# taz.de -- Coronavirus in China: Kein Wiedersehen im Jahr des Ochsen
       
       > An diesem Neujahrsfest werden viele Chinesen auf ihren Familienbesuch
       > verzichten müssen. Für Wanderarbeiter ist das besonders bitter.
       
 (IMG) Bild: Neujahrsdeko in Peking: Reisebeschränkungen und Quarantäne-Auflagen bestimmen das Fest
       
       PEKING taz | Wenn Frau Huang vom diesjährigen Neujahrsfest erzählt, kann
       sie ihre aufgestauten Emotionen auch hinter der hellblauen Gesichtsmaske
       kaum verbergen. Die 50-Jährige hat in der Arbeitersiedlung Picun am Rand
       von Peking einen Marktstand aufgebaut, wo sie am Wegesrand in der
       klirrenden Kälte Sonnenblumenkerne, getrocknete Früchte und Äpfel verkauft.
       
       „Normalerweise arbeite ich bis kurz vorm Neujahrsfest, denn dann kaufen die
       Leute nochmal ordentlich ein“, sagt sie. Danach besuche sie stets ihren
       Sohn, der 700 Kilometer südlich in der Provinz Shandong bei seiner
       Großmutter aufwächst. Im bald beginnenden Jahr des Ochsen muss die
       Familienvereinigung jedoch ausbleiben – zu streng sind die
       Reisebeschränkungen und Quarantäne-Auflagen.
       
       Millionen Chinesen werden beim wichtigsten Fest des Jahres ihre Verwandten
       nicht wiedersehen können. Das laut Mondkalender am 12. Februar gefeierte
       Neujahrsfest bezeichnen viele Medien als „größte Völkerwanderung der Welt“,
       schließlich sind normalerweise fast die Hälfte der 1,4 Milliarden Einwohner
       dann auf Reisen. Im letzten Jahr sorgten die Neujahrstage dafür, dass das
       Coronavirus [1][von Wuhan in sämtliche Provinzen verschleppt] wurde – ein
       Szenario, dass 2021 unbedingt verhindert werden soll.
       
       Ein offizielles Reiseverbot gibt es nicht, jedoch etliche Hindernisse. Seit
       sich in China nach Monaten ohne Infektionen wieder einzelne
       Infektionsstränge ausbreiten, muss laut der nationalen
       Gesundheitskommission jeder Chinese, der in ländliche Gegenden fährt, nicht
       nur einen aktuellen Covidtest vorzeigen, sondern auch eine 14-tägige
       „Gesundheitsbeobachtung“ absolvieren, bei der die eigene Körpertemperatur
       mehrmals täglich durchgegeben wird. Manche Dörfer haben zudem aus Angst vor
       importierten Virusfällen ihre Grenzen komplett dichtgemacht.
       
       ## Wanderarbeiter in Parallelgesellschaft
       
       Diese Maßnahmen, so haben viele Nutzer in den sozialen Medien kritisiert,
       betreffen weniger Chinas urbane Eliten, sondern [2][vor allem die 300
       Millionen Arbeitsmigranten], die aus den unterentwickelten
       Hinternlandregionen zum Geld verdienen in die Küstenmetropolen gezogen
       sind. Für viele von ihnen kommt ein ausgefallenes Neujahrsfest einer
       persönlichen Tragödie gleich. Schließlich können sie ihre zurückgelassenen
       Kinder und Eltern oft nur einmal im Jahr sehen.
       
       Zehntausende Arbeitsmigranten leben in der Siedlung Picun an der östlichen
       Peripherie Pekings. Weit hinter dem fünften Stadtring, vorbei an
       Heizkraftwerken und Hochspannungsmasten liegt das ummauerte Wohnviertel, an
       dessen Eingang schwarzuniformierte Männer mit russischen Fellmützen darauf
       achten, dass jeder Besucher auf seinem Smartphone in der Corona-App einen
       „grünen Gesundheitscode“ vorweist.
       
       In den engen Gassen offenbart sich schließlich eine Stadt in der Stadt: Auf
       engstem Raum reihen sich Friseurläden und Handygeschäfte, kleine Ecklokale
       und Gemüsemärkte.
       
       Eine kleingewachsene Müllsammlerin mit gebücktem Rücken schlurft mit einem
       grauen Sack im Schlepptau durch die Marktstraße. Sie sei aus der bergigen
       Sichuan-Provinz nach Peking gezogen, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Sohn
       wohnt sie hier, doch ihre drei Enkel leben nach wie vor in der weit
       entfernten Heimat. „Dieses Jahr können wir sie nicht sehen“, sagt die
       70-Jährige: „Mein Sohn hat eine Vollzeitstelle. Er kann es sich nicht
       leisten, bei der Rückkehr 14 Tage in Quarantäne zu müssen.“
       
       Doch neben den Strafmaßnahmen haben Pekings Regierungsbeamte auch etliche
       positive Anreize gesetzt, um die Bevölkerung zu einem „friedlichen und
       gesunden“ Neujahrsfest zu motivieren. Unternehmen wurden aufgefordert, den
       daheim gebliebenen Arbeitsmigranten Verdienstmöglichkeiten zuzusichern.
       Streamingdienste bieten kostenlose Filme an, touristische
       Sehenswürdigkeiten Preisnachlasse und die großen Telekommunikationsanbieter
       20 Gigabyte kostenloses Datenvolumen.
       
       ## Mehr Sicherheitskräfte als Reisende
       
       Am Vorplatz des Pekinger Zentralbahnhofs, wo um diese Jahreszeit
       üblicherweise Tausende Arbeitsmigranten mit ihrem Hab und Gut auf ihre Züge
       warten, herrscht an diesem sonnigen Februarvormittag gähnende Leere: Nur
       ein paar Dutzend Chinesen ruhen sich in der Wintersonne auf ihren
       Reisekoffern aus, schlagen die Zeit mit Handy-Videos schauen und rauchen
       tot.
       
       Vor dem sozialistischen Prachtbau sind die Passagiere zahlenmäßig gar den
       Sicherheitskräften deutlich unterlegen: Eine junge Rekrutenkompanie in
       olivgrünen Wintermänteln patrouilliert über den mit Gittern abgezäunten
       Bahnhofsplatz, unzählige Polizisten wärmen sich in geparkten Reisebussen
       auