# taz.de -- Dokfilm über Musiker Tobias Gruben: Er hatte noch Pläne
       
       > In der Dokumentation „Die Liebe frisst das Leben“ erzählt Oliver Schwabe
       > vom tragischen Leben des Hamburger Musikers Tobias Gruben.
       
 (IMG) Bild: Dada lebt nicht mehr: Tobias Gruben, hier in der Hamburger S-Bahn, Mitte der Achtziger
       
       Er denke nichts über die Liebe, weil er in ihr zu befangen ist, hat Roland
       Barthes in „Fragmente einer Sprache der Liebe“ postuliert. Reflexion
       darüber sei ihm zwar erlaubt, doch „da diese Reflexion sogleich in den
       Fluss der Bilder hineingezogen wird“, münde sie nie in weitere Reflexionen.
       Ähnliches ist im Dokfilm „Die Liebe frisst das Leben“ zu beobachten, den
       der Regisseur Oliver Schwabe über das rastlose Leben des Hamburger Musikers
       Tobias Gruben (1963 – 1996) inszeniert hat.
       
       Gruben wird darin als reflektierter, zu allem bereiter Künstler
       porträtiert, der mit seinen Ideen scheitert, sie tragischerweise nicht
       vollenden kann. In den Songs von Gruben und seiner bekanntesten Band Die
       Erde geht es oberflächlich betrachtet nicht ums Thema Liebe. Trotzdem wird
       an Grubens Existenz eine Liebe zur Musik sichtbar und damit etwas ganz
       Dringliches: das Recht auf Mitteilsamkeit. „Seine Stimme verbietet einem,
       wegzuhören“, erklärt Tobias Levin, der mit Gruben zusammen bei Die Erde
       gespielt hat, in der Mitte des Films.
       
       Die Erde war Grubens wichtigstes Projekt, er war ihr Sänger und Texter, an
       seiner Seite spielten unter anderem ehemalige Mitglieder der Punkband
       Slime. Bis er überhaupt in diesem Hamburg Ende der 1980er als Künstler
       reüssierte, musste er große Widerstände überwinden: Die Eltern glaubten
       nicht an seine musikalische Begabung, seine Existenz in Hamburg war prekär.
       
       Regisseur Schwabe setzt viele bislang fehlende Puzzlestücke in dieser
       Biografie zusammen. Dafür nutzt er altes Filmmaterial, das von dem
       Filmemacher Peter Sempel stammt, einem Freund Grubens. Das Gros der Bilder
       ist aus der Gegenwart. Aussagen von Weggefährten wie Levin, [1][Rocko
       Schamoni] und dem [2][Manager Alfred Hilsberg], der Grubens Musik
       veröffentlichte, und semidokumentarische Einschübe wechseln sich ab:
       Tonspuren, auf denen der Schauspieler Robert Stadlober aus Briefen Grubens
       an seinen Vater liest und Gustav-Peter Wöhler dem Vater die Stimme leiht.
       In späteren Jahren verläuft die Kommunikation der beiden rein schriftlich.
       
       ## Fehlende Puzzlestücke
       
       Grubens Vater ist Archäologe. Die Kindheit in Griechenland mit drei älteren
       Geschwistern wird als idyllisch geschildert. Das ändert sich, nachdem die
       Familie Ende der Sechziger in eine brutalistische Villa nach Starnberg
       zieht. Der Vater hatte eine Professur angenommen, die Kinder sollen
       deutsche Schulen besuchen.
       
       Mehr und mehr entwickelt sich der Vater in der Folge zum Tyrannen, der die
       Kinder selbst beim Abendessen psychisch und physisch malträtiert. Dies wird
       hauptsächlich von der ältesten Schwester Imogen geschildert. Sie lebt auf
       einem Bauernhof in Italien, umgeben von Olivenbäumen, Pferd und Hund. Die
       Kamera bleibt den Tieren auf der Spur, während auf der Tonspur auch mal
       Grubens Bruder Sebastian berichtet, der nicht zu sehen ist.
       
       ## Pop und Weltliteratur
       
       Songs von Bowie und Dylan erleichtern Tobias Gruben in der Pubertät die
       Abkehr vom Vater. Und Weltliteratur: Er liest sich durch Gesamtwerke
       berühmter SchriftstellerInnen. Seine diversen musikalischen Projekte
       (darunter Vier Kaiserlein, eine Band mit Christoph Schlingensief Anfang der
       Achtziger in München) werden in Miniausschnitten gezeigt.
       
       Mehr Platz räumt Schwabe KünstlerInnen der Gegenwart wie [3][Hendrik
       Otremba] (Messer) und [4][Fee Kürten] (Tellavision) ein, die je einen Song
       von Gruben performen. Während Otremba und Kürten in ihrer Interpretation
       des Fremdmaterials coole Distanz zum Ausdruck bringen und den
       [5][Gothicsound] von Gruben ins Jetzt transferieren, ist die überhöhte
       Performance des Leipzigers Timm Völker bei dem Erde-Song „Leben den
       Lebenden“ problematisch.
       
       Dadurch wird Gruben, der kurz vor Veröffentlichung seines ersten
       Majorlabel-Albums 1996 an einer Heroinüberdosis gestorben ist, auf dem
       Dokudrama-Altar erneut geopfert. Die Tragik von Grubens unvollendet
       gebliebener Karriere und die gravierenden Folgen seines Todes für sein
       Umfeld erklärt Tobias Levin weitaus lakonischer.
       
       13 May 2020
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [2] /Biografie-ueber-Alfred-Hilsberg/!5291759/
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 (DIR) [5] https://www.youtube.com/watch?v=6_V_fUnfJAo
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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