# taz.de -- Kita-Versorgung in Hamburg: Ein leeres Versprechen
       
       > Jedem Kind steht ein Kita-Gutschein zu, doch die Plätze sind rar. Ein
       > vierjähriges Mädchen, das kein Deutsch spricht, wartet seit einem Jahr.
       
 (IMG) Bild: In der Kita haben Kinder Spaß, wie hier beim Besuch von Familienministerin Franziska Giffey (SPD)
       
       HAMBURG taz | Azra Melek* ist Dolmetscherin und begleitet Familien in
       Schnelsen bei Behördengängen. Der taz berichtet sie von einem Fall, in dem
       sie nicht helfen konnte. Trotz großer Bemühungen gelang es ihr nicht, für
       die vierjährige Tochter einer Nachbarin einen Kita-Platz zu bekommen,
       obwohl die darauf ein Anrecht hat. „Das Mädchen ist grade vier geworden,
       sitzt den ganzen Tag Zuhause und kann kein Deutsch“, sagt Melek.
       
       In Hamburg hat jedes Kind ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf
       mindestens fünf Stunden Kita-Besuch täglich. Doch die Eltern erhalten nur
       die Gutscheine dafür, den Platz müssen sie selbst finden.
       
       Melek, die anonym bleiben möchte, war mit der Nachbarin gleich zu drei
       Kitas gegangen, als diese voriges Jahr nach Schnelsen zog. Alle drei
       sagten, es sei nichts frei. „Vor zwei Wochen waren wir wieder dort. Es
       hieß, sie steht noch auf der Warteliste. Wir sollten uns gedulden.“
       
       Dabei spricht die Familie zuhause nur Türkisch. „Das Kind möchte Deutsch
       lernen und mit anderen Kindern spielen“, so die Übersetzerin. Von einer
       Beratungsstelle hörte sie, man könne sich ans Jugendamt wenden. „Aber das
       wollte die Mutter nicht. Sie sagte ‚nein, nein, nein‘. Ausländische
       Familien haben Angst vor dem Jugendamt.“
       
       ## Enquete-Kommission warnt vor Ausgrenzung
       
       Ein Teil des Problems: Die Familie hat nur einen 5-Stunden-Gutschein. Der
       steht Kindern zu, deren Eltern nicht beide arbeiten. Doch die Plätze sind
       rar, weil Träger wirtschaften müssen und lieber Kinder berufstätiger Eltern
       mit Acht- oder Zehn-Stunden-Gutscheinen aufnehmen. Bereits in der
       Enquête-Kommission „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“, die sich
       vor zwei Jahren mit dem Aufwachsen von Kindern in Hamburg beschäftigte, kam
       das zur Sprache. „Kinder erwerbsloser Eltern werden durch die reduzierte
       Betreuungszeit ausgrenzt“, heißt es im Kapitel „Soziale Rahmungen“ im
       [1][Anhang des Abschlussberichts].
       
       Dort steht auch, dass die Kinderzahl wächst und zwar schneller als die
       Kita-Fläche. Bot zum Beispiel Harburg 2010 noch 77 Prozent aller Kinder von
       null bis sieben einen Platz, waren es 2015 nur noch 62 Prozent. Harburg
       hatte mehr Kinder mit Anrecht auf fünf Stunden und war für neue Träger
       wenig attraktiv.
       
       Die Sozialbehörde vertritt, dass alle Gutscheine „voll auskömmlich“
       finanziert seien. Plätze für fünf Stunden könnten genauso wirtschaftlich
       angeboten werden wie jene für acht Stunden, sagt Sprecherin Anja Segert.
       Sie räumt aber ein, es könne für Kitas „personalorganisatorische Gründe“
       geben, Kinder mit höherem Zeitumfang zu nehmen. Hamburgweit hat etwa jedes
       dritte Kind nur den Fünf-Stunden-Platz. Gar keine Betreuung hatten im März
       2019 rund 950 Kinder.
       
       Für die Vierjährige aus Schnelsen gibt es zwei Lösungen. Die Mutter könnte
       [2][beim Jugendamt um einen sogenannten „Prio 10“-Schein bitten]. Der
       besagt, dass das Kind Entwicklungsverzögerungen hat oder andere Probleme,
       die einen Ganztagsplatz erfordern. Selbst Jugendamtsmitarbeiter warnen
       aber, dies könne ein „Stigma“ bedeuten.
       
       Der andere Weg: die Mutter könnte zur Kita-Abteilung im Bezirk gehen und
       bitten, dass ihr Plätze nachgewiesen werden. Dafür müssen Eltern aber fünf
       Absagen von Kitas vorweisen, wie auch der für Schnelsen zuständige Bezirk
       Eimsbüttel auf taz-Nachfrage mitteilt.
       
       Die CDU spürte dem Kita-Mangel in Harburg mit mehreren Anfragen nach. Im
       März 2018 gab es dort in Unterkünften rund 400 Flüchtlingskinder, aber nur
       135 waren in einer Kita. Der Bezirk suchte in 34 Nachweisverfahren einen
       Kita-Platz für ein Kind. Im November 2019 führte der Bezirk bereits 65
       solcher Verfahren und gab die Hälfte davon an die Sozialbehörde weiter,
       weil sich kein Platz fand. Sogar bei den Kitas der Stadt gab es Wartezeiten
       von zwei Jahren.
       
       Das Problem der 5-Stunden-Gutscheine bestehe schon lange, „daran hat auch
       das Nachweisverfahren wenig verändert“, sagt Insa Tietjen, Kita-Politikerin
       der Linken. Sie fordert eine höhere Bewertung dieser Gutscheine und
       langfristig Ganztagsplätze für alle. Als ersten Schritt sollten nach
       Vorbild Berlins sechs Stunden Regelangebot sein.
       
       „Es ist nicht hinnehmbar, dass Kinder so lange auf einen Platz warten“,
       sagt die CDU-Familienpolitikerin Silke Seif. Zumal wenn es Kinder treffe,
       in deren Elternhaus wenig Deutsch gesprochen werde. Der Weg zum Kitaplatz
       über das Nachweisverfahren sei zudem lang und „hochschwellig“.
       
       Der Bezirk Eimsbüttel allerdings erklärt, man habe seit 2019 alle
       Nachweisverfahren mit einem Platz abschließen können. Nur hat sich diese
       Lösung dort wohl nicht herumgesprochen. Melek erfuhr erst durch die taz
       davon. „In keiner der drei Kitas hat man uns davon etwas gesagt“, berichtet
       sie. „Es hieß nur, habt Geduld.“ Sie will nun mit ihrer Nachbarin losziehen
       und bei Kitas Absagen sammeln.
       
       *Name geändert
       
       7 Sep 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/65251/bericht_der_enquete_kommission_kinderschutz_und_kinderrechte_weiter_staerken_ueberpruefung_weiterentwicklung_umsetzung_und_einhaltung_gesetzlicher_gru.pdf
 (DIR) [2] /Vergabe-von-Kita-Plaetzen/!5081296/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kaija Kutter
       
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