# taz.de -- Endlagerprojekt Gorleben und die taz: 41 Jahre sind genug
       
       > Das Projekt eines Atommüllendlagers in Gorleben ist nach mehr als vier
       > Jahrzehnten Geschichte. Die taz war immer dabei. Ein Rückblick.
       
 (IMG) Bild: „Im Schacht kracht's“: Aber das kam erst später. Gorleben-Treck 1979
       
       BERLIN taz | Das Anfang des Monats besiegelte [1][Aus für das
       Endlagerprojekt Gorleben] kam nicht von ungefähr: Die Geschichte der
       Salzstock-Erkundung ist auch ein Stück taz-Geschichte. Die Initiativen und
       SchreiberInnen, die ab September 1978 zehn Vorabnummern und dann ab dem
       April 1979 „täglich eine linke radikale Zeitung“ herausbrachten, wollten
       außer einem professionellen Blatt auch ein „Instrument der Bewegung“
       schaffen.
       
       Und in Bewegung waren damals in Westdeutschland zumeist
       AtomkraftgegnerInnen, vor allem im niedersächsischen Landkreis
       Lüchow-Dannenberg. Dort war bei Gorleben auf zwölf Quadratkilometern ein
       riesiges Nukleares Entsorgungszentrum aus Wiederaufarbeitungsanlage (WAA),
       diversen Zwischenlagern und Behandlungsanlagen sowie ebendem
       Atommüllendlager geplant.
       
       Bereits in der allerersten taz vom 22. September 1978 füllte der Beitrag
       „Gorleben – Ein Bericht aus dem Landkreis“ zwei Seiten. In den
       taz-Vorabausgaben, die im März 1979 schon im Wochenabstand erschienen, war
       der Protestmarsch von Bauern und [2][AKW-Gegnern] aus der Kreisstadt Lüchow
       in die niedersächsische Landeshauptstadt dreimal der Aufmacher. Und die
       Titelseite der letzten Vorab-taz teilten sich der AKW-Unfall im
       US-amerikanischen Harrisburg, bei dem der Reaktorkern zu schmelzen begann,
       und die 140.000 AKW-GegnerInnen, die am Ende des Gorleben-Trecks in
       Hannover gegen das geplante Entsorgungszentrum demonstrierten.
       
       Als der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht sechs
       Wochen später im Landtag verkündete, dass der Bau einer WAA bei Gorleben
       politisch nicht durchsetzbar sei, blieb die taz zu Recht skeptisch: „WAA
       aufgeschoben, nicht aufgehoben“, titelte sie. Tatsächlich schlug der
       CDU-Politiker zweieinhalb Jahre später vor, 25 Kilometer westlich von
       Gorleben doch eine WAA zu bauen. Die AKW-Betreiber entschieden sich jedoch
       für Wackersdorf in der Oberpfalz – um dort ebenfalls zu scheitern.
       
       Bei Gorleben sollten aber nach dem Willen von Bundesregierung und
       Landesregierung weitere Zwischenlager für hoch- und schwachradioaktiven
       Atommüll und ein Endlager im Salzstock entstehen. Kristallisationspunkt des
       Widerstands waren nun die Bohrungen, mit denen der Salzstock von der
       Erdoberfläche aus erkundet wurde. Im taz-Journal No. 1 Ökologie, das zum
       einjährigen Jubiläum der Zeitung den Widerstand im Wendland zum Schwerpunkt
       machte, ging es um das Für und Wider des Bohrloch-Verstopfens. Über die
       33-tägige Besetzung der Tiefbohrstelle 1004 mit einem Hüttendorf, das sich
       zur „Republik Freies Wendland“ erklärte, publizierte die taz im Juni 1980
       eine 50-seitige Dokumentation.
       
       1983 mehrten sich bei Lüchow-Dannenberg Brandanschläge auf Baumaschinen von
       Unternehmen, die sich an der Errichtung des Zwischenlagers Gorleben
       beteiligten. Der Sachschaden summierte sich binnen eines Jahres auf rund 4
       Millionen D-Mark. Unter dem Titel „Mit Benzin und Räucherstäbchen“
       veröffentlichte die taz ein Interview mit zwei anonymen AKW-Gegnern, die
       diese Vorgehensweise bei Anschlägen detailliert schilderten.
       
