# taz.de -- Die Wahrheit: Bier, Bohnen und Leichen
       
       > Auch in Irland blüht das Geschäft mit dem Tod. Auf der grünen Insel hat
       > es sogar Tradition – wegen der Nähe von Alkohol und Kühlung.
       
       Um jemanden in Irland unter die Erde zu bringen, benötigte man früher keine
       Ausbildung. Während der großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts wurde
       ein Gesetz verabschiedet, wonach ein Leichnam schnurstracks zum
       nächstgelegenen Wirtshaus gebracht werden musste. Die englische Regierung
       hatte trotz der Kartoffelpest den Iren auch noch Fleisch und Getreide
       weggenommen, sodass eine Million Menschen starben und die Leichenhallen dem
       Andrang nicht gewachsen waren. Da die Pubs über kühle Bierkeller verfügten,
       mussten die Wirte die Leichen zwischen den Fässern lagern.
       
       Viele Kneipiers fanden Geschmack an den Nebeneinnahmen und diversifizierten
       nach dem Ende der Hungersnot. Neben Alkohol und Bestattungen boten sie im
       vorderen Teil des Pubs Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs an,
       sodass man im Grunde sein ganzes Leben in dem Laden verbringen konnte und
       erst nach dem Tod vor die Tür gesetzt wurde – von der Krippe bis zum Grab.
       
       Ein solcher Laden in Wexford wurde wegen einer Ansichtskarte berühmt: In
       einem Fenster standen kunstvoll gestapelte Dosen gebackener Bohnen, im
       anderen hing eine Guinness-Reklame, und im dritten Fenster stand ein Sarg.
       
       Heutzutage gibt es aber nicht mal mehr hundert Pubs, die dermaßen
       vielseitig sind. Eins steht an der irischen Westküste, aber aufgrund der
       Ereignisse ist es besser, den Ort und den Namen des Kneipiers zu verändern.
       Nennen wir ihn Seumas O’Grady. Er war etwas schusselig, was nicht nur an
       seinem Alter lag, sondern vor allem an seinem Konsum alkoholhaltiger
       Getränke.
       
       ## Leerer Kofferraum
       
       Eines Tages musste er einen Sarg zur Kirche nach Lisdoonvarna in der
       Grafschaft Clare schaffen. Er war spät dran und drückte auf der
       Küstenstraße ordentlich das Gaspedal durch. Als er in Lisdoonvarna ankam,
       wartete die Trauergemeinde schon ungeduldig. Die beiden Söhne des
       Verstorbenen wollten den Sarg aus dem Leichenwagen – einem umgebauten
       Krankenwagen – holen und stellten zu ihrer Überraschung fest, dass der
       Kofferraum leer war. Seumas hatte den Sarg in einer unübersichtlichen Kurve
       an der Küste verloren, weil das Schloss nicht mehr richtig funktionierte.
       Die Söhne fuhren mit Seumas zurück und beschimpften ihn unentwegt
       unterwegs.
       
       Aber es ging noch schlimmer. Wegen der Coronakrise hatte Seumas viel zu
       tun, sodass er stets einen Flachmann dabeihatte, um seine Nerven zu
       beruhigen. Diesmal verlor er den Sarg nicht, sondern gab ihn ordnungsgemäß
       ab. Die Familie zahlte etwas voreilig, denn als man den Sarg öffnete, damit
       von der Toten Abschied genommen werden konnte, meinte ein Neffe verblüfft,
       dass Tante Mary im Tod offenbar um zehn Jahre jünger geworden war. Der Sohn
       wusste es besser: Es war nicht seine Mutter, Seumas hatte die Leichen
       verwechselt.
       
       Es wird nicht wieder vorkommen, man hat dem Chaoten die Bestattungslizenz
       weggenommen. Aber die Kneipenlizenz hat er zu seinem Glück noch.
       
       30 Nov 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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