# taz.de -- Nachrichten über Putschversuch in Haiti: Putschversuch oder Selbstputsch
       
       > Haitis Präsident Jovenel Moïse lässt 23 Würdenträger*innen als
       > Putschisten verhaften. Seine Amtszeit ist vorbei, er will weiterregieren.
       
 (IMG) Bild: Bewaffnete Polizisten gegen Protestierende: Port-au-Prince am Sonntag
       
       FRANKFURT/M. taz | Der vergangene Sonntag hätte eigentlich der letzte Tag
       der Präsidentschaft von Jovenel Moïse in Haiti sein sollen. Laut Verfassung
       hätte am 7. Februar 2021 eine neutrale Interimspräsidentschaft in Kraft
       treten müssen, die dann Präsidentschaftswahlen hätte organisieren sollen.
       Nun sind die, die das hätten tun müssen, in Haft.
       
       Begründung: sie hätten einen Putsch geplant und dem gegenwärtigen
       Präsidenten nach dem Leben getrachtet. Alle 23 angeblich Beteiligten wurden
       in Pyjamas verhaftet, was gegen diese Version zu sprechen scheint.
       Verhaftet wurde auch der Chef des Kassationsgerichts, der für die
       Interimspräsidentschaft in Frage gekommen wäre.
       
       Die Version von Moïse, er habe einen Putschversuch verhindert, kann man
       also durchaus anzweifeln. Erst recht, wenn man weiß, dass er seit mehr als
       drei Jahren erheblich unter Druck steht. Gewählt wurde Moïse ohnehin nur
       mit einem so geringen Stimmenanteil der Wahlberechtigten, dass seine
       Legitimität von Anfang an zweifelhaft war.
       
       Dann stellte sich in einem unabhängigen Untersuchungsbericht heraus, dass
       er wie viele andere haitianische Politiker an der systematischen Entwendung
       von Hilfsgeldern aus Venezuela nach dem [1][Erdbeben 2010] beteiligt war.
       Eine internationale haitianische Bewegung junger Leute brachte die
       skandalösen Korruptionsfälle ans Tageslicht, und friedliche
       [2][Demonstrationen] überzogen 2017 bis Ende 2019 das ganze Land. Die
       geforderten Prozesse wurden jedoch nie durchgeführt. Unter anderem die
       Coronapandemie beendete die Proteste – vorerst.
       
       ## Biden-Regierung stützt Präsident Moïse
       
       Stattdessen verübten Gangs mit Verbindungen zur Präsidentenfamilie in La
       Saline, einem Stadtteil von Port-au-Prince, 2018 ein Massaker an 70
       Personen. Die Bluttat gilt gemeinhin als der Anfang des Bündnisses zwischen
       Gangs und dem gegenwärtigen Präsidenten. Pierre Espérance, einer der
       wichtigsten haitianischen Menschenrechtler, spricht davon, dass „das Regime
       die Macht an die Gangs übergeben hat“.
       
       Die Gewalt hat seither nie dagewesene Ausmaße angenommen. Eines der
       berühmtesten Opfer war im Sommer vergangenen Jahres der Chef der
       Anwaltskammer, Monferrier Dorval. Nach einem Radiointerview, in dem er
       Moïse scharf kritisierte, wurde er vor seiner Haustür niedergeschossen. Die
       Leibgarde des Präsidenten, der sein Nachbar ist, war wundersamerweise
       gerade zu Tisch, und ein unerwartetes Feuerwerk übertönte die tödlichen
       Schüsse. Ein wichtiger und glaubwürdiger Gegenspieler des autokratischen
       Präsidenten war beseitigt.
       
       Moïses Macht gründet sich auf sein Bündnis mit den Gangs und auf die
       Unterstützung der internationalen Core Group. Die im Zuge der Erdbebenhilfe
       entstandene Core Group besteht aus den wichtigsten Einflussmächten,
       darunter die USA, Kanada, Frankreich, die EU und Deutschland. Sie ist das
       wichtigste Gremium für Haiti, denn sie entscheidet darüber, ob Budgethilfen
       der Geberländer gewährt werden oder nicht. Diese Core Group hat sich
       bislang immer auf die Seite von Moïse geschlagen, mit rein formalen
       Argumenten.
       
       Zuletzt nun erklärte die frisch gewählte Biden-Regierung wenige Tage vor
       Ablauf von Moïses Amtszeit, dass er bis Februar 2022 legitimer Präsident
       sei. Dann solle er für Wahlen sorgen.
       
       Bis dahin allerdings möchte der haitianische Präsident die Verfassung so
       überarbeitet haben, dass sie ihm eine weitere Amtszeit und die Aufstellung
       einer Armee ermöglicht. Die demokratische Opposition befürchtet schon
       lange, dass Moïse sich zu einem Diktator à la Duvalier entwickelt. An
       diesem Sonntag könnte er einen entscheidenden Schritt in diese Richtung
       vollzogen haben.
       
       8 Feb 2021
       
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 (DIR) Katja Maurer
       
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