# taz.de -- Klimaschutz im Flugverkehr: Flugzeuge bleiben Klima-Killer
       
       > Die UN-Luftfahrtorganisation ICAO will wegen Corona ihr geplantes
       > Klimaprogramm auf Eis legen. Ein großer Rückschritt, klagen
       > Umweltschützer.
       
 (IMG) Bild: Als hätte es das Abkommen von Paris nie gegeben: Flugzeuge auf dem Flughafen Charles de Gaulle
       
       BERLIN taz | Die internationale Flugindustrie will die Coronakrise nutzen,
       um sich von ihren Klimazielen zu verabschieden. Anders als beschlossen,
       soll das zuständige Programm Corsia mit veränderten Grundlagen und später
       eingeführt werden, hat die UN-Luftfahrtorganisation ICAO vorgeschlagen. Die
       International Civil Aviation Organization trifft sich derzeit zu ihrer
       regelmäßigen Sitzung im kanadischen Montreal. Umweltschützer kritisieren,
       mit diesen Plänen würde der Klimaschutz am Himmel um weitere 15 Jahre
       aufgeschoben.
       
       Mit ihrer steilen Kursänderung reagiert die ICAO unter Druck der
       Luftfahrtlobby IATA, in der Airlines und Flugzeugbauer zusammengeschlossen
       sind, auf den Absturz der Branche durch die Coronapandemie. Die IATA hatte
       im Mai gefordert, die ICAO solle „die Methoden anpassen, mit denen die
       Grundlage für Corsia berechnet wird“. Ursprünglich sollte mit dem
       Corsia-Programm der Flugverkehr ab 2020 „klimaneutral wachsen“: Für die
       CO2-Emissionen über einem Schnitt aus den Jahren 2019/2020 sollten die
       Airlines Zertifikate ähnlich wie im Emissionshandel erwerben. Das sollte zu
       effizienteren Flugzeugen, [1][fossilfreiem Kerosin] und anderen Flugrouten
       führen, so die Hoffnung.
       
       Der Rückgang der Flüge durch die Coronakrise hätte nun diese
       Rechengrundlage radikal verändert. Die IATA schätzte, die Emissionen in
       2020 würden „auf das Niveau von 2010 fallen“ und damit 30 Prozent niedriger
       sein. Airlines müssten entsprechend mehr für Zertifikate bezahlen. „Viele
       Airlines wären nicht in der Lage, diese höheren Preise zu zahlen“, warnte
       die Lobby, und viele Staaten in der ICAO „könnten ihre Unterstützung für
       das Corsia-System überdenken.“
       
       Deshalb ist der Druck auf die Staatenvertreter in der ICAO gewaltig. Die
       Veränderung sei so gut wie beschlossen, heißt es von Beobachtern. Die ICAO
       selbst erklärte in einem Tweet am Freitagabend, die Verhandlungen seien
       „nicht abgeschlossen und werden Montag fortgesetzt“. Auch die EU und
       Deutschland, vertreten durch das Bundesverkehrsministerium, stimmten der
       Verwässerung des Klimaprogramms zu, allein Schweden habe sich
       dagegengestellt, sagten Beobachter. Überprüfen lassen sich diese Angaben
       nicht. Die UN-Organisation ICAO arbeitet hinter verschlossenen Türen. Nur
       Vertreter von Staaten und Lobbyisten sind zugelassen.
       
       ## Die Mehrkosten pro Flug sind gering
       
       Eine übergroße Belastung für die Fluglinien durch Corsia sehen Experten
       allerdings nicht. Eine Analyse des Öko-Instituts sagt voraus, dass selbst
       bei unveränderten Bedingungen die Mehrkosten für teurere Zertifikate durch
       die geringere Nachfrage etwa ausgeglichen würden. „Bei einer langsamen
       Erholung des Verkehrs, wie ihn die IATA selbst prognostiziert, würden die
       Belastungen für die Konzerne kaum steigen“, sagt Lambert Schneider, Autor
       des Reports. Durch die neuen Regeln würde die Nachfrage an Zertifikaten nun
       für drei bis sechs Jahre ausgesetzt. Insgesamt sparten sich die Airlines
       dadurch „25 bis 75 Prozent“ der CO2-Scheine und „die nächsten 15 Jahre
       passiert beim Klimaschutz nur sehr wenig“, so Lambert. Andere Kritiker wie
       der US-Umweltverband EDF monieren, mit der Entscheidung entfalle der Druck
       auf Fluggesellschaften, etwa in sparsame Flugzeuge zu investieren.
       
