# taz.de -- Mysteriöses Fischsterben: Störe in Frieden
       
       > An der Elbmündung wurden zahlreiche tote Fische angeschwemmt, die
       > Elbvertiefung könnte Schuld sein. Mysteriöser sind die Funde toter
       > Jung-Heringe.
       
 (IMG) Bild: Der Tod dieses Störs bei Otterndorf gibt Fragen auf, der Tod von tausenden Heringen sogar Rätsel
       
       CUXHAVEN/HAMBURG/HUSUM taz | Ein großer Stör, über einen Meter lang.
       Ausgewachsene Aale. Ein Schweinswal. Und viele junge Heringe, Tausende
       davon: In den vergangenen Tagen wurden an der Nordsee immer wieder tote
       Fische gemeldet.
       
       Viele davon wurden an der Elbmündung angeschwemmt. Auch wenn noch viele
       Fragen offen sind: Die Umweltverbände WWF, BUND und Nabu, die sich im
       Bündnis „Lebendige Tideelbe“ zusammengeschlossen haben, haben schon mal
       Klage gegen unbekannt erhoben und fordern Aufklärung.
       
       Die Schuld vermuten sie unter anderem bei der Elbvertiefung, die die
       Umweltverbände schon lange kritisieren. Seit dem vergangenen Juli ziehen
       Saugbagger [1][Schlamm vom Grund der Elbe] und verklappen ihn unter Wasser
       am sogenannten Neufelder Sand westlich von Brunsbüttel in
       Schleswig-Holstein. Insgesamt 38 Millionen Kubikmeter Schlick werden so
       versetzt.
       
       Ein großer Teil der toten Fische wurde laut WWF-Referentin Beatrice Claus
       im Umkreis von zwei Kilometern des Neufelder Sands gefunden. Ihre Vermutung
       ist, dass die Tiere nicht von dort stammen, sondern von Baggerschiffen
       aufgesogen wurden und ihre Kadaver gemeinsam mit dem Sand abgelagert
       wurden. Viele der Fische, besonders die größeren, hatten laut Paul Schmid
       vom BUND Hamburg zudem Verletzungen. „Da ist es naheliegend, dass
       mechanische Geräte schuld sein könnten“, so Schmid.
       
       ## Die Behörden nennen keine Zahlen
       
       Der Stör etwa wurde mit einer Rückenverletzung aufgefunden; dass das Tier
       mit über einem Meter Länge überhaupt an der Mündung lebte, „ist an sich
       schon eine tolle Tatsache“, sagt Biologin Claus, „der war schon viele Jahre
       alt. Schade, dass es jetzt mit ihm vorbei ist“. Der Stör war in
       Mitteleuropa ausgestorben und wurde [2][erst seit 2006 wieder in der Elbe
       angesiedelt].
       
       Wie viele Tiere an der Elbmündung tatsächlich gefunden wurden, ist bisher
       nicht bekannt: Das zuständige Institut für Fisch und Fischereiprodukte
       Laves aus Cuxhaven, das die Meldungen zusammenführen soll, verweist aufs
       Umweltministerium in Niedersachsen, das wiederum auf den Landkreis
       Cuxhaven, der sich seinerseits bis Redaktionsschluss gar nicht geäußert
       hat. Auch zum Zustand der Tiere gibt es keine offiziellen Mitteilungen.
       Biologin Claus geht zumindest nicht davon aus, dass die Menge an
       Fischkadavern eine echte Gefahr fürs Ökosystem darstellt: „Viele Möwen
       finden da ihr Futter.“
       
       Da die Umweltverbände Anzeige erstattet haben, werden die Ursachen fürs
       Fischsterben nun auch von der Wasserschutzpolizei in Hamburg und Cuxhaven
       untersucht. Bis man Genaueres weiß, fordert das Bündnis „Lebendige
       Tideelbe“, die Baggerarbeiten an der Elbmündung einzustellen.
       
       Statt der zuständigen Hamburg Port Authority und der Generaldirektion
       Wasserstraßen und Schifffahrt antwortet die Stadt Hamburg auf die
       taz-Anfrage zu der Forderung: Die Behörde für Wirtschaft und Innovation
       beschränkt sich zunächst auf die Erklärung, die Ursachen für das
       Fischesterben seien noch nicht bekannt. Erst auf nochmalige Nachfrage heißt
       es: „Die Baggerarbeiten auf Hamburger Gebiet werden nicht eingestellt.“
       
       ## Das Sterben der Heringe hat andere Gründe
       
       Für BUND-Mann Schmid ist das keine Überraschung: „Es ist bedauerlich, aber
       wirtschaftliche Argumente stehen fast immer über dem Schutz der Natur.“
       Erst vor vier Wochen hatte ein Gericht eine [3][Klage gegen die
       Elbvertiefung abgelehnt.] Auch falls Sauerstoffmangel der Grund für das
       Fischsterben ist, sieht Schmid die Schuld bei den Vertiefungsarbeiten,
       „schließlich führt das [4][Baggern zu Trübung und Sauerstoffzehrung]“.
       
       Das sieht Biologe Rainer Borcherding von der Schutzstation Wattenmeer
       ähnlich: „Bei diesen Temperaturen so eine Menge Schlick aufzuwirbeln, ist
       für ein Ökosystem einfach eine Schwachsinnsidee.“ Zurzeit hat er aber ein
       ganz anderes Rätsel zu lösen: Denn nicht nur an der Elbmündung, sondern an
       der gesamten westlichen Nordseeküste werden seit dem Wochenende tote
       Jungheringe an den Stränden gemeldet.
       
       Dass die toten Heringe mit den toten Fischen an der Elbe zusammenhängen,
       glaubt Borcherding nicht – dafür sind sie zu weit verteilt, Funde gibt es
       bis hoch nach Sylt, auf den Halligen, und an der Wesermündung. Tausende,
       vielleicht auch ein paar Zehntausende von ihnen wurden angeschwemmt. „Das
       heißt erst mal nichts, im Meer schwimmen ein paar Millionen. Aber wir
       wissen bisher nicht, was unter Wasser los ist.“
       
       Was die Ursache für den Tod der jungen Heringe ist, weiß Borcherding nicht.
       Sauerstoffmangel und giftige Algen hätten vermutlich auch andere Jungfische
       getroffen. Fischbiologen, mit denen er sich ausgetauscht habe, gingen am
       ehesten von einer Krankheit der Heringe aus – die allerdings wäre sehr
       plötzlich gekommen und hätte sich schnell ausgebreitet. „Das ist
       ungewöhnlich“, so Borcherding. „Bisher fällt uns allen nichts
       Vergleichbares ein.“
       
       24 Jun 2020
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lotta Drügemöller
       
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