# taz.de -- Ausgehen in Corona-Zeiten: Tischtelefone für die alte Schule > Statt sich auf Tinder die Finger wundzuwischen, könnten die Listen in > Lokalen zur Kontaktanbahnung dienen. Oder ist das eher eine katastrophale > Idee? (IMG) Bild: Ganz schön schwer: Tischtelefon Katastrophenfilme waren vor Corona en vogue. Vielleicht erinnern Sie sich. Ich vermutete dahinter immer eine Sehnsucht nach der Tabula rasa, die einen Ausweg aus den Verstrickungen unserer verkorksten Leistungsgesellschaft ermöglichen würde. Alle Strukturen verlören ihren Sinn, um dann einen zärtlichen Anarchismus starten zu können. Trotz all unserer Sehnsucht nach der Apokalypse haben wir uns in diesen Filmen aber nie ausgemalt, wie viele Witze wir über die neuen mehr oder weniger absurden Sicherheitsmanöver machen würden, die eine Pandemie von uns abverlangen würde. Ich habe jedenfalls in keinem dieser Filme gesehen, dass vor Kiosken Leute stehen, die keine Lust haben, ihre Maske aus der Tasche zu kramen, um mit reinkommen zu können, wenn ihr Spaziergangspartner sich eine Apfelsaftschorle holen möchte. Nun stehen also Trauben von Menschen vor der Tür herum, die wie Hunde auf Frauchen warten. Und trotzdem reden sie nicht miteinander wie im Fahrstuhl oder am Pissoir (nehme ich an). Statt zu jaulen oder sich zu beschnüffeln, starren sie auf ihr Smartphone oder die Auslage eines benachbarten Geschäftes. Endlich könnten wir die Maßnahmen durchexerzieren, die wir uns in den letzten Jahrzehnten für globale Katastrophen ausgemalt hatten, und was kommt dabei raus? Maskenmuffel. Das ist die Pandemierealität. Noch so eine Sache, die wir uns nicht ausgemalt hatten: dass man sich in Restaurants, Kneipen oder Hotels in Coronalisten eintragen soll. Falls man in den nächsten Tagen feststellen sollte, dass einer der dort Anwesenden krank geworden ist, könnte man die anderen darüber unterrichten. Eine analoge Corona-App sozusagen. Kürzlich habe ich auf einer Fähre einen kleinen Fluss überquert. Die Fähre war ein offenes Plateau für Autos und Fahrräder, es gab noch nicht mal einen Aufenthaltsraum oder eine Toilette. Die einzige Möglichkeit, wie ich mich dort mit Corona hätte anstecken können, war, den Stift anzufassen, um die Liste auszufüllen. Einfach mal anrufen Also überlege ich mir, einen Stempel mit meinen Angaben anzuschaffen, den ich nur fachkundig auf die Listen drücken müsste. Ich habe als Kind schon gerne Büro gespielt. Mein Papa brachte Formulare von der Arbeit mit, die ich dann wonnevoll ausfüllen (und ausmalen) konnte. Somit bekam ich sogar spielerisch Zugang zu meiner Steuererklärung, was, wenn ich mir die Klagen meiner Freunde anhöre, ein Segen zu sein scheint. Da ich also gerne mit Stempeln spiele, sehen Sie schon: Ich bin eher alte Schule. Bilde ich mir jedenfalls gerne ein. Und so überlege ich, ob man durch die Coronalisten die Idee des guten alten Tischtelefons wiederbeleben könnte. In Kneipen sieht (und riecht!) man die Leute schließlich in echt, statt sich auf Tinder die sehnsüchtigen Finger wundzuwischen. Wenn ich in eine Kneipe gehe, mache ich also ein Foto von der Liste und merke mir den Listenplatz der Personen, die vor mir in der Reihe stehen und die ich gerne mit meiner Lebensweisheit überfluten möchte. Nach dem ersten Drink zücke ich mein Handy. Den jungen Mann in der Ecke könnte man ja mal anrufen, natürlich nur, um zu erfragen, wo er seine schöne Tasche herhat. Oder die Frau fragen, wo sie ihr Kleid herhat, oder dem Mann sagen, dass er mal längere Haare wagen sollte, oder seinen Nachbarn fragen, ob er mir einen Drink spendieren möchte. Nun ist öfter schon darauf hingewiesen worden, dass die für alle sichtbaren Telefonnummern auf diesen Listen das Leben von Stalkern erleichtern und das ihrer Opfer erschweren könnten. Ich weiß nicht, was damit gemeint ist, ich bin nur alte Schule. Tischtelefone, das wäre doch was für den ersten Coronakatastrophenfilm. 21 Jul 2020 ## AUTOREN (DIR) Sarah Diehl ## TAGS (DIR) Kolumne Berlin viral (DIR) Schwerpunkt Coronavirus (DIR) Film (DIR) Tinder (DIR) Stadtleben (DIR) Kolumne Berlin viral (DIR) Kolumne Berlin viral (DIR) Kolumne Berlin viral (DIR) Kolumne Berlin viral (DIR) Kolumne Berlin viral ## ARTIKEL ZUM THEMA (DIR) Auf einem illegalen Rave in Berlin: DJ Superspreader Ein bisschen Tanz auf dem Vulkan muss sein. Also nichts wie hin zu Partys auf den Brachen, die es in Berlin überraschenderweise doch noch gibt. (DIR) Shopping zu Pandemiezeiten: Ständig Durchsagen Schlechtes Wetter, keine Chance auf Tickets fürs Museum, Dauergedudel im Warenhaus. Der Urlaub kann nur noch besser werden. (DIR) Flanieren durch Berlin: Die Überstunden des Nervensystems Ist das, was auf dem Bildschirm passiert, die Welt? Oder bildet die Welt nur das ab, was auf dem Bildschirm passiert? Ein psychogeografischer Essay. (DIR) Spaziergänge mit Schrifstellerinnen: Da lag ihr Buch im Schaufenster Neue Hobbys in der Coronazeit: Instagram-Stories ohne Ton schauen. Schreibprojekte entwerfen. Dann doch länger liegen bleiben. (DIR) Schwimmbad trotz Corona: Wie Freigang im Gefängnishof Nervt Corona, hilft der Sprung ins blaue Nass. Sehr entspannend sind die strengen Regeln allerdings auch nicht. Killt das Chlor wenigstens das Corona?