# taz.de -- Impfgegner und die Coronapandemie: Gegen den Stich
       
       > Europaweit setzen Regierungen auf die neuen Impfstoffe, um Corona zu
       > stoppen. Impfgegner und Rechtsextreme mobilisieren dagegen.
       
 (IMG) Bild: Wissen, was andere nicht mal ahnen: Verschwörungsgläubige auf einer Demo gegen die Coronapolitik in Dortmund
       
       Als Walter Weber die Bühne betritt, liegt Kiel im Nebel. Es ist der 12.
       Dezember, knapp 400 Menschen stehen vor dem Rednerpult, aus dem das Wort
       „Freiheit“ herausgeschnitzt wurde. Weber sagt, Coronaviren gebe es seit 70
       Jahren, und schließt daraus: „Wir zählen hier Erkältungen!“
       
       Weber ist pensionierter Internist und Onkologe, ein älterer Herr mit
       schütterem Haar und Lachfalten. Die Initiative „Kiel steht auf“ hat ihn als
       Auftaktredner eingeladen. Die Masken brächten nichts, ruft er, positive
       PCR-Tests seien „medizinisch völlig wertlos“. Dann geht es ums Impfen: „Ich
       verrate ihnen ein Geheimnis: Ich habe ein Immunsystem.“ Klatschen, Pfeifen,
       Rasseln aus der Menge. Mit Mühe erhebt er seine Stimme noch mal mehr: „Ich
       lasse mich nicht impfen! Nur über meine Leiche!“
       
       Im März habe er gemerkt, dass „die Zahlen nicht zur medialen Panikmache
       passten“, sagt Weber. Im April gründete er mit drei anderen Mediziner_innen
       die Stiftung „Ärzte für Aufklärung“. Weil er einen Doktortitel trägt und
       mit seinen 76 Jahren eine auf Lebenserfahrung gebaute Autorität ausstrahlt,
       gilt er vielen Pandemieleugner_innen als Experte. Als jemand, der sich
       auskennt mit PCR-Tests, Inzidenzwerten und mRNA-Impfstoffen.
       
       Als Weber auf dem Weg zur Demo am Bahnhof von einem Bundespolizisten
       aufgehalten wird, trägt er keine Maske, aber das ist kein Problem. Ein
       befreundeter Arzt hat ihm ein Attest ausgestellt: „Walter Weber kann aus
       gesundheitlichen Gründen keinen Mund-Nasen-Schutz tragen“. Routiniert zieht
       er einen gefalteten, laminierten Zettel aus der Innentasche seiner Jacke
       und zeigt ihn dem Polizisten.
       
       Menschen wie Weber führen eine Protestbewegung an, die seit dem Frühjahr
       gegen die Coronamaßnahmen auf die Straße geht, geeint in dem Glauben, die
       Pandemie sei ein Fake. Bestärkt werden sie von einem nicht versiegenden
       Strom der Desinformation. Jetzt mobilisieren sie auf ein Ereignis hin, das
       alle umtreibt: den Start der Impfungen.
       
       Am kommenden Montag entscheidet die EU-Arzneimittelagentur über die
       Zulassung des ersten Impfstoffs. Um mit diesem die Seuche zu stoppen,
       müssten sich 60 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. „Impfen ist der Weg
       raus aus dieser Pandemie“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn. Und:
       Vertrauen sei beim Impfen das „Allerallerwichtigste“.
       
       Genau das aber untergraben die Impfgegner_innen: das Vertrauen in die
       Sicherheit der Impfung. Und Rechte aller Couleur schlagen daraus
       politisches Kapital.
       
