# taz.de -- Nach der Räumung des Syndikat in Berlin: Anhaltende Schikanen
       
       > Der martialische Polizeieinsatz hat tiefe Spuren bei Anwohner:innen
       > hinterlassen. Sie protestieren mit einem Brief an die Innenpolitiker.
       
 (IMG) Bild: Da waren 35 Jahre Kiezkultur vorbei: Die Polizei räumt die Kneipe Syndikat Anfang August
       
       BERLIN taz | Anwohner:innen und Gewerbetreibende aus dem Neuköllner
       Schillerkiez haben sich über fortdauernde Polizeischikanen im Zusammenhang
       mit der [1][Räumung der linken Kneipe Syndikat] beschwert. In einem der taz
       vorliegenden Brief an den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses
       heißt es, dass man den „unverhältnismäßigen“ Einsatz der Berliner Polizei
       der vergangenen vier Wochen „mit Erstaunen und einigem Entsetzen zur
       Kenntnis genommen“ hätten. Unterschrieben haben den Brief zehn
       Anwohner:innen im „Namen der Anwohner:innen und Gewerbetreibenden“.
       
       Die Polizei hatte in einem martialischen Einsatz vom 6. bis 8. August
       zuerst mehrere Straßen um die Weisestraße gesperrt und anschließend einen
       Gerichtsvollzieher bei einer Räumung der Kiezkneipe unterstützt. Der
       Eigentümer, ein steuerkreatives Immobiliengeflecht der britischen
       Milliardärsfamilie Pears, hatte den Mietvertrag mit der Kneipe nicht
       verlängert. Das Kneipenkollektiv hatte sich jedoch geweigert, die Räume zu
       verlassen, und weiter Miete gezahlt. Mehrere tausend Personen hatten in der
       Nacht zuvor und am Morgen der Räumung gegen diese demonstriert.
       
       ## Reine Willkür
       
       Das Unverständnis insbesondere für den martialischen Polizeieinsatz hält
       bei Anwohner:innen ungebrochen an, wie der Brief zeigt. Über die ab dem
       6. August eingerichtete Sperrzone sei man vorab nicht informiert worden,
       Kund:innen, Inhaber:innen und Anwohner:innen hätten beim Passieren
       Personalausweise vorzeigen müssen und seien von Polizist:innen
       eskortiert worden. „Wer passieren durfte, lag einzig und allein im Ermessen
       der diensthabenden Polizist:innen“, heißt es in dem Brief.
       
       Die Anwohner:innen stellen vor allem die [2][Verhältnismäßigkeit des
       Einsatzes] in Frage: Es liege im Ermessen der Polizeiführung und des
       Innensenators Andreas Geisel (SPD), wie man die Amtshilfe für einen
       Gerichtsvollzieher gestalte. „War es wirklich nötig, unzähligen
       Anwohner:innen ihre Bewegungsfreiheit zu nehmen und sie mehrere Tage
       lang zu terrorisieren?“ Auch hätten Gewerbe schließen müssen, weil unter
       den Umständen der Geschäftsbetrieb unmöglich gewesen sei.
       
       Besonders erklärungsbedürftig scheint der Polizeieinsatz den
       Anwohner:innen nicht zuletzt wegen des dubiosen Vermieters: Der Einsatz
       sei durchgeführt worden, „um die Interessen einer britischen
       Milliardärsfamilie (die ganz offen über ein Netz von sogenannten
       Briefkastenfirmen Steuervermeidung betreibt) zu vertreten“.
       
       Auch nach der Räumung sei die Polizeipräsenz aufrecht erhalten worden. So
       sei der Straßenabschnitt ums Syndikat mehrfach weitgehend abgesperrt
       worden. Das Verhalten der Polizist:innen sei häufig ohne Grund
       aggressiv gewesen. Anwohner:innen sei der Verbleib auf der Straße ohne
       ersichtlichen Grund untersagt worden – Platzverweise seien ausgesprochen
       worden, ebenso sei es zu Festnahmen gekommen.
       
       Bis heute fahre die Polizei regelmäßig Streife im Kiez und arbeite offenbar
       mit Security-Mitarbeitern zusammen, die über dem Syndikat wohnten und
       regelmäßig die Straße filmten und fotografierten. Die ungebrochen Präsenz
       von Security und Polizei stellten eine enorme Belastung für die
       Anwohner:innen dar. „Wir möchten unsere Geschäfte wieder betreiben
       können. Wir möchten uns mit Nachbar:innen wieder auf der Straße
       unterhalten können, ohne dabei beobachtet zu werden.“
       
       Von den Abgeordneten im Innenausschuss wollen die Anwohner:innen
       wissen, ob die erhöhte Polizeipräsenz in naher Zukunft wieder auf ein
       normales Maß reduziert werde. Und was überhaupt die Rechtsgrundlage für
       Maßnahmen wie die Sperrzonen gewesen sei.
       
       Niklas Schrader, Innenexperte der Linksfraktion, kennt den Brief und hält
       ihn für relevant und glaubwürdig: „Der Brief kommt nicht aus der
       linksradikalen Szene, sondern von Leuten, die dort wohnen und arbeiten.“
       Deren Kritik will Schrader in der nächsten Sitzung des Innenausschusses am
       kommenden Montag ansprechen. „Ich mache mir Sorgen, dass hier eine
       dauerhafte Konfrontation zwischen Polizei und Bewohnern des Kiezes ähnlich
       wie in der Rigaer Straße in Kauf genommen wird. So eine Entwicklung wollen
       wir nicht“, sagte er der taz.
       
       Schrader hat zu dem Polizeieinsatz wegen der Syndikat-Räumung auch eine
       Kleine Anfrage an den Senat gestellt. In der Antwort darauf, die bisher
       unveröffentlicht ist, aber der taz vorliegt, werden die von den
       Anwohner:innen berichteten Schikanen heruntergespielt. „Die Angaben der
       Polizei stehen im Widerspruch zu den Schilderungen aus dem Kiez“, sagt
       Schrader dazu und kritisiert: „Die Auswirkungen der Einsätze werden
       heruntergespielt und geleugnet.“
       
       In der Antwort auf die Anfrage wird noch einmal das Ausmaß des
       Polizeieinsatzes deutlich: Rund um das Protestgeschehen zwischen dem 6. und
       8. August waren demnach 2.274 Polizist:innen im Einsatz, davon 159 in
       Zivil, ebenso Polizeihunde. Während der eigentlichen Räumung am Morgen des
       7. August wurden 750 Polizist:innen eingesetzt.
       
       Insgesamt gab es 66 freiheitsentziehende und -beschränkende Maßnahmen,
       häufig wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz sowie 36
       Identitätsfeststellungen, und 21 Strafanzeigen wegen des Verdachts auf
       Landfriedensbruch, elf wegen des Verdachts eines tätlichen Angriffes auf
       die Polizei und sieben wegen des Verdachts auf Widerstand gegen
       Beamt:innen. Anzeigen gegen Polizist:innen gebe es keine. Angesichts
       dieser Zahlen nennt Schrader den Polizeieinsatz „völlig überdimensioniert“.
       
       Auch ein Hubschrauber durfte natürlich nicht fehlen – der kam im Zeitraum
       zwischen ein und zwei Uhr nachts in der Nacht vor der Räumung zum Einsatz.
       In der Anfrage streitet die Polizei ab, dass man bei Betreten der Sperrzone
       grundsätzlich den Ausweis vorzeigen hätte müssen. In der Wahrnehmung der
       taz-Reporter:innen und auch anderer Journalist:innen vor Ort war das
       allerdings anders.
       
       11 Sep 2020
       
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