# taz.de -- Biodiversität in isolierten Lebensräumen: Artenschwund rasanter als gedacht
       
       > Das Aussterben von Tieren durch Habitatzerstörung wird unterschätzt, sagt
       > eine Studie. Die Ergebnisse könnten aber beim Artenschutz helfen.
       
 (IMG) Bild: Durch Rodung entstandene „Waldinsel“ in Brasilien: Hier hat es die Artenvielfalt schwer
       
       Das Artensterben erfolgt vor allem in isolierten Lebensräumen wie
       Waldabschnitten noch rasanter als bisher angenommen. Zu diesem Ergebnis
       kommt eine Studie, die [1][am Mittwoch im Fachmagazin Nature] erschien. Die
       Meta-Untersuchung von 123 Forschungsarbeiten deutet darauf hin, dass
       gängige Vorhersagemodelle zu stark vereinfachen – und den Artenverlust
       durch Rodungen, Brände, Trockenlegen oder andere sogenannte
       Habitatzerstörung oft sogar unterschätzen.
       
       Das betreffe beispielsweise auch den [2][viel zitierten
       Weltbiodiversitätsrat-Bericht von 2019], erklärt Jonathan Chase, einer der
       Autoren. „Das liegt daran, dass wir bis jetzt keine stichhaltigen Beweise
       dafür hatten, wie stark Habitatzerstörung über verschiedene Ökosysteme und
       Arten hinweg tatsächlich ist“, führt der Leiter der Forschungsgruppe
       Biodiversitätssynthese des Forschungszentrums iDiv weiter aus.
       
       Es gibt bei der Ermittlung des Artensterbens durch Habitatzerstörung zwei
       konkurrierende Ansätze. Die passive-sampling-Hypothese geht von einer
       einfachen, linearen Entwicklung aus: Je mehr Lebensraum zerstört wird,
       desto mehr Arten verschwinden.
       
       Die ecosystem-decay-Hypothese hingegen behauptet, dass Habitatinseln – von
       Feldern umgebene Regenwaldreste oder auch echte Inseln in Stauseen – andere
       Dynamiken haben als große Lebensräume. So brauchen manche Arten weitläufige
       Biotope, um sich wohlzufühlen. Diese These ist nicht neu, und es gab auch
       schon Studien, die sie belegten – im Kleinen. Nun aber konnte das
       fünfköpfige Forscher:innen-Team validierte Belege für die
       ecosystem-decay-Hypothese aufzeigen.
       
       ## Jahrelange Datenrecherche
       
       In vielen Fällen waren die nötigen Angaben zum Artenreichtum von Pflanzen,
       Vögeln, Fledermäusen, Fröschen oder Insekten in bereits veröffentlichen
       Studien nicht zu finden. „Oft haben wir die Autoren kontaktiert. Viele von
       ihnen haben wirklich alles getan, um uns zu helfen: Sei es, alte
       Notizbücher von Feldarbeiten herauszukramen, längst abgelaufen
       Software-Versionen oder auch Hardware zu knacken“, so Chase. Bis alles
       zusammengesammelt war, vergingen Jahre.
       
       Trotz der dramatischen Ergebnisse üben sich die Studienautor:innen in
       Optimismus. Ein Teilergebnis nämlich ist, dass der Artenrückgang auch davon
       abhängt, was sich genau um die Habitatinseln herum befindet. Handelte es
       sich um „eine vogel- oder bienenfreundliche Landwirtschaft, dann war der
       lokale Artenverlust geringer“, erklärt Co-Autor Felix May. Co-Autorin
       Tiffany Knight fügt hinzu: „Was uns überrascht hat, war, dass der Verfall
       von Ökosystemen in den Studien aus Europa dort schwächer ausgeprägt war, wo
       Lebensräume oft schon vor vielen Hundert Jahren verlorengegangen waren.“
       
       Für Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle passt
       das letztlich doch ins Bild: „In Gebieten, wo der Habitatverlust nicht so
       extrem und eher langsam vonstatten ging, haben Tiere und Pflanzen mehr
       Zeit, sich anzupassen oder einzuwandern.“ Der Biologe stimmt den
       Studienautor:innen zu, dass man die Ergebnisse politisch nutzen kann, um
       Forderungen beispielsweise nach Biotopverbünden und dem Erhalt der
       biologischen Vielfalt insgesamt Nachdruck zu verleihen.
       
       Die Forderung nach weniger Vereinfachung bei der Vorhersage des
       Artensterbens betrifft auch Settele, der als Co-Vorsitzender den Bericht
       des Weltbiodiversitätsrats mit verantwortet. Dessen Schätzungen, dass etwa
       eine Million Arten weltweit vom Aussterben bedroht seien, war öfter als
       alarmistisch kritisiert worden. „Nun wissen wir, dass wir sogar zu
       vorsichtig waren“, so Settele.
       
       29 Jul 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.nature.com/articles/s41586-020-2531-2
 (DIR) [2] /Weltweites-Artensterben/!5592689&s=josef+settele/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andrew Müller
       
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