       Jüngsten Umfragen zufolge ist es um das Vertrauen nicht allzu gut bestellt.
       2016 bezeichneten sich noch drei Viertel der Befragten in Deutschland als
       „Impfbefürworter“. Wissenschaftler_innen der Uni Erfurt fanden [1][heraus]:
       Die Impfbereitschaft fällt seit April. Bei ihrer Umfrage Anfang Dezember
       gab nur rund die Hälfte der Befragten an, sich „(eher) gegen COVID-19
       impfen“ lassen zu wollen. „Selbst bei einem perfekt wirksamen Impfstoff
       würde die aktuelle Impfbereitschaft nicht ausreichen, um die Verbreitung
       des Virus zu stoppen“, schreiben die Forscher_innen.
       
       Bei der Kundgebung der Impfgegner_innen in Kiel, auf einem Parkplatz vor
       dem Ostseekai, wo die Kreuzfahrtschiffe anlegen, nieselt es. Nur wenige
       Demonstrierende tragen Masken, dafür aber Buttons mit „Umarmbar“,
       „Atomkraft Nein Danke“ oder „Pharmaindustrie haftbar machen“. Lautstark
       begrüßen sie einander und fallen sich in die Arme, witzelnd, man werde ja
       „von der Staatsmacht beobachtet“. Der Kitt ihrer Bewegung ist das
       Wir-gegen-das-böse-System-Gefühl.
       
       Im Gespräch mit der taz beschreibt es Weber so: Diejenigen, die den „Fake
       der Pandemie“ besonders schnell bemerkt hätten, seien die Handwerker
       gewesen. „Die haben die solideste Haltung. Die Intellektuellen
       intellektualisieren alles, denen fehlt der unverstellte Blick“, sagt Weber.
       „Die Unterdrückung Andersdenkender“ sei „schon voll aktiv“. Die Hamburger
       Sparkasse habe ohne Vorwarnung das Konto seiner Stiftung gelöscht, 20.000
       Euro Spendengelder seien an die Spender_innen zurücküberwiesen worden.
       
       Am 24. April, neun Tage nachdem Weber die „Ärzte für Aufklärung“ gründete,
       demonstrieren in Wien 200 Menschen auf dem Albertinaplatz in der Wiener
       Innenstadt. Aufgerufen hat die „Initiative für evidenzbasierte
       Corona-Informationen“. Mit dabei: Der „Obmann“ der „Identitären“ Martin
       Sellner. Redner_innen warnen vor Zwangsimpfungen durch Bill Gates. „Wir
       sind die Juden“, skandieren die Demonstrienden. „Ja, ich hab's mit dem
       Faschismus verglichen“, sagt eine Frau auf [2][Nachfrage] eines Reporters.
       
       Bei der nächsten Coronademo in Wien, Mitte Mai, tragen Teilnehmer_innen ein
       Schild mit der Aufschrift „Impfen macht frei“. Auf dem Bild wird auf den
       Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz angespielt, mit dem Schriftzug
       „Arbeit macht frei“ auf den Toren. Auch die AfD Salzgitter verbreitet
       zwischenzeitlich ein Bild mit dem Slogan. Ebenfalls Mitte Mai auf dem
       Opernplatz in Frankfurt haben sich Coronademonstrant_Innen Armbinden mit
       David-Sternen umgebunden, wie die Juden sie im NS tragen mussten. Darauf
       steht: [3][„Ungeimpft“]. Bald darauf tauchen die Armbinden auch in Zürich,
       Hamburg, Berlin, Stuttgart auf.
       
       In Kiel ist Weber fertig mit seiner Rede. Er sieht müde und abgekämpft aus.
       Seit Mai fährt er fast jede Woche in eine andere Stadt. Manchmal auf
       Einladung des Veranstalters, manchmal nur, um Flyer zu verteilen und
       Kontakte zu knüpfen. Auch Ärzt_innen aus dem Ausland hätten ihn eingeladen.
       Ungarn, Italien, zuletzt „sogar die Japaner“.
       
