# taz.de -- Impfung für vergessene Risikogruppen: Im Härtefall
       
       > Die Impfverordnung regelt, wer wann gegen Covid-19 geimpft wird. Erste
       > Bundesländer schaffen nun auch Regelungen für Härtefälle.
       
 (IMG) Bild: Knappes Gut: Eine Pharmaziestudentin bereitet Corona-Impfstoff vor
       
       Der Ruf nach einer Härtefallregelung bei den Corona-Impfungen wird immer
       lauter. Wenn Menschen mit seltenen Vorerkrankungen zu Hause gepflegt werden
       und sich nicht isolieren können zum Beispiel. Oder wenn Krebserkrankte in
       absehbarer Zeit ins Krankenhaus müssen, wo sich immer wieder Menschen mit
       dem Coronavirus infizieren. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat ihre
       Empfehlungen bereits vor drei Wochen mit einem Passus versehen, der
       Härtefallentscheidungen ermöglicht. Mehrere Länder arbeiten jetzt an einer
       entsprechenden Regelung.
       
       Zum Hintergrund: Die [1][Coronavirus-Impfverordnung] regelt den Zugang zur
       Impfung für verschiedene Bevölkerungsgruppen. Dabei werden zunächst
       Menschen über 80 und Bewohner*innen von Pflegeheimen sowie
       medizinisches und Pflegepersonal mit unmittelbarem Ansteckungsrisiko
       berücksichtigt. In zwei weiteren Priorisierungsgruppen wird der Kreis der
       Anspruchsberechtigten ausgeweitet. Offenbar nicht mitbedacht hat man im
       federführenden Gesundheitsministerium [2][Menschen, die mit Pflegebedarf zu
       Hause leben]. Dabei haben sie häufig ein deutlich erhöhtes Risiko für einen
       sehr schweren Verlauf von Covid-19, außerdem werden sie in der Regel von
       wechselnden Pflegekräften oder Assistent*innen betreut, können sich
       also nur bedingt isolieren und schützen.
       
       Für Fälle wie diese hatte die Stiko am [3][8. Januar] und zuletzt am
       [4][29. Januar] ihre Impfempfehlungen geändert: Auch Menschen mit einem
       deutlich erhöhten Risiko, die bisher nicht explizit in der Impfverordnung
       genannt sind, sollten demnach von den „für die Impfung Verantwortlichen“ in
       die entsprechenden Priorisierungsgruppen eingeordnet werden können.
       
       Das Bundesgesundheitsministerium äußerte sich bisher nicht auf die
       taz-Anfrage, ob die Impfverordnung entsprechend geändert werden soll,
       verweist aber darauf, dass die Bundesländer entsprechend „praktische
       Erwägungen“ berücksichtigen könnten.
       
       ## Die Regelungen in den Ländern
       
       Von den 16 angefragten Gesundheitsverwaltungen haben sich 12
       zurückgemeldet. Aus Sachsen-Anhalt, Berlin, Thüringen, Niedersachsen,
       Schleswig-Holstein und Hamburg ist die Antwort knapp: Rechtlich bindend sei
       die Impfverordnung, und solange die nicht geändert sei, gebe es auch kein
       Abweichen von den bislang genannten Personengruppen und Priorisierungen.
       Aus dem saarländischen Gesundheitsministerium heißt es, Sonderlösungen auf
       Landesebene zu etablieren mache keinen Sinn. „Die Thematik besteht
       bundesweit und es wird ein möglichst einheitliches Vorgehen angestrebt.“
       
       Das sehen aber längst nicht alle Länder so. In Mecklenburg-Vorpommern hält
       man Härtefallentscheidungen entsprechend den Stiko-Empfehlungen für
       angezeigt. Angesichts der begrenzten Impfstoffkapazitäten habe man sich
       aber entschieden, „zunächst die in der Prioritätsgruppe 1 genannten
       Risikogruppen mit den höchsten Risikofaktoren vorrangig und möglichst
       vollständig zu impfen“.
       
       Auch in der bayerischen Impfstrategie behält man sich nach eigenen Angaben
       grundsätzlich Einzelfallentscheidungen vor.„Es obliegt den für die Impfung
       Verantwortlichen und somit den Impfzentren vor Ort, Personen, die nicht
       explizit genannt sind, in die jeweilige Priorisierungskategorie
       einzuordnen“, so ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums. Dies
       betreffe insbesondere Personen mit seltenen, schweren Vorerkrankungen, für
       die ein erhöhtes Risiko angenommen werden kann.
       