       „Das könnte der Todesstoß für Corsia sein“, sagte Gilles Dufresne, Experte
       beim Thinktank Carbon Market Watch, gegenüber der Webseite ClimateHome. „Es
       war immer ein lächerlich schwaches System, aber jetzt wird es praktisch
       bedeutungslos.“ Selbst mit den Zertifikaten werde ein Transatlantikflug nur
       etwa 20 Euro teurer, schätzen Experten.
       
       Der Startabbruch kurz vor dem Abheben passt ins Bild. [2][Der
       internationale Flugverkehr hat sich bisher beharrlich allen Forderungen
       nach mehr Klimaschutz entzogen]. Er macht etwa 2,5 Prozent der globalen
       CO2-Emissionen aus (etwas mehr als Deutschland), aber die Wirkung auf die
       Erderhitzung ist etwa durch Wolkenbildung zwei- bis dreimal so stark,
       schätzen Fachleute. Wie der Flugverkehr nun das Ziel des Pariser Abkommens
       einhalten soll, bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu sein, steht in
       den Sternen.
       
       14 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Luftnummer-CO2-Kompensation/!5616282&s=ICAO/
 (DIR) [2] /Plaene-der-Luftfahrtbranche/!5514602&s=ICAO/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Klima
 (DIR) Fliegen
 (DIR) Konsum
 (DIR) Klima
 (DIR) Flugscham
 (DIR) Apokalypse der Woche
 (DIR) Schwerpunkt Rassismus
 (DIR) Sehnsucht Sommer
 (DIR) Flugverkehr
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Klimaschutz und Pariser Abkommen: Lobbyangriff vorerst abgewehrt
       
       Durch die Hintertür wollte eine Handvoll Staaten wie Brasilien, Indien und
       Australien den globalen Klimaschutz schwächen. Das ist erstmal vom Tisch.
       
 (DIR) Corona und der Heizpilz: Flüge in den menschlichen Abgrund
       
       Fluggesellschaften fliegen jetzt im Inland umher, Heizpilze retten die
       Gastronomie. Wie Corona erfinderisch macht und dabei die Realität verkennt.
       
 (DIR) Klimaschutz im Flugverkehr bleibt aus: Keine Antwort
       
       Die UN-Luftfahrtorganisation ICAO wird geplante Maßnahmen zum Klimaschutz
       verzögern. Fragen der taz werden nicht beantwortet, weil es „sinnlos“ sei.
       
 (DIR) Klimakrise und Rassismus: Die gleiche Wurzel
       
       Macht statt Logik: Wir wehren uns kollektiv gegen Änderungen eines
       Lebensstils, der sich aus Kolonialismus und Rassismus entwickelt hat.
       
 (DIR) Konsumkritik und CO₂-Kompensation: Nicht gut, aber ein Anfang
       
       CO₂ zu kompensieren ist besser als nichts und beruhigt das Gewissen. Aber
       warum nur beim Fliegen? Es könnte Vorbild für andere Ökosünden sein.
       
 (DIR) Klimaschutz im Flugverkehr fehlt: Es stinkt zum Himmel
       
       Die Luftfahrtindustrie lässt sich mit Milliarden retten. Und verabschiedet
       sich bei der Gelegenheit vom Klimaschutz.
       
 (DIR) Air France und Klimaschutz: Vorbild mit 0,8 Prozent
       
       Als Gegenleistung für die Staatshilfe hat sich Air France verpflichtet zur
       „umweltfreundlichsten“ Airline zu werden – ein geschickter PR-Schachzug.
       
 (DIR) Luftfahrt nach Corona: Fliegen steht in den Sternen
       
       Die internationale Luftfahrt liegt am Boden. Doch bald wird wieder
       abgehoben. Wie ändert sich Fliegen? Ein Blick auf die aktuelle Lage
       weltweit.