       Wenn Weber nicht unterwegs ist, verschickt er aus Hamburg Flyer, die
       aufklären sollen – und dabei vor allem Ängste schüren. Auf dem letzten
       Flugblatt steht: „Zwang zur Impfung droht“, darunter das Foto eines Kindes,
       das geimpft wird. Die „Ärzte für Aufklärung und Professor Dr. Stefan
       Hockertz“ warnen vor „80.000 Toten und 4 Millionen Impfgeschädigten durch
       eine Corona-Zwangsimpfung in Deutschland.“
       
       Das Paul-Ehrlich-Insitut (PEI) widerspricht vehement: Weder in den
       klinischen Prüfungen an mehreren zehntausend Personen noch bei den
       Impfungen in Großbritannien seien folgenschwere Reaktionen oder gar
       Todesfälle beobachtet worden. Auch im Deutschen Ärzteblatt wird vor den
       „Ärzten für Aufklärung“ [4][gewarnt].
       
       Andrea Feuer gehört zu jenen, die die Impfungen ängstigen. Sie bringt seit
       2017 „die Impfkritik in Deutschland auf die Straße“, sagt sie bei einer
       Demo in Berlin bereits im September 2019, zu sehen in einem Youtube-Video.
       Die kräftige Frau mit Kurzhaarschnitt, Ende 40, trägt Orange – passend zur
       Farbe des Banners mit der Aufschrift: „Für freie Impfentscheidung – gegen
       Zwangsbehandlungen!“ Von einem Blatt Papier liest sie etwas unsicher ihre
       Rede ab.
       
       Feuer ist Fachangestellte für Zahnmedizin und eine von zwei Gründerinnen
       des „Netzwerks Impfentscheid Deutschland“. Das ist der deutsche Ableger
       eines gleichnamigen Schweizer Netzwerks, das von der rechtspopulistischen
       SVP unterstützt wird. Schon als 2017 die Impfberatungspflicht für Eltern in
       Deutschland eingeführt wird, wertet Feuer das als politisches
       „Zügel-Anziehen“. Sie beschließt, politisch aktiv zu werden. 2019 erreicht
       ihr Kampf einen ersten Höhepunkt: Das Masernschutzgesetz wird beschlossen.
       „Wir leben in einem Land, in dem die Demokratie nur noch dem Schein dient“,
       ruft Feuer auf der Masernimpfdemo im September 2019 ihrem Publikum zu. Nur
       ein halbes Jahr später werden solche Sätze auch dem Publikum der
       Coronaproteste einheizen.
       
       Heute nennt Feuer die geplante Impfoffensive ein „Menschenlabor“. Sie sei
       keine Impfgegnerin, sondern Impfkritikerin, versichert sie der taz.
       Impfungen seien nicht per se ein Problem, aber das „anerzogene Mantra“,
       nach dem Impfungen als „höchstes Gut der Medizin“ gelten. Es werde
       „unkontrolliert“ geimpft, ohne differenzierte Diagnostik auf
       Vorerkrankungen.
       
       Das Paul-Ehrlich-Institut widerspricht auch dieser Behauptung. Es verweist
       auf den Beipackzettel, der über Risiken für bestimmte Gruppen,
       Wechselwirkungen und Nebenwirkungen informiert. Selbstverständlich würden
       Ärzte Impfwillige daraufhin befragen und untersuchen. Zudem würden bei den
       klinischen Prüfungen auch Angehörige der Risikogruppe geimpft.
       
       Sechs bis sieben Beratungsanfragen zum Thema Impfung bekomme Andrea Feuer
       jeden Tag, sagt sie. Einige davon leiteten Webers „Ärzte für Aufklärung“ an
       sie weiter. Feuer spricht mit der warmen Stimme einer besorgten Mutter, das
       wirkt vertrauenerweckend. Ihre Argumente klingen für Laien einleuchtend.
       Auch weil sie Unwägbarkeiten anspricht, die die Wissenschaft tatsächlich
       noch nicht ausräumen kann: etwa welche Langzeitfolgen die Corona-Impfung
       haben kann.
       
