
       
       So gehen auch am Montagabend in Hamburg kritische Ansätze sofort in
       unreflektierte Ausführungen über. Ilona Dittmar, eine mehrfache Rednerin
       der Mahnwache, glaubt zu wissen, dass die „Weltgesundheitsbehörde“ (sie
       meint die Weltgesundheitsorganisation) von Bill Gates finanziert und
       gesteuert werde. Dittmars Weste ziert das Logo der rechten Kleinstpartei
       „Deutsche Mitte“. Eine von deren Forderungen: „Menschen helfen – statt
       Migration fördern“.
       
       Die Panik vor dem Coronavirus werde von den „Mainstreammedien“
       mitgeschürt, um Menschen so sehr in Angst zu versetzen, dass sie sich alle
       impfen lassen wollten, behauptet eine weitere Rednerin. Die Hexenverfolgung
       habe zum Ziel gehabt, das weise Wissen auszulöschen, erklärt sie und fährt
       fort: „Mit Kräutern kann die Virus-Erkrankung, die nicht schlimmer als eine
       Grippe ist, geheilt werden.“
       
       Dass den sogenannten etablierten Parteien nicht zu trauen sei, führt
       anschließend Andrea Germanus aus. Das habe sie bei der SPD gelernt, sagt
       sie, die für die ÖDP zur Hamburger Bürgerschaft kandidierte. Germanus, die
       die ÖDP verlassen haben soll, schimpft zudem über „die Antifa“, die sie als
       „Nazis“ verunglimpfen würde.
       
       Als eine Rednerin, die den Holocaust hinterfragt, einen Kameramann davor
       warnt, sie zu filmen, droht die Stimmung kurz zu eskalieren. Anhänger*innen
       der Mahnwache gehen den Journalisten an und drängen ihn ab. Einzelne
       Antifaschist*innen schützen ihn, bevor die Polizei eingreift. Die Rednerin
       will sich dann doch filmen lassen – auch die Veranstalter*innen filmen die
       Mahnwachen-Reden und stellen sie online.
       
       Kurz vor Ende der Mahnwache erklärt ein Mann aus Argentinien, „die Banken“,
       die „Rothschilds“ und „der Soros“ verursachten alles Elend auf der Welt.
       Der ungarisch-amerikanische Unternehmer George Soros kommt als
       vermeintlicher jüdischer Teufel in vielen Verschwörungsideologien vor. Doch
       von den Teilnehmer*innen der Mahnwache scheint sich niemand daran zu
       stören, der Redner bekommt Applaus.
       
       Zu der Mahnwache gehören auch Teilnehmer*innen der
       „Merkel-muss-weg“-Demonstrationen und der AfD. Einige verteilen die Zeitung
       der neu gegründeten Protestpartei „Widerstand 2020“, die gerne genommen
       wird. Der Werbewagen von „Widerstand“, im Look eines Polizeiautos und mit
       der Forderung „Freiheit für Julian Assange“ fährt hupend vorbei.
       
       Am Montag sollte in Neumünster ebenfalls eine Aktion gegen die
       Coronamaßnahmen stattfinden – ein „Spaziergang“, den die NPD vor Ort
       unterstützt. Die Stadt untersagte die Veranstaltung. Die NPD-Stadträte
       Michael Proch und Horst Micheel hatten bereits am Samstag zu einer
       Protestaktion aufgerufen. „Grundrechte achten – Keine Impfpflicht“ war eine
       dort artikulierte Forderung.
       
       Am Samstag hatten in Hamburg, Hannover und Bremen ebenfalls mehrere hundert
       Menschen gegen die Coronamaßnahmen protestiert. Die AfD bemüht sich in
       Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, sich als Freiheitskämpfer zu
       gerieren und fordert „keine Zwangsimpfung“ und „keine Maskenpflicht“.
       
       13 May 2020
       
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