       Im gleichen Jahr legte die damals für die Atommüllendlagerung zuständige
       Physikalisch-Technische Bundesanstalt einen Bericht über die Erkundung des
       Salzstocks Gorleben durch Bohrungen vor. Wie Vertreter der Bundesregierung
       die an dem Bericht beteiligten Wissenschaftler massiv unter Druck setzten,
       war 2009 zum 30-jährigen Zeitungsjubiläum in der taz zu lesen: Hohe Bonner
       Ministerialbeamte erschienen unangemeldet zur Abschlussbesprechung über den
       Bericht und verlangten abschwächende Änderungen, vor allem die Streichung
       der Empfehlung, einen zweiten Endlagerstandort zu untersuchen. Vor allem
       auf diesen taz-Bericht ging letztlich der im März 2010 vom Bundestag
       eingesetzte Gorleben-Untersuchungsausschuss zurück.
       
       ## Lange bekannte geologische Defizite
       
       Auch die geologischen Defizite, deretwegen der Salzstock Gorleben nun bei
       der aktuellen bundesweiten Endlagersuche aussortiert wurde, waren seit
       Anfang der 1980er Jahre bekannt. Die ab 1982 gültigen Sicherheitskriterien
       für ein Atommüllendlager sahen ein Mehrbarrierenkonzept gegen den Austritt
       radioaktiver Stoffe vor. Als eine dieser Barrieren sollte das Deckgebirge
       über dem Lager fungieren. Schon die Bohrungen zur obertägigen Erkundung des
       Salzstocks zeigten aber, dass es über dem Salz kein geschlossenes
       Deckgebirge gibt. Eiszeitliche Gletscher haben es einst auf rund sechs
       Quadratkilometern abrasiert. Stattdessen finden sich von Wasser
       durchflossene Geröll- und Sandschichten. Schmelzwässer haben eine Rinne
       gegraben, die stellenweise mehr als 170 Metern in den Salzstock
       hineinreicht.
       
       Trotzdem begannen 1984 die Vorbereitungen zum Bau des Erkundungsbergwerks
       Gorleben. Mit Kältemaschinen wurden die Areale für die Bergwerksschächte
       über einen Kranz von Bohrlöchern bis zum Salzstock hin tiefgekühlt. Das
       drohte aber schnell zu scheitern. „Gorleben: Der Schacht kracht“, titelte
       die taz im Mai 1987. Durch den Untergrund strömendes Salzwasser hatte
       verhindert, dass das Schachtareal gefrieren konnte. Die Wand des Schachtes
       verschob sich. Er musste in gut 200 Metern Tiefe mit Beton gefüllt werden.
       Schon zuvor löste sich ein Stützring von der verformten Schachtwand,
       erschlug einen Obersteiger und verletzte fünf weitere Bergleute.
       
       Erst Anfang 1989 wurden die Arbeiten wieder aufgenommen – nur um ein Jahr
       später wegen unerwarteter Laugenzuflüsse am Übergang in das Salz erneut
       unterbrochen zu werden. Auch bei der Errichtung der Infrastrukturbereiche
       des Bergwerks in gut 800 Metern Tiefe und der Untersuchung des ersten und
       am Ende einzigen Einlagerungsbereichs stieß man immer wieder auf Salzlauge,
       vor allem im Anhydrit, einem wasserlosen Gipsmineral.
       
       Nach dem Lösungsverzeichnis, das die Betreiber führen mussten, traten
       allein an acht Stellen insgesamt 440 Kubikmeter Salzlauge aus. Die
       Zutrittsstellen wurden meist wieder verschlossen. [3][Die im Stein
       verbliebenen Flüssigkeitsmengen werden im offiziellen Lösungsverzeichnis
       auf bis 12.800 Kubikmeter geschätzt] – das würde dem Volumen von 13
       Einfamilienhäusern entsprechen.
       
       ## Die Gefahr des Absaufens
       
       Die Erkundung des Salzstocks wurde mit dem Atomkonsens von 2000 für zehn
       Jahre gestoppt und danach bis zur prinzipiellen Einigung auf ein neues
       Standortauswahlverfahren kurzzeitig bis November 2012 wiederaufgenommen.
       Die taz warnte davor, dass ein Endlager Gorleben durch die Laugenvorkommen
       in den Anhydritschichten im Salzstock absaufen könnte. In einer Expertise
       der am Ende abgebrochenen offiziellen „Vorläufigen Sicherheitsanalyse für
       den Standort Gorleben“ fanden sich dann 2011 ähnliche Bedenken wieder.
       