       Feuer ist auch deshalb erfolgreich, weil beim Versuch der Politik, den
       Impfgegner_innen etwas entgegenzusetzen, noch Luft nach oben ist. Das
       Bundesgesundheitsministerium hat zwar einen „Steuerungskreis Kommunikation“
       für „eine transparente, proaktive und zielgruppenspezifische
       Kommunikationskampagne“ eingerichtet. Aber ein Interview mit diesem
       verweigert das Ministerium. „Machen wir nicht“, sagt der Sprecher kurz
       angebunden – ohne Begründung.
       
       Minister Jens Spahn müht sich indes nach Kräften. Nebenwirkungen sollen
       Geimpfte per App melden können. „Wir werden das sehr, sehr transparent
       machen“, sagt er und versichert: „Ich gebe Ihnen mein Wort: Es wird in
       dieser Pandemie keine Impfpflicht geben.“
       
       In den Telegram-Gruppen mancher Impfgegner ist indes ausgemachte Sache,
       dass es nicht freiwillig bleibt. Sie teilen Anleitungen, um die
       Impfbürokratie lahmzulegen, indem man massenhaft Dokumente wie Auszüge aus
       einem „einheitlichen StaatsRegister des Impfstoff-Unternehmens“ anfordert.
       Ein Register diesen Namens aber existiert gar nicht.
       
       Auch Andrea Feuer glaubt, der Impfzwang komme indirekt. Airlines hätten
       schließlich schon angekündigt, nur Geimpfte an Bord zu lassen. „Erst die
       Reisefreiheit, dann mal weitergesponnen die Veranstalter, die sagen, in
       unser Konzert kommen Sie nur noch mit Immunitätsausweis.“
       
       Auf Feuers Kundgebungen und im Netz, auf ihrem Blog und in dem
       Telegram-Kanal mit über 9.000 Followern wird die Pandemie geleugnet und als
       „Coronahype“ heruntergespielt, Infektionszahlen werden in Zweifel gezogen –
       und Panik vor einem drohenden Impfzwang verbreitet.
       
       Vor den Ängsten, die sie schürt, scheint sie selbst nicht gefeit. Mit dem
       nahenden Impfstart wird auch der Ton ihrer E-Mails an die taz aufgeregter.
       Noch spät am Abend schreibt sie, sie habe gerade den „Corona-Ausschuss“
       angeschaut – eine Gruppe von Jurist_innen, die in Videokonferenzen die
       Coronamaßnahmen hinterfragen und Fakten und Falschinformationen so
       miteinander verbinden, dass am Ende immer klar ist: Die Pandemie ist ein
       Fake. Feuer schreibt: „Ich rate Ihnen dringend, sich diese komplette
       Sendung anzuschauen. Es gab bei dem Covid-19-Impfstoff überhaupt keine
       prätoxische Studie.“ Nun würden „Menschenversuche“ stattfinden. Feuer
       bittet darum, „dabei mitzuhelfen“, dies aufzudecken. „Es geht um Leben und
       Tod!!!“ Mit „prätoxisch“ meint Feuer präklinische Studien auf Toxizität.
       Doch dass es diese nicht gegeben haben soll, ist laut dem
       Paul-Ehrlich-Institut eine Falschbehauptung. Ohne diese Daten werde eine
       klinische Prüfung gar nicht genehmigt, so das PEI.
       
       Es ist genau diese Sorte Angst, die auch Populisten und extreme Rechte,
       fast überall in Europa, derzeit nach Kräften anzuheizen versuchen.
       
       „Schiebt euch eure Giftspritze in den Arsch!“, singen Demonstrierende etwa
       Mitte November auf dem Trafalgar Square in London. Zu dieser Zeit tauft
       Nigel Farage seine Partei in „Reform UK“ um. Farage ist Gründer der
       rechtspopulistischen Ukip sowie später der antieuropäischen Brexit Party.
       Mit Reform UK will er nun als Sprachrohr der Corona-Protestierer punkten.
       Denn zuletzt war die Partei des Rechtspopulisten auf nur 2 Prozent
       abgestürzt. Corona sei zwar kein Hoax, sagt Farage, aber die Maßnahmen
       gegen die Pandemie würden langfristig zu mehr Toten führen.
       
