# taz.de -- Leichtathletik nach der Corona-Pause: Der lange Gang
       
       > taz-Serie Sommerspiele (14): Carl Dohmann und Nathaniel Seiler sind
       > Trainingspartner. Der Weg nach Tokio ist länger geworden. Sie gehen ihn
       > weiter.
       
 (IMG) Bild: Er geht und geht: Carl Dohmann bei der Leichtathletik-WM 2017 in London
       
       Natürlich verfolgen auch Carl Dohmann und Nathaniel Seiler die
       Diskussionen, die es zuletzt ja wieder vermehrt über die ins nächste Jahr
       verschobenen Spiele gibt samt der bangen Frage, ob [1][Olympia zumindest
       2021 wird stattfinden können]. Allzu sehr an sich ranlassen wollen die
       beiden Geher das Thema dann aber doch nicht. „Sich jetzt schon darüber
       verrückt zu machen, was in einem Jahr sein wird, macht ja keinen Sinn“,
       findet Dohmann, 30 Jahre alt und WM-Siebter von Doha 2019 über 50
       Kilometer. „Ich bereite mich ganz normal auf die Spiele vor. Wenn sie dann
       stattfinden und ich dabei bin, ist es super“, sagt der fünf Jahre jüngere
       Seiler, der bei der Berliner Heim-EM vor zwei Jahren Achter geworden war.
       
       Das klingt abgeklärt, fast schon unterkühlt, schließlich sind es die
       Olympischen Spiele, über die die beiden da sprechen. Andererseits ist es
       wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, um als Spitzenathlet nicht an
       diesem verdammten Virus und seinen Auswirkungen auch auf die Welt des
       Sports zu verzweifeln. Geradezu typisch für Ausdauerathleten ist die
       Haltung der beiden Top-Geher zudem: Während der rund vier Stunden, die sie
       für die 50 Kilometer, ihre Spezialstrecke, benötigen, passiert schließlich
       fast immer Unvorhergesehenes.
       
       Dass Höhen mit Tiefen wechseln, ist völlig normal. Man lernt automatisch,
       sich auf Begebenheiten einzustellen und das Beste aus ihnen zu machen. So
       wie es zum Gehen auch dazugehört, nicht zu lamentieren. Geher, auch wenn es
       anders aussehen mag, sind knallharte Burschen.
       
       Natürlich: Auch Dohmann und Seiler waren tief enttäuscht, als sie von der
       Absage der Spiele in diesem Sommer erfahren haben. Auch ihnen hat es kurz
       den Boden unter den Füßen weggezogen, auf dem sie in der Vorbereitung auf
       die Olympiasaison schon wieder Tausende von Kilometern gegangen waren,
       einen Großteil davon in zwei insgesamt fünfwöchigen Trainingslagern Anfang
       des Jahres in Südafrika. Andererseits hat sich auch schnell die Vernunft
       bei ihnen durchgesetzt und die Erkenntnis, dass man Olympia nicht um jeden
       Preis austragen kann und darf. „Das wären keine schönen Spiele geworden“,
       ist Seiler sich sicher. Dohmann nickt zustimmend mit dem Kopf.
       
       ## Honig und Homepage
       
       Zusammen mit ihrem Trainer Robert Ihly, einst selbst Weltklasse-Geher,
       haben die beiden Badener, die meist gemeinsam in Freiburg trainieren,
       beschlossen, erst mal eine Trainingspause einzulegen. Dohmann, der sich
       gerade ein berufliches Standbein als freier Journalist aufbaut, hat endlich
       einen schon länger gehegten Plan in die Tat umgesetzt und seine Homepage
       mit allerlei Hintergründigem zum Gehen versehen. Eine richtige Geher-Fibel
       ist mittlerweile daraus geworden.
       
       Seiler hat, wenn er nicht gerade mit dem Bike durch den heimischen
       Schwarzwald gefahren oder gerannt ist, seinem Vater, einem Hobby-Imker, bei
       den Bienen geholfen. „Nicht zuletzt für den Kopf war diese Pause mal ganz
       gut“, findet Dohmann, der mittlerweile seit über fünf Jahren in der
       erweiterten Weltspitze mitmischt und schon bei den Spielen in Rio am Start
       war.
       
       Ende Mai sind die beiden dann wieder ins Training eingestiegen. Einen
       Wettkampf haben sie bislang mangels Gelegenheit noch nicht absolviert, auch
       die für Oktober vorgesehenen deutschen Meisterschaften über 50 Kilometer in
       Gleina wurden abgesagt. An ihrer statt bereiten sich Dohmann und Seiler nun
       auf einen Wettkampf in Tschechien vor.
       
       Über 20 Kilometer wird der gehen, weniger als die Hälfte des Üblichen.
       Entsprechend schneller als gewöhnlich geht es derzeit im Training zur
       Sache. „Für den Körper ist es ganz gut, wenn mal neue Reize gesetzt
       werden“, stellt Dohmann fest und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, Hoffnung,
       dass er von diesem erhöhten Tempo später auch über 50 Kilometer profitieren
       kann.
       
       ## Einfach weitergehen
       
       Noch wissen sie beide nicht sicher, ob und [2][wie die Saison weitergehen,]
       und schon gar nicht, wie es nächstes Jahr sein wird. „Es ist nach wie vor
       ein Trainieren ins Ungewisse“, sagt Dohmann – und nicht immer fällt das
       leicht. „Manchmal ist es schon schwer, sich zum Training zu überwinden“,
       gibt Seiler zu. Meist gelingt es ihnen, schließlich gilt es topfit zu sein
       für den Fall der Fälle. Bis Mai nächstes Jahres können sich Dohmann und
       Seiler für die Spiele in Tokio qualifizieren. Die Chancen, dass sie bei den
       Spielen kommenden Sommer dabei sind, stehen aktuell nicht schlecht.
       
       Aber was, wenn das Coronavirus ihnen wieder einen Strich durch die Rechnung
       macht und tatsächlich das passiert, woran die beiden heute noch gar nicht
       denken wollen? „Ich mache auf jeden Fall weiter. Ich will einmal bei
       Olympia dabei sein“, sagt Nathaniel Seiler. Auch Trainingspartner Dohmann
       denkt nichts ans Aufhören. „Mit 30 habe ich den Geher-Zenit noch nicht
       überschritten“, sagt er zum einen. Zum anderen hat er mit Olympia noch eine
       Rechnung offen: In Rio vor vier Jahren kam er nicht ins Ziel.
       
       27 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
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