       Um sicherzustellen, dass die Lauge nicht in den Salzstock einsickern
       würden, maß man den Druck, unter dem die Vorkommen standen: Vereinfacht
       gesagt ist der Druck wesentlich höher, wenn sie rundum dicht von Gestein
       umschlossen sind, als wenn sie eine Verbindung zum Grundwasser haben. „Die
       hier aufgelisteten Drücke befinden sich weit unterhalb des lithostatischen
       Druckes und können bei der unter der Annahme einer Sole hoher Dichte sogar
       hydrostatische Drücke widerspiegeln“, heißt es in der Expertise der
       Gesellschaft für Reaktorsicherheit. Konkret: „Nach diesen Erkenntnissen ist
       ‚Abgeschlossenheit‘ nicht gegeben.“
       
       ## Irrige Auswahlkriterien
       
       Die taz konnte schließlich auch das Rätsel um die Auswahl von Gorleben zum
       Standort eines Nuklearen Entsorgungszentrums halbwegs lösen. Im Januar 2010
       lag ihr neben weiteren Papieren auch [4][die Kabinettsvorlage vor, auf
       deren Grundlage sich die niedersächsische Landesregierung im Februar 1977
       für Gorleben entschieden hatte]. Die Dokumente zeigten, dass die Geologie
       bei der Auswahl des Salzstocks praktisch keine Rolle spielte. Entscheidend
       war vielmehr, über einem Salzstock die 1.200 Hektar Fläche zu finden, die
       man für das projektierte Nukleare Entsorgungszentrum zu benötigen glaubte.
       Das war aber bereits 1979 obsolet, als bei Gorleben nur noch Zwischenlager
       und Erkundungsbergwerk vorgesehen waren. Beide fanden oberirdisch auf 50
       Hektar Platz. Nun, nach dem Aus für das Endlagervorhaben, bleibt allein das
       von den Castortransporten bekannte 15 Hektar große Zwischenlagergelände.
       
       21 Oct 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gorleben-wird-nicht-Atommuell-Endlager/!5715509/
 (DIR) [2] /Aktivistin-ueber-Gorleben-Entscheidung/!5717825
 (DIR) [3] https://www.landtag-niedersachsen.de/Drucksachen/Drucksachen_17_5000/3501-4000/17-3878.pdf
 (DIR) [4] /Geheimprotokoll-zu-Gorleben/!5149689&s=voges+gorleben+kabinettsvorlage/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Voges
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Anti-Atom-Bewegung
 (DIR) Atommüll
 (DIR) Endlager-Kommission
 (DIR) Atommüll
 (DIR) Gorleben
 (DIR) Atommüll
 (DIR) Schwerpunkt Atomkraft
 (DIR) Atommüllendlager
 (DIR) Atommüll
 (DIR) Anti-Atom-Bewegung
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Endlager-Bergwerk wird geschlossen: Vorletztes Kapitel in Gorleben
       
       Ein langer Kampf endet. Nachdem Gorleben als Endlager-Standort
       ausgeschieden ist, soll der Salzstock nun verfüllt und verschlossen werden.
       
 (DIR) Nutzung des Bergwerks Gorleben: Endlager als Wellness-Oase?
       
       Die CDU möchte das einstige Endlager-Bergwerk Gorleben für kommerzielle
       Zwecke nutzen. Atomkraftgegner warnen davor, die Grube offen zu halten.
       
 (DIR) Atommüllschiff auf Kurs nach Nordenham: Warten auf die Castoren
       
       Die „Pacific Grebe“ mit sechs Atommüllbehältern war am Samstagvormittag
       noch auf hoher See. An Land starten Umweltschützer mit ersten
       Protestaktionen.
       
 (DIR) Suche nach Deponie für Atommüll: Kritik an Endlagerkonferenz
       
       Die Auftaktveranstaltung zur Atommülllagerung stößt auf mäßiges Interesse.
       Umweltverbände sind mit dem Beteiligungsverfahren unzufrieden.
       
 (DIR) Bundesamtschef über Atommülllagersuche: „Vertrauen kann man nicht verordnen“
       
       Wolfram König, Chef des zuständigen Bundesamts, verspricht breite
       Beteiligung bei der Endlagersuche. Entscheiden müsse am Ende aber die
       Politik.
       
 (DIR) Koordinatorin über Gorlebener Gebet: „Es muss weitergehen“
       
       Christa Kuhl kämpft seit Jahren gegen ein Endlager für Atommüll in
       Gorleben. Und nun? Ein Gespräch über ein Ende, das keines ist.
       
 (DIR) Aktivistin über Gorleben-Entscheidung: „Heilend für das Wendland“
       
       Kerstin Rudek geht seit Jahrzehnten fürs Klima und gegen Atommülllager auf
       die Straße. Ihr Protest endet mit der Entscheidung gegen Gorleben nicht.