       In Rheinland-Pfalz gab es bereits vor der Stiko-Empfehlung eine
       medienwirksame Einzelfallentscheidung, bei der Ministerpräsidentin Malu
       Dreyer (SPD) sich persönlich für die Impfung eines 30-Jährigen einsetzte,
       der mit Muskeldystrophie des Typs Duchenne lebt und zu Hause gepflegt wird.
       Derzeit werde ein Antragsverfahren erarbeitet, „das auch die Einrichtung
       einer Stelle beinhaltet, an die begründete Anträge gestellt werden können“,
       so das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium. Auch in
       Baden-Württemberg gibt es nach eigener Auskunft „erste Überlegungen, wie
       ein Härtefallverfahren für Notfälle im Einklang mit der Impfverordnung
       geregelt werden könnte“.
       
       ## Vorreiter Bremen
       
       Am weitesten aber ist man in Bremen. In der vergangenen Woche hat der
       dortige Senat beschlossen, eine Impfkommission gesetzlich einzurichten, die
       bremische Bürgerschaft hat dem zugestimmt. Personen, bei denen aufgrund
       ihrer individuellen gesundheitlichen Situation ein sehr hohes Risiko für
       einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Corona-Infektion
       besteht, können bereits ab dieser Woche einen Antrag auf vorzeitige Impfung
       stellen.
       
       Das Bundesgesundheitsministerium hat zwar nun angekündigt, die
       Impfverordnung zu überarbeiten. Vorrangig geht es dabei aber um die
       Stiko-Empfehlung, den [5][AstraZeneca-Impfstoff nur an Personen unter 65]
       abzugeben. Beim Impfgipfel am 1. Februar soll darüber beraten werden. Ob im
       Zuge dessen auch die von der Stiko empfohlene Härtefallregelung in der
       Verordnung aufgenommen wird, wird sich zeigen.
       
       31 Jan 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Verordnungen/CoronaImpfV_-_De_Buette.pdf
 (DIR) [2] /Impfungen-gegen-Corona/!5741498
 (DIR) [3] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?__blob=publicationFile
 (DIR) [4] https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/05_21.pdf?__blob=publicationFile
 (DIR) [5] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5747919
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manuela Heim
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Menschen mit Behinderung
 (DIR) Leben mit Behinderung
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Rechtsanspruch
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) IG
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Abschaffung der Prioritätenliste: Wie viel Impfstoff geliefert wird
       
       Die Priorisierung ist aufgehoben – und tatsächlich liefert gerade Biontech
       im Juni und Juli viel Impfstoff. Doch vorerst haben Zweitimpfungen Vorrang.
       
 (DIR) Medizinanwalt über Impf-Priorisierung: „Eine Fehlkonstruktion“
       
       Der Rechtsanwalt Oliver Tolmein vertritt PatientInnen, die auf ein
       Aufrücken in der Impfhierarchie klagen. Er verlangt andere Auffangklauseln.
       
 (DIR) Empfehlung des Ethikrates zu Corona: Keine Ausnahmen für Geimpfte
       
       Der Ethikrat hält es für falsch, Coronaregeln für Geimpfte früher zu
       beenden. Die Experten unterscheiden zwischen staatlichen und privaten
       Regeln.
       
 (DIR) Einigung beim Impfgipfel: Merkel verspricht mehr Transparenz
       
       Impfstoffe bleiben im 1. Quartal knapp. Aber die Hersteller sollen nun
       laufend einen Plan mit Daten zu den erwarteten Lieferungen bereitstellen.
       
 (DIR) Probleme bei Impfstofflieferungen in EU: Vielleicht doch was Russisches?
       
       Die WHO wirft der EU Gesundheitsnationalismus vor. Brüssel flirtet mit
       Russland und China – und hält Verträge mit Herstellern weiter geheim.
       
 (DIR) Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: 300 Millionen Dosen bis Jahresende
       
       Das Gesundheitsministerium schätzt, dass ab dem zweiten Quartal 2021 viel
       mehr Impfstoff bereit liegt. Firmen, Bund und Länder beraten zur
       Impfstrategie.
       
 (DIR) Streit um Priorisierungen beim Impfen: Die vergessene Gruppe
       
       Es bleibt das dumpfe Gefühl, dass die Lebenswirklichkeit von Menschen mit
       Behinderungen von Spahns Ministerium nicht mitgedacht wurde.
       
 (DIR) Impfungen gegen Corona: Die Vergessenen
       
       Das Gesundheitsministerium betont, dass verletzliche Gruppen priorisiert
       werden. Doch für pflegebedürftige junge Menschen gilt das offenbar nicht.
       
 (DIR) Risikogruppen und die Coronakrise: „Ich lass mich nicht unterkriegen“
       
       Vier Menschen erzählen von der Angst vor einer potenziell tödlichen
       Infektion, der Wut über Coronaleugner und ihrer Hoffnung auf den Impfstoff.