       Ähnlich argumentiert die rechtspopulistische Schweizer SVP. Deren
       Jugendorganisation nennt die Coronamaßnahmen der Schweizer Regierung einen
       „Genickschuss“ für das ganze Land. Die SVP unterstützt das „Stopp
       Impfpflicht“–Referendum. In dessen Komitee sitzt Daniel Trappitsch vom
       „Netzwerk Impfentscheid“, der Schwesterorganisation des Netzwerks von
       Andrea Feuer.
       
       In Paris zogen kürzlich rund einhundert Menschen vor das
       Gesundheitsministerium. Auch einige Gelbwesten hatten sich unter die
       Demonstrierenden gemischt. „Die Kur ist schlimmer als die Krankheit“, stand
       auf einem Transparent der „Patriots“, einer Abspaltung des rechtsextremen
       Rassemblement National (RN). Florian Philippot hatte nach einem Streit mit
       Marine Le Pen 2017 seine eigene Partei gegründet. Nun steht er in
       Frankreich im Zentrum jener politischen Kräfte, die Covid-19 für eine
       Verschwörung und den Impfstoff als Gefahr sehen. „Covid 19: Die unmaskierte
       Oligarchie“ ist der Titel eines Buchs, das Philippot kürzlich
       veröffentlichte.
       
       In Frankreich ist die Impfskepsis traditionell besonders stark ausgeprägt.
       Zwischen 2019 und vergangenem November sank die Impfbereitschaft der
       Franzosen von 63 auf 50 Prozent. Kürzlich sorgte der Film „Le Hold-Up“, auf
       Deutsch „Der Überfall“, für Diskussionen. In dieser Pseudodokumentation,
       die binnen kürzester Zeit ein Millionenpublikum im Netz erreichte, wird die
       Pandemie als geplante Vernichtung der Menschheit dargestellt, als
       „Holocaust“ gegen die Ärmsten der Welt. Der Film wurde von Youtube
       gesperrt, ist aber auf einschlägigen Kanälen bis heute abrufbar.
       
       Auch in Österreich gibt es immer mehr Covid-Verschwörerforen. Am liebsten
       kommunizieren sie über den Messengerdienst Telegram. In Kanälen wie
       „Fairdenken“, „CoronaWiderstand“, „Querdenker“ oder auch „Corona-Querfront“
       poppen fast im Sekundentakt entsprechende Meldungen auf. Da ist dann zum
       Beispiel zu lesen, dass sich sogar Labormäuse gegen den Corona-Impfstoff
       wehren würden – oder dass man heutzutage schon „ein Nazi“ sei, wenn man nur
       spazieren gehe.
       
       Die aus Baden-Württemberg stammenden „Querdenker“ haben längst in
       Österreich ihre Ableger. „Auf nach Berlin!“, schrieb Inge Rauscher im
       Sommer auf ihre Homepage. Die rüstige Seniorin ist Vorsitzende der rechten
       Ökoinitiative „Heimat & Umwelt“, fleißige Aktivistin für einen EU-Austritt
       Österreichs. Sie warb dafür, die „Querdenken“-Demo in Berlin zu besuchen.
       In Wien zerrissen im September Aktivist_innen unter Applaus der Menge auf
       der Bühne eine Regenbogenfahne, das Symbol der Schwulen- und
       Lesbenbewegung. Dabei bekamen sie Besuch aus Deutschland: Der bekannte
       „Reichsbürger“ Frank Radon erschien mit Reichsflagge in Wien.
       
       Die österreichische FPÖ, die seit kurzem wieder auch offiziell enge
       Verbindungen mit den rechtsextremen Identitären hat, ist nach anfänglichem
       Zögern auf den Zug aufgesprungen. FPÖ-nahe Medien wie der Wochenblick
       hofieren die „Corona-Rebellen“, FPÖ-Politiker treten mit ihnen auf. „In der
       Frage der Corona-Impfung wird von allen wissenschaftlichen und
       gesundheitspolitischen Standards abgerückt“, behauptete Parteichef Norbert
       Hofer am Mittwoch. „Die Menschen zu so einer Impfung zu verpflichten, ist
       schlichtweg verantwortungslos und darf nicht stattfinden.“ Inzwischen hat
       die FPÖ eine Onlinepetition gegen einen vermeintlichen Impfzwang gestartet.
       
       Eine Studie des „Counter Terrorism Project“ im Auftrag der deutschen
       EU-Ratspräsidentschaft warnt bereits davor, dass die Coronapandemie es
       Rechtsextremen möglich mache, ihre „Mobilisierungsbemühungen rund um
       regierungsfeindliche Verschwörungsmythen“ auszubauen. Dazu würden sie die
       staatlichen Coronaschutzmaßnahmen als Errichtung eines „Polizeistaats“
       uminterpretieren. Die rechtsextreme Szene „würde auch versuchen, die
       Debatte rund um einen baldigen Corona-Impfstoff auszunutzen, um Impfgegner
       für ihre Zwecke einzuspannen“.
       
       Identitären-Chef Martin Sellner schrieb bereits im Mai in der neurechten
       Zeitschrift Sezession von Götz Kubitschek, der in Sachsen-Anhalt einen
       Kleinverlag betreibt, durch die Coronaproteste könne „das
       Wachstumspotenzial des patriotischen Lagers“ steigen. Die Krise könne
       „vielleicht sogar in die Nähe politischer Macht führen“.
       
       Denn so wie der AfD ist den radikal Rechten in vielen Ländern das
       durchschlagende Thema abhandengekommen. Sie versuchen ein neues zu finden –
       und neue WählerInnen dazu: die Verängstigten in der bürgerlichen Mitte.
       Coronaprotest und das Schüren von Impfpanik sollen dabei helfen.
       
       Das Internet ist ihnen behilflich, den Rechten und den Impfgegner_innen.
       Seit 2019 stieg die Zahl der englischsprachigen Social-Media-Accounts von
       Impfgegner_innen um 7,8 Millionen. 31 Millionen User_innen folgen
       Impfgegner-Gruppen auf Facebook, 17 Millionen auf Youtube. Das zeigt eine
       [5][Studie] des britischen Centre for Countering Digital Hate.
       
       Von einer „Infodemie“ spricht Siddhartha Datta von der
       Weltgesundheitsorganisation WHO – eine Flut an Informationen, in der das
       verlässliche Wissen über die Krankheit für den Einzelnen immer schwerer von
       Fake News unterschieden werden kann. Datta ist bei der
       Gesundheitsorganisation für das Thema Impfen in Europa zuständig.
       Fehlinformationen, die die Impfbereitschaft untergraben, seien ein Teil
       dieser Infodemie, sagt er. „Es ist nicht ein einziges Narrativ, das
       verwendet wird, um gegen Impfstoffe zu mobilisieren“, sagt Datta. „Die
       Interessengruppen verwenden an verschiedenen Orten verschiedene Narrative.“
       Ein Beispiel seien etwa anthroposophische Gruppen, die ganz eigene
       Ansichten darüber hätten, was die Menschen tun sollen.
       
       Auch die EU-Kommission sieht das Treiben der Impfgegner_innen mit Sorge.
       „Sehr ernst“ sei die Lage, sagt ein Sprecher der Generaldirektion
       Gesundheit. In fünf EU-Behörden sind Beamte damit befasst, gegen die
       impfbezogenen Fake News vorzugehen. Die EU-Botschaften haben ein
       [6][Warnsystem] für Fake News eingerichtet. Vor allem aber setzt die EU auf
       die Kooperation der Internetkonzerne. „Wenn Sie heute bei Google nach
       ‚Covid19-Impfung‘ suchen, werden sie zur WHO oder anderen zuverlässigen
       Quellen geleitet. Das ist ein großartiger Beitrag“, sagt Siddhartha Datta
       von der WHO. Facebook, Twitter, Mozilla, Google, Microsoft und zuletzt
       Tiktok haben eine Selbstverpflichtung unterzeichnet, um gegen Fake News
       vorzugehen. Der Messengerdienst Telegram ist bislang nicht dabei. Über
       diese Plattform kommuniziert die Bewegung am liebsten.
       
