# taz.de -- Fahrrad-Boom in Corona-Pandemie: Schrei nach mehr
       
       > In Coronazeiten steigen mehr Leute aufs Rad. Pop-up-Radwege schaffen
       > wunderbar Platz – aber sie suggerieren eine Sicherheit, die es nicht
       > gibt.
       
 (IMG) Bild: Radeln: Weniger beschissen ist weit entfernt von gut
       
       2,34 Millionen BerlinerInnen können nicht irren. So viele RadfahrerInnen
       wurden im Monat Juni [1][an den aktuell 16 automatischen Zählstellen der
       Stadt] registriert, satte 26 Prozent mehr als im Juni des Vorjahrs. Und das
       ist keineswegs nur ein Trend aus Berlin. Laut einer [2][Umfrage für die
       Krankenkasse DKV] legt wegen der Coronapandemie ein Viertel der Befragten
       Wege zu Fuß oder mit dem Rad zurück, für die zuvor Auto oder ÖPNV genutzt
       wurden. Und der Zweirad-Industrie-Verband schwärmt von den besten
       Verkaufszahlen aller Zeiten.
       
       In Zeiten der Pandemie kommen die Vorzüge des Fahrrads so richtig zur
       Geltung. Man meidet die virenverdächtige Enge von Bussen und Bahnen und
       kommt dennoch locker an all denen vorbei, die sich ins Auto stauen. Aber
       ist Radfahren tatsächlich die gesündeste Art, sich fortzubewegen?
       
       Leider nein. In Berlin steigt auch die Zahl der Verunglückten. [3][Am
       Dienstag meldete die Polizei], dass wieder ein Radfahrer starb, nachdem er
       von einem rechtsabbiegenden Lkw überrollt wurde. Er ist in diesem Jahr
       bereits der zehnte getötete Radler in Berlin. In den Vorjahren waren es bis
       Anfang Juli [4][laut ADFC] im Schnitt gerade mal fünf bis sechs.
       
       Aber wie kann das sein? Hat man nicht zuletzt immer wieder von diesen
       schicken neuen Pop-up-Radwegen gelesen, die in Berlin installiert werden?
       Seit der [5][findige Leiter des Kreuzberger Grünflächenamts] Ende März die
       ersten Autospuren in Radwege umwidmete, entstanden bereits [6][insgesamt 22
       Kilometer gut zu fahrende, meist vom Autoverkehr durch Poller abgrenzte
       Radspuren] – eine Velorution.
       
       ## Warten auf 2024?
       
       Jeder einzelne Meter davon ist großartig – und ein Schrei nach mehr. Wer
       hier entlang radelt erkennt erst, wie sehr man im Rest der Stadt von der
       Autogesellschaft verarscht wird. Doch auch wenn der ADAC und die
       Autofahrerpartei FDP schon lauthals über diese 22 Kilometer stöhnen, sind
       sie nichts als ein Tropfen auf den heißen Asphalt. Es gibt in Berlin mehr
       als 1.500 Kilometer städtische Hauptstraßen. Auf 98 Prozent davon hat man
       als Radler also weiterhin das Nachsehen. Besserung ist immerhin
       versprochen. Seit zwei Jahren werden in Berlin [7][neun Radschnellwege
       geplant]. Der erste davon soll aber frühestens 2024 fertiggestellt werden.
       
       Dass sich Verwaltung und Politik mit der Fahrradplanung schwer tun, ist
       kein Berliner Problem. Im Ruhrgebiet gab es schon vor 10 Jahren die Idee
       für eine über [8][100 Kilometer lange Route von Duisburg bis Hamm]. 2015,
       bei der Einweihung der ersten 6 Kilometer [9][wurde das als bundesweites
       Modellprojekt gefeiert]. Fünf Jahre später ist es gerade mal auf 12
       Kilometer angewachsen.
       
       Das ist fatal. Denn die fertiggestellten Teilstücke locken nicht nur schon
       jetzt vermehrt RadlerInnen an; sie suggerieren eine Sicherheit, die es
       nicht gibt. Weder auf dem Weg dorthin, noch auf den Teilstücken selbst. In
       Berlin wurde auf einem der viel gerühmten Pop-up-Radwege schon eine Frau
       von einem Lkw überrollt – weil es nach wie vor allem an den Kreuzungen an
       sicherer Infrastruktur fehlt. Kein Wunder, dass Unfallforscher in
       Innenstädten aufs Rad verzichten, [10][weil es ihnen zu gefährlich ist].
       
       Kürzlich stellte das Projekt fixmyberlin [11][die Ergebnisse einer Umfrage]
       vor. Danach werden nur vom Autoverkehr baulich deutlich abgetrennte Radwege
       von den NutzerInnen als sicher empfunden. Klingt banal? Ja, aber das haben
       eben nicht nur die RadlerInnen, sondern auch die AutofahrerInnen
       geantwortet. Von einer umfassenden Fahrradinfrastruktur würden also alle
       profitieren. Sie müsste nur gebaut werden.
       
       9 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.berlin.de/senuvk/verkehr/lenkung/vlb/de/karte.shtml
 (DIR) [2] https://www.ergo.com/de/Media-Relations/Medieninformationen/MI-2020/20200706-DKV-Kurzstudie-Gesundheit-Corona?referrer=Tw
 (DIR) [3] https://www.berlin.de/polizei/polizeimeldungen/pressemitteilung.956088.php
 (DIR) [4] https://adfc-berlin.de/radverkehr/sicherheit/information-und-analyse/145-unfallorte.html
 (DIR) [5] /Fahrradpolitik-in-Berlin/!5670935
 (DIR) [6] https://app.developer.here.com/covid19-bike-lanes-germany-europe/?city=berlin
 (DIR) [7] https://www.infravelo.de/projektarten/radschnellverbindungen/
 (DIR) [8] https://www.radschnellwege.nrw/rs1-radschnellweg-ruhr
 (DIR) [9] /Neue-Fahrradautobahn-gebaut/!5252081
 (DIR) [10] https://www.bz-berlin.de/berlin/mitten-durch-die-stadt-mit-dem-rad-das-ist-mir-zu-gefaehrlich
 (DIR) [11] https://fixmyberlin.de/research/subjektive-sicherheit
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gereon Asmuth
       
       ## TAGS
       
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