# taz.de -- Prioritäten bei Corona-Lockerungen: Fußball vor Bildung
       
       > Die Fußball-Bundesliga darf wieder starten, für viele SchülerInnen ist
       > die Perspektive weiter unklar – ein Lehrstück über Prioritäten in der
       > Politik.
       
 (IMG) Bild: Prioritätensetzung der Politik: Seine Schule ist zu, seine Stars dürfen wieder spielen
       
       Gute Nachrichten für Kleinkinder: Sie dürfen ab Mitte Mai wieder spielen.
       Nein, nicht die echten Kleinkinder, sondern die geistigen Kleinkinder der
       Fußball-Bundesliga. Durch das [1][Facebook-Video] des Hertha-BSC-Spielers
       Salomon Kalou aus der Kabine des Berliner Clubs hat die Öffentlichkeit
       einen intimen Einblick in die Welt des Profifußballs bekommen: Kalou platzt
       in einen amateurhaft aufgezogenen Corona-Test und macht sich über selbigen
       lustig; Stürmerkollege Vedad Ibisevic lamentiert über seine moderate
       Gehaltskürzung („Why are they fucking with us?“).
       
       [2][Dank Kalou ist dokumentiert], was die meisten Interessierten sowieso
       längst ahnten. Die Fußballprofis, deren Leben sich zwischen Pflichtspielen,
       Training, Playstation und dem Erwerb hässlicher Luxus-Karren bewegt, leben
       in einer Kunstwelt ohne Bezug zur Realität: Existenzängste,
       Gesundheitssorgen – beides Dinge, die durchaus auch ihre Fans quälen. Ist
       uns doch egal. Wer glaubt, dass nur in der Hertha-Kabine so geredet wird,
       darf weiterträumen.
       
       Am Mittwoch aber haben die MinisterpräsidentInnen und die Kanzlerin [3][den
       Startschuss] gegeben für die Wiedereröffnung der Bundesliga. Die
       Millionenshow darf weitergehen; Ibisevic und seine Arbeitskollegen werden
       wohl nicht länger von fucking Gehaltskürzungen belästigt. Gleichzeitig
       steht im selben Beschluss zum Thema Schulen – das für ein paar Menschen
       existentieller ist als die Bundesliga – dieser lapidare Satz: „Ziel ist,
       dass in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen bis zu den Sommerferien jede
       Schülerin und jeder Schüler einmal die Schule besuchen kann.“ Länder mit
       einer strikten Corona-Politik sind also fein raus. Und die Kitas? Da soll
       die Notbetreuung „stufenweise“ erweitert werden.
       
       Die Botschaft des Papiers, über dessen Ehrlichkeit man dankbar sein sollte:
       Der Millionenzirkus der wenigen ist wichtiger als die psychische, soziale
       und bildungsmäßige Lage von Millionen Kindern. Die Deutsche Fußball-Liga
       (DFL) mit ihrem obersten Lobbyisten Christian Seifert hat ganze Arbeit
       geleistet. Das Argument der DFL, dass Tausende Arbeitsplätze an der
       Bundesliga hingen, ist natürlich verlogen – abgesehen davon geht es derzeit
       in jeder Branche um Arbeitsplätze: Das Arbeitsplatzargument zieht in
       Deutschland immer, dachte Seifert sich wohl. Merkwürdig nur, dass die
       Situation der normalen Vereinsbeschäftigten in den vergangenen Jahrzehnten
       öffentlich nie eine Rolle spielte.
       
       Fans als willfährige KonsumentInnen 
       
       Und die Fans? Die sind als willfährige KonsumentInnen von Sky-Abos gefragt;
       sie sollen wieder das dünne Massen-Bier kaufen, für das in der Sportschau
       Werbung gemacht wird; die Kinder sollen sich für 50 Euro und mehr als
       „Fan-Shirt“ getarnte Fetzen aus Billig-Polyester kaufen lassen, aber sich
       bitteschön nicht weiter beschweren, wenn sie das Pech haben, in einem
       Bundesland zu leben, das es mit der Schulöffnung ruhig angehen lässt.
       
       Es wurde die Chance vertan, für die Schulen und Kitas einen verbindlichen
       Rahmen festzulegen, der allen Kindern und Eltern eine Perspektive gibt:
       Schule für alle unter Einhaltung der Hygieneregeln, und wenn das wegen der
       kleineren Gruppen nicht möglich ist, wäre eine Kombination aus Unterricht
       in der Schule und solchem über digitale Kanäle eine Alternative.
       
       Spätestens seit dem Kalou-Video dürfte übrigens klar sein, [4][dass die
       meisten Kinder mit den Abstandsregeln] wohl verantwortungsvoller umgehen
       dürften als die Fußballprofis. Die aber sind Vorbilder und Helden für viele
       Kinder. Wenn die jetzt sehen, wie rotzig und gleichgültig ihre Stars mit
       den Corona-Regeln umgehen, werden sie sich zu Recht fragen: Warum sollen
       wir eigentlich Abstand halten?
       
       Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher von der SPD sagte als
       Argument für den Bundesliga-Start, die habe ja auch eine „große
       Fangemeinde“. Ein rührendes Argument, denn der Faktor Anhängerschaft
       diverser Branchen (Museen, Musik, Bars) spielte bei den
       Lockerungs-Entscheidungen der vergangenen Wochen sonst keine Rolle. In
       Wirklichkeit sind die Fans in der Öffnungsfrage gespalten: Viele lehnen
       Geisterspiele als seelenlos ab, die Verantwortungsbewussten befürchten
       unkontrollierte Fanaufläufe vor den Stadien.
       
       Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder sagte Ende April in seiner Rolle
       als Covid-19-Chefbekämpfer, es gehe bei den Lockerungen um „Besonnenheit
       statt Lobbyismus“. Seit Mittwoch ist klar: Bei der Bundesliga ist es
       umgekehrt – und das ist einfach nur erbärmlich zu nennen.
       
       7 May 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=jSGU7Iy1Slw
 (DIR) [2] /Corona-Video-von-Salomon-Kalou/!5682975
 (DIR) [3] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/973812/1750978/fc61b6eb1fc1d398d66cfea79b565129/2020-05-06-beschluss-mpk-data.pdf?download=1
 (DIR) [4] /Corona-und-Kontaktregeln-fuer-Kinder/!5677602
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gunnar Hinck
       
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