# taz.de -- Berlin auf dem Weg zur Solarcity: Kraftvolles Scheinen
       
       > Auf Schulen werden zwar mehr und mehr Solarpaneele installiert. Insgesamt
       > ist das aber sehr wenig. Jetzt prüft der der Senat eine Solarpflicht.
       
 (IMG) Bild: Kraft sammeln, auf den Dächern von Berlin
       
       Brutzelt die Sonne über Berlin, sollte man diese doch [1][einfangen und
       steckdosentauglich machen] – könnte man meinen. Für Solaranlagen ist auf
       den Dächern der Hauptstadt noch massig Platz, sagen Studien. Doch Berlin
       ist deutschlandweit weiterhin Schlusslicht bei der Nutzung von
       Solarenergie. Damit leere Dächer stärker bestückt werden, will der Senat
       Ende des Jahres ein Solargesetz beschließen und prüft eine Solarpflicht für
       alle Dächer – trotz oder gerade wegen des Mietendeckels.
       
       Pünktlich zum Schulstart nach den Sommerferien bauen die Berliner
       Stadtwerke derzeit 15 Solaranlagen auf Schuldächer in
       Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Zehlendorf. Mit weiteren Bezirken, etwa
       Lichtenberg, gibt es bereits Verträge; oder sie werden verhandelt, wie mit
       Neukölln. Auch auf anderen öffentlichen Gebäuden kommt die vom
       rot-rot-grünen Senat seit Jahren propagierte Installation von Solaranlagen
       langsam in Gang: auf Häusern der Bezirke und öffentlicher Unternehmen, wie
       der Wasserbetriebe. Das ergeben fünf Anfragen des Linken-Abgeordneten
       Michael Efler von Anfang Juni, der jährlich abfragt, wie es um die
       Solarenergie in Berlin steht. Und das ist die gute Nachricht.
       
       Die Schlechte: Insgesamt ist das sehr wenig. Was laut grüner
       Wirtschaftssenatorin Ramona Pop „Vorbildwirkung“ haben soll, ist vielmehr
       Ausnahme. Auf öffentlichen Gebäuden gibt es bei weitem nicht so viel Platz
       und Sonne für Solaranlagen wie auf Mehrfamilienhäusern, wo das größte
       Potenzial schlummert (siehe Kasten). Doch im privaten Bereich liegen die
       Potenziale brach.
       
       Unterm Strich lag der Solarstromanteil in Berlin 2018 bei schmächtigen 1,4
       Prozent. Für 2019 dürfte er etwas gestiegen sein, belastbare Zahlen gibt es
       noch nicht. Auf stolze 25 Prozent solle er bis 2050 klettern, beschloss der
       Senat im März mit dem Masterplan Solarcity. Schaut man sich die Nutzung
       erneuerbarer Energien bezogen auf den gesamten Energieverbrauch an, liegt
       der Anteil bei mageren 4 Prozent (2016) – das zeigt der
       Bundesländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien, Berlin ist hier
       Schlusslicht.
       
       Eine Solarpflicht soll das jetzt ändern. Der Senat prüft, ob verpflichtend
       eingeführt werden kann, dass eine Solaranlage gebaut werden muss – bei
       Neubauten und dem Bestand, wenn das Dach erneuert wird. Der Entwurf für ein
       entsprechendes Solargesetz, den der Senat derzeit noch unter Verschluss
       hält, soll im vierten Quartal beschlossen werden, teilt die
       Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe mit. Um maximal einen
       Euro pro Monat und Quadratmeter darf die Miete in Berlin laut Mietendeckel
       steigen, wenn das Haus energetisch saniert wird. Das soll laut Senat auch
       für die Solarpflicht gelten.
       
       „Eine Solarpflicht ist nicht die intelligenteste Lösung“, sagt Reiner Wild
       vom Mieterverein. Dem Haus unter dem Dach und den darin wohnenden
       Mieter*innen würde das kaum etwas bringen. Zwar könnte eine Pflicht
       Treiberin für [2][Mieterstromprojekte] sein, aber dafür müssten Regelungen
       verbessert werden.
       
       In Berlin, wo 83 Prozent der Wohnungen vermietet sind, sind
       Mieterstromprojekte für eine sozialverträgliche Energiewende unverzichtbar.
       Mieter*innen profitieren dabei direkt vom günstigen Strom aus der
       Photovoltaikanlage auf dem Dach. Eigentümer*innen müssen jedoch überzeugt
       und gefördert werden: Bislang werden Mieterstromprojekte kaum umgesetzt –
       sie rechnen sich zu wenig. Zwar lohnt es sich für Hauseigentümer*innen mit
       Solaranlage bislang deutlich mehr, wenn sie ihren Strom selbst nutzen und
       nicht ins Netz einspeisen. Doch für sogenannten gemeinschaftlichen
       Eigenverbrauch wie Mieterstrom gibt es enorme rechtliche Hürden auf
       Bundesebene. Um Mieterstrom zu stärken, startete Berlin 2018 eine
       Initiative im Bundesrat – vergeblich. „Wir können nicht länger auf den Bund
       warten“, sagt der Grünen-Abgeordnete Georg Kössler, weshalb jetzt eine
       Solarpflicht sinnvoll sei.
       
       Um für aktuell noch unwirtschaftliche Fälle wie Mieterstrom bessere
       Rahmenbedingungen zu erhalten, müsse Berlin weiter Druck auf den Bund
       ausüben, sagt Bernd Hirschl vom Institut für ökologische
       Wirtschaftsforschung (IÖW), das die Machbarkeitsstudie „Klimaneutrales
       Berlin 2050“ federführend für den Senat erarbeitet hat. Parallel zu einer
       Solarpflicht brauche es verstärkte Förderungen auf Landesebene.
       
       Die Idee für eine Solarpflicht ist nicht neu: In Hamburg soll 2023 eine
       Solarpflicht für den Neubau eingeführt werden – 2025 dann für den Bestand.
       In [3][Baden-Württemberg soll sie ab 2022 kommen], für Neubauten, die keine
       Wohngebäude sind. Für den Neubau sei eine Solarpflicht sinnvoll, sollte
       aber weitere Nutzungsmöglichkeiten der Berliner Dächer als Aufenthaltsort,
       Technikfläche, Gründach und zur Wasserversickerung berücksichtigen, sagt
       Juan Victoria von BLS Energieplan, einem Planungs- und Beratungsbüro für
       nachhaltige Energiesysteme. Wenn auch für den Bestand eine Pflicht komme,
       müsse die Finanzierung und die Umsetzung einfacher werden. Das erfordere
       eine Konsolidierung der Förderprogramme von Bund und Ländern.
       
       Fest steht: Auf dem Weg zu einem klimaneutralen Berlin spielt nicht nur
       Solarenergie eine Rolle. Kreative Lösungen im Zusammenspiel mit Biomasse,
       Wärmepumpen oder Blockheizkraftwerken sind gefragt. „Eine Solarpflicht
       könnte mit einer Energieberatung verbunden werden, um zu schauen, wo Solar,
       aber auch wo andere Lösungen Sinn ergeben“, sagt Victoria. Sicherlich müsse
       die Solarpflicht mit Solarthermie und Gründächern verschränkt werden, sagt
       auch Grünen-Abgeordneter Kössler, „aber jetzt müssen wir erst mal an die
       Dächer rankommen.“
       
       18 Aug 2020
       
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