# taz.de -- 60. Namenstag der „Beatles“: Ein Sterni mit Johnny
       
       > Vor genau 60 Jahren spielten vier junge Musiker aus Liverpool in Hamburg
       > erstmals als „The Beatles“. Zu diesem Anlass treffen wir einen alten
       > Freund.
       
 (IMG) Bild: Die „Beatles“, John, Paul, George und Ringo, 1963. Ihre Karriere begann drei Jahre zuvor in Hamburg
       
       Johnnys Einkaufswagen war bis zum Rand mit Spumante und rotem Krimsekt
       vollgepackt. „Was los, Johnny?“, fragte ich: „Kein Toastbrot heut?“ „Ach
       Mensch“, erwiderte er nasal und mit dem leisen englischen Akzent: „Ich hab
       Party am Montag, Paule kommt auch schon heute Abend an.“ Geburtstag konnte
       es nicht sein, das war irgendwann im Oktober.
       
       Ich hatte Johnny vor bald 20 Jahren das erste Mal vor der Kaufhalle in der
       Choriner Straße in Berlin-Prenzlauer Berg getroffen, als er einen
       Einkaufswagen anfluchte, weil seine Mark nicht freigegeben wurde. Da muss
       er schon um die 60 gewesen sein. Eine auffällige Gestalt, nicht zu hoch
       gewachsen zwar, aber Löwenmähne, weite Klamotten, bisschen Altershippie.
       Erst dachte ich, so ein Ex-Bürgerrechtler, Prenzlauer Berg eben, aber der
       Akzent verriet ihn. Zugereist.
       
       Ich hatte ihm geholfen, die Münze aus dem Wagen zu bekommen, und seitdem
       hielten wir immer ein Schwätzchen, wenn wir uns trafen. Meistens am Lidl.
       Johnny war Anfang der 90er nach Berlin gekommen. Davor muss er eine ganze
       Weile durch die Welt gereist sein; Südamerika, Indien und so weiter. Wovon
       er lebte, wusste ich nicht so recht, er schien aber immer genug Geld zu
       haben.
       
       An der Gegend hier gefiel ihm das Nachwendeflair, die netten Kneipen, die
       kauzigen Leute, da passte Johnny gut rein. Als ich ihn kennenlernte, war
       vieles davon schon nicht mehr da, und immer mehr war im Begriff zu
       verschwinden. Das missfiel ihm zwar, wie er mal erzählte, aber langsam
       fühlte er sich zu alt, um schon wieder ganz woanders neu anzufangen.
       
       Irgendwann begegneten wir uns weiter unten auf der Lottumstraße, er lud
       mich auf ein Sterni [1][ins Bandito] ein. Als die irgendwann zumachten,
       nahm er mich einfach mit in seine Wohnung, wo wir weitertranken. Ich war
       ziemlich strack, muss irgendwann auf dem Sofa eingeschlafen sein. Es war
       bestimmt schon mittags, als ich vom Klavier geweckt wurde. Johnny spielte
       [2][„Imagine“] im Nebenzimmer. Die nasale Stimme: „You may say I’m a
       dreamer, / but I’m not the only one“. Ich musste weinen.
       
       ## „Willst du mich verarschen? Alter, ich bin tot“
       
       Als ich ihm später sagte, was für ein berührender Moment das gewesen war,
       als er das Lied nur für mich gesungen hatte, meinte er ganz ernsthaft:
       „Mann, ich hab das doch immer nur für dich gespielt, wie all die anderen
       Songs auch. Die haben alle nur darauf gewartet, von dir gehört zu werden.“
       Wow.
       
       Wir sahen uns dann öfter. Wenn er Lust hatte, nahm Johnny die Gitarre oder
       setzte sich ans Klavier und spielte für mich. Oder er erzählte von früher,
       von Liverpool, von Hamburg, von den Jungs, von Yoko. Und davon, wie alles
       endete. „Und du willst wirklich nie wieder auftreten?“, fragte ich ihn mal.
       „Willst du mich verarschen? Alter, ich bin tot.“
       
       Und jetzt half ich dem alten Mann, in der glühenden Hitze den Sekt in die
       dritte Etage hochzutragen. „Was feiert ihr eigentlich?“, wollte ich wissen?
       „[3][Unseren 60. Namenstag]. Wir wollten eigentlich nach Hamburg. Aber
       wozu? Die Reeperbahn ist auch nur noch scheiße. Die Kneipe, wo wir das
       erste Mal aufgetreten sind, gab es außerdem schon zwei Monate später nicht
       mehr. Lärmbelästigung“, grinste er, „das waren wir.“
       
       „Hast du dein Auto inzwischen reparieren lassen“, wollte Johnny dann noch
       wissen. Hatte ich, und so ist es gekommen, dass ich am Samstagabend zwei
       ältere, leicht angetrunkenen Herren von Tegel nach Prenzlauer Berg
       kutschierte. Johnnys Kumpel, Paule, war viel netter, als ich es mir nach
       Johnnys Erzählungen vorgestellt hatte, und er sprach ebenfalls Deutsch,
       wenn auch ungeübter.
       
       Die beiden hatten noch am Gate den ersten Krimsekt geöffnet und machten die
       ganze Fahrt über blöde Witze. „Alter, mach mal Berliner Rundfunk an!“,
       sagte Johnny, und dann zu Paule: „Fünf Euro.“ Der schlug ein. Wir waren
       schon fast durch den Wedding durch, als „[4][Yesterday“] lief. Johnny schob
       grunzend den Schein rüber.
       
       Ich lud die beiden in der Choriner ab, trug noch Paules Rollkoffer hoch und
       verabschiedete mich. Einschlafen konnte ich nicht so gut, es war immer noch
       ziemlich heiß. Irgendwann später schien es mir, als hörte ich vom Dach her
       Musik rüberwehen. Eventuell [5][„Get Back“]? Aber ganz sicher bin ich mir
       da nicht.
       
       Vielleicht hab ich das auch nur geträumt.
       
       17 Aug 2020
       
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