       Mit Sorge schaut auch Thüringens Innenminister Georg Maier, derzeit
       Vorsitzender der Innenministerkonferenz, auf die Impfgegner. „Die
       ideologische Verhärtung bei einem Teil der Impfgegner ist sehr groß, es hat
       eine Radikalisierung stattgefunden“, sagte Maier der taz. „Wir müssen davon
       ausgehen, dass es unter den Impfgegnern Kräfte gibt, die nicht davor
       zurückschrecken, einen Angriff auf ein Impfstofflager durchzuführen.“ Maier
       will die Lager von der Polizei schützen lassen. Zudem zeige die Diskussion
       um die niedrige Impfbereitschaft den Rechtsextremisten, dass hier
       Anknüpfungspotenzial bestehe. „Das muss man sehr ernst nehmen.“
       
       Ein Teil der AfD sieht das mit dem Anknüpfungspotenzial ähnlich. An einem
       Freitagabend Ende Oktober steht Björn Höcke vor der Stadthalle in Cottbus.
       Der Thüringer AfD-Chef, Anführer des offiziell aufgelösten „Flügels“ und
       von den Behörden offiziell als Rechtsextremist eingestuft, kritisiert
       staatliche „Repressionen“, spricht von „Erstürmungen von Wohnungen“,
       „Inhaftierungen“ und „Zwangsimpfungen mit erbgutveränderndem Impfstoff“.
       All das erwäge der Staat. Applaus auf dem Platz, auf dem sich etwa 350
       Menschen versammelt haben.
       
       Höcke meint die so genannten mRNA-Impfstoffe, zu denen auch jener von
       Biontech und Pfizer gehört, der höchstwahrscheinlich nun in der EU
       zugelassen wird. Es gibt keine wissenschaftliche Belege dafür, dass
       Impfstoffe wie dieser das Erbgut verändern. „Warnungen vor Erbgutschäden
       sind falsch und verursachen unbegründete Ängste“, sagt auch der Präsident
       des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek. Das hinderte den
       AfD-Abgeordneten Steffen Kotré nicht, das Märchen vom Impfstoff, der „ins
       Erbgut eingreift“, am Mittwoch im Bundestag zu wiederholen.
       
       Genau wie die FPÖ versuchen auch Höcke und ein großer Teil der AfD – nach
       anfänglicher Corona-Orientierungslosigkeit – Anschluss bei den
       Pandemieleugnern zu finden. Es sei ein großes Verdienst der so genannten
       Querdenken-Bewegung, lobte Höcke kürzlich, dass es ihr gelungen sei, neue
       Bevölkerungsgruppen an „die demokratische Straßenkultur“ heranzuführen. Die
       „friedlichen und gesetzestreuen Bürgerproteste“ stellten, „wenn wir an sie
       andocken, auch ein großes neues Wählerpotenzial dar.“
       
       Nicht alle in der AfD denken so. Parteichef Jörg Meuthen hat jüngst vor zu
       viel Nähe zur Querdenken-Bewegung gewarnt. Fragt man im Bundestag nach
       einer abgestimmten Position der AfD-Fraktion zur Corona-Impfung, bekommt
       man auch eine eher gemäßigte Antwort. „Wir halten Impfen für richtig, für
       einen wichtigen medizinischen Fortschritt“, sagt der gesundheitspolitische
       Sprecher Detlev Spangenberg am Telefon vorsichtig. „ Aber sie sollte
       freiwillig sein.“
       
       Doch vielen in Fraktion und Partei reichen solche Äußerungen nicht. Einer
       der in dieser Frage besonders aktiven AfDler ist der bayrische
       Bundestagsabgeordnete Hansjörg Müller. Bei der jüngsten Kundgebung vor dem
       Reichstag war er auf einen Klavierhocker gestiegen und hatte eine Rede
       gehalten. Hinter der Coronapolitik versteckten sich „die Finanz- und
       Pharmaindustrie“, rief er. Müller ist einer der drei AfD-Abgeordneten, die
       an jenem Tag Gäste in den Bundestag brachten, von denen einige dort
       Abgeordnete anderer Fraktionen bedrängten. Weil Müller krank ist, sagt er
       ein Treffen ab, beantwortet Fragen aber per Mail. „Mir geht das alles viel
       zu schnell!“, schreibt er auf die Frage, wie er zum Impfen stehe. Nach
       einer solch kurzen Zeit halte er es für verwegen zu behaupten, dass der
       Impfstoff sicher sei.
       
       Wie Andrea Feuer warnt er vor einem „indirekten Impfzwang“. Nicht Geimpfte
       könnten vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden oder ihren
       Arbeitsplatz verlieren. In Sachsen-Anhalt hat die AfD im Landtag einen
       Antrag eingebracht, der die Regierung auffordert, eine „Impfpflicht durch
       die Hintertür“ zu verhindern.
       
       Müller hält die Maske für Freiheitsberaubung und Corona für eine
       Verschwörung von Bill Gates, der die Menschen zwangsimpfen und daran
       verdienen wolle. Die Bezeichnung Verschwörungstheoretiker stört ihn nicht.
       „Das belustigt mich total“, sagte er jüngst im ZDF. Der taz schickt er ein
       Video von „Prof. Hockertz“, einem der angeblichen Fachleute mit
       Professorentitel, die die Corona-Skeptiker_innen gern herumreichen.
       Hockertz wird auch auf dem Flyer von Walter Weber von den „Ärzten für
       Aufklärung“ zitiert. Und so finden sich Impfgegner_innen und radikal Rechte
       immer öfter Seite an Seite wieder.
       
       Für dieses Wochenende hat Andrea Feuer zu Schweigemärschen gegen die
       Coronamaßnahmen in Deutschland und Österreich aufgerufen, gemeinsam mit der
       Gruppe „Kündigt Ramstein Air Base“ aus der Friedensbewegung. Außerdem hat
       sie seit Anfang Dezember 100.000 Flyer drucken lassen. Die Nachfrage sei so
       groß, dass sie 60.000 weitere nachbestellt habe. Feuer sagt, sie glaube
       nicht, dass das Impfziel in Deutschland erreicht werde.
       
       Auch Walter Weber ist zuversichtlich. Die Menschen würden „sich das nicht
       länger gefallen lassen“, sagt er im Anschluss an seine Rede in Kiel. Die
       Protestierenden haben sich zu einem Demonstrationszug in Richtung
       Innenstadt aufgestellt. Diesen Samstag ist für Weber wieder Demotag. Geht
       es nach Weimar oder doch Offenburg? Er hat den Überblick verloren.
       
       19 Dec 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/summary/s1/
 (DIR) [2] https://twitter.com/PresseWien/status/1253766506208473091?s=20
 (DIR) [3] https://www.deutschlandfunk.de/libertaerer-antisemitismus-hygienedemos-verbreiten-mythos.886.de.html?dram%3Aarticle_id=477618
 (DIR) [4] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/117351/Aerzte-Gruppierung-verbreitet-irrefuehrende-Flugblaetter-in-Berlin
 (DIR) [5] https://www.counterhate.co.uk/covid-media
 (DIR) [6] https://www.euractiv.de/tag/rapid-alert-system/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nora Belghaus
 (DIR) Sabine am Orde
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