# taz.de -- Wolfgang Niedecken über Coronaleugner: „Merken die eigentlich gar nichts?“
       
       > Der BAP-Sänger Wolfgang Niedecken hält „Querdenker“ für Scheinriesen –
       > bei FFF läuft er aber gerne mit. Im neuen Album seiner Band geht es auch
       > um Populismus.
       
 (IMG) Bild: „Ich schreibe die Stücke aus der Perspektive eines fast 70-Jährigen“: Wolfgang Niedecken
       
       taz am wochenende: Herr Niedecken, Ende August stand eine Querfront aus
       [1][Coronaleugnern, Reichsbürgern und Nazis auf den Stufen des Reichstags].
       Sie warnen in Ihrem Song „Ruhe vor ’m Sturm“ vor diesen Entwicklungen und
       raten zur Wachsamkeit. Wie sollte die Zivilgesellschaft in Coronazeiten
       also reagieren? 
       
       Wolfgang Niedecken: Vor allem sollte sie nicht resignieren! Aber
       überbewerten sollte man diese Demos auch nicht. Diese selbst ernannten
       „Querdenker“ sind Scheinriesen. Die Friedensbewegung Ende der Siebziger,
       Anfang der Achtziger, das war eine Bewegung. Heute kommen Leute zusammen,
       die sich aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht verstanden und gehört
       fühlen. Die können einem ja teilweise leidtun. Wenn jemand mit einer
       Regenbogenflagge fünf Meter entfernt von einer geschwenkten
       Reichskriegsflagge durch Berlin marschiert, fragt man sich: Merken die
       eigentlich gar nichts?
       
       Es ist ein großes Sammelbecken, das sich da formiert. Die letzte
       Demonstration in Berlin mit ihren Bildern dürfte ihnen Auftrieb geben. 
       
       Die werden aus der ganzen Republik zusammengekarrt, damit es imposant
       aussieht. Aber ich will damit natürlich nicht sagen, die Coronaleugner
       seien ungefährlich. Sie gefährden unser aller Gesundheit.
       
       Sie haben auf der BAP-Facebookseite an die Adresse der Coronaleugner
       geschrieben: „Ich lasse es nicht zu, dass ihr mit eurer Propaganda unsere
       Seite zumüllt.“ 
       
       Ja, unsere Facebookseite war Anfang August plötzlich voll mit Fremdposts.
       Einer dieser „Querdenker“-Chefideologen, dessen Namen ich erfolgreich
       verdrängt habe, hat seine Videos ohne Ende auf unserer Seite posten lassen.
       Wir haben die zunächst gelöscht, dann ging es anscheinend automatisiert per
       Bot weiter. Wir wussten nicht mehr so richtig, was wir machen sollen. Die
       Facebook-Gruppe #ichbinhier hat uns dann Gott sei Dank geholfen. Das ist
       eine Initiative, die Leute unterstützt, wenn sie einem Shitstorm ausgesetzt
       sind. Die machen tolle Arbeit!
       
       Wie sehr betrifft die Pandemie Ihr Leben persönlich? 
       
       Vor allem betrifft es uns als Band. Wir können nicht auf Tour gehen, wir
       können nicht vorausplanen. Wir haben auch überlegt, ob wir jetzt überhaupt
       dieses Album veröffentlichen sollen – aber „Alles fließt“ musste jetzt
       einfach raus. Wir werden wohl erst aus diesem ganzen Dilemma rauskommen,
       wenn Medikamente oder ein Impfstoff gefunden werden. Das wird
       wahrscheinlich noch dauern.
       
       „Ruhe vor ’m Sturm“ scheint das zentrale Stück des Albums zu sein. Darin
       klingt bei Ihnen an, als könnte das Zeitalter des Populismus noch
       Schlimmeres hervorbringen: „Dä Himmel stockfinster, naachschwazze Samt/ Et
       weed immer schwöler/ Ne Bletz zuck un dann/ Dä Donnerschlag, als wööd jet
       jesprengk“, singen Sie. 
       
       Das ist der erste Text, den ich für das Album geschrieben habe. Darin habe
       ich so ziemlich alles verarbeitet, was passiert ist, seit Trump sein Amt
       angetreten hat. Nachdem Trump gewählt wurde, sagte meine Tochter passend:
       „Ich habe gehofft, es wäre nur ein Sozialexperiment, das irgendwann
       aufgelöst wird.“ Es war aber leider kein Sozialexperiment.
       
       Man könnte sagen: Trump-WählerInnen wollen eine Figur als Präsidenten, in
       der sie sich selbst wiedererkennen können, mit all ihren Makeln, der
       Schlichtheit, den Vorurteilen. Sie waren selbst kürzlich in den USA
       unterwegs... 
       
       ... ich war zuletzt 2017 dort, als wir für Arteden 5-Teiler „.. auf Bob
       Dylans Spuren“ gedreht haben. Da habe ich sehr viel gelernt. Es gibt
       nämlich auch viele Trump-Wähler, auf die das nicht zutrifft. Ich war
       beispielsweise in Minnesota, wo Dylan geboren ist. Dort, wo die Menschen in
       der Schwerindustrie gearbeitet haben. Das war sicheres Demokratenland. Bis
       alles den Bach runtergegangen ist. 2016 haben viele Leute dort Trump
       gewählt, auch wenn der Bundesstaat knapp an Clinton ging. Ich würde sagen:
       Die Leute, die Trump dort gewählt haben, sind sehr einfache Leute, die sich
       die Niedertracht, mit der jemand wie Trump agiert, gar nicht vorstellen
       können. Die haben sich verarschen lassen.
       
       Was, wenn Trump wiedergewählt wird? 
       
       Dann wird das, was er in seinen ersten vier Jahren angerichtet hat, einem
       wie ein lauer Furz vorkommen. Ich traue diesem Autokraten wirklich alles
       zu.
       
       Klingt „Ruhe vor ’m Sturm“ deshalb ähnlich düster wie der frühe
       BAP-Signature-Song „Kristallnaach“? 
       
       Die fünfte Zeile von „Kristallnaach“ lautet: „Ruhe vor’m Sturm“, die habe
       ich bewusst wieder aufgegriffen. „Kristallnaach“ war eher ein
       surrealistischer Text. Da kamen Bilder von Brueghel und Bosch vor, da
       tickte die „Franz-Kafka-Uhr“ und „ne Blinde liest nem Taube Strubbelpeter
       vüür“. Die Leute haben den Song zum Glück trotzdem verstanden. „Ruhe vor’m
       Sturm“ ist ganz konkret. Die Ruhe vor dem Sturm haben wir jetzt, und wir
       haben leider nicht mehr furchtbar viele Möglichkeiten gegenzusteuern. Der
       Song spielt auch auf den Klimawandel an. Während des Lockdowns haben wir
       gesehen, wie der Planet mit weniger CO2-Ausstoß wieder atmen kann – und
       wenn wir nach dieser Coronageschichte nicht langsam mal kapieren, dass wir
       grüner denken müssen, dann werden wir es nie verstehen. Als ich von meinem
       Hotel aus hierher gegangen bin, habe ich einen Slogan gesehen, den jemand
       aufs Trottoir gesprüht hat: „Der Klimawandel ist tödlicher als Corona“. Ja,
       stimmt. So sieht’s aus.
       
       [2][Fridays for Future] hat es in Zeiten von Corona auch schwerer
       durchzudringen – haben Sie oder hat BAP einen direkten Bezug zu den
       Klima-Aktivist:innen? 
       
       Wir sind mit der ganzen Familie auf der Kölner Demonstration mitgegangen.
       Ich habe eine große Sympathie für diese Bewegung. Es war in politischer
       Hinsicht eine der wenigen Freuden der jüngeren Zeit, dass so etwas
       entstanden ist. Ich glaube nicht, dass diese Bewegung so schnell versandet.
       Aber ich denke, dass wir uns als Band nicht ungefragt aufdrängen sollten.
       
       Zuletzt gab es die Diskussion, ob FFF nicht an Kraft verlöre, wenn sich
       einzelne Mitglieder schon jetzt Parteien wie den Grünen anschließen. 
       
       Ich halte das bei Fridays for Future für nicht unangebracht, wenn sie sich
       bei den Grünen organisieren. Ich selbst sollte als Künstler keiner Partei
       angehören, das ist etwas anderes. Eine Partei erfordert irgendwann
       Parteiräson, das wäre für Künstler tödlich.
       
       Wenn Sie heute ein Album aufnehmen, was ist dann anders für Sie als zur
       Frühphase von BAP? 
       
       Vor allem springen wir nicht mehr über Tische und Bänke, wir haben
       mittlerweile eine andere Rolle. Ich schreibe die Stücke aus der Perspektive
       eines fast 70-Jährigen. Bei den berühmten Kollegen finde ich die Künstler
       besonders inspirierend, die großartige Alterswerke abgeliefert haben wie
       Bob Dylan, Leonard Cohen oder Johnny Cash. Mit Johnny Cash konnte ich lange
       nichts anfangen. In den Neunzigern kam unser damaliger Tourleiter Jäki
       Eldorado, der auch viel für die Hosen gearbeitet hat, als Erstes mit dem
       an. Für mich war Johnny Cash erst nach den American Recordings ein ganz
       Großer. Das ist ein sehr würdiges Alterswerk, von dem epochalen Rick Rubin
       produziert, mit einer Band, die sich zurücknahm und auf Songdienlichkeit
       geachtet hat.
       
       Sie sehen „Alles fließt“ als Ihr Alterswerk? 
       
       Ein nostalgisches Album wollte ich auf keinen Fall machen. In dem Stück
       „Volle Kraft voraus“ formuliere ich das: „Hätt nix met Nostalgie zo dunn /
       eher met Therapie / Ne kleine Kurs enn Demut / Dankbarkeit un ‚C’est la
       Vie‘“. Ich bin dankbar dafür, was ich mit dem bisschen Rockerei alles
       erleben durfte. Das hätte ich mir nicht träumen lassen, als wir 1980 zum
       ersten Mal in Berlin gespielt haben – das war im Quasimodo unter dem
       Delphi-Kino am Bahnhof Zoo. Da dachte ich: ein oder zwei Jahre, und ich
       stehe wieder an der Staffelei. Ich hatte mein Leben nicht als Musiker
       geplant.
       
       Wie sehen Sie heute die Rezeption von BAP? Im Popdiskurs hat BAP ja nie
       eine große Rolle gespielt. 
       
       Nein, dafür waren wir anscheinend nicht cool genug. BAP war auch nie eine
       Musician’s Band, BAP war eher die Band der Leute. Bei uns gab’s auch nie
       eine Image-Polizei.
       
       Texte von – zum Beispiel – Hamburger-Schule-Bands werden an Unis
       verhandelt, BAP-Texte eher nicht. Stört Sie das? 
       
       Nein. Dafür habe ich in einem russischen Schulbuch den Text von
       „Kristallnaach“ entdeckt, und eine Übersetzung ins Hebräische gibt es auch.
       Aber man muss halt immer einen Umweg machen bei BAP, kölsche Texte muss man
       erst mal ins Hochdeutsche übersetzen. Das schreckt schon viele ab. Deshalb
       fange ich jetzt aber nicht an, Hochdeutsch zu singen.
       
       19 Sep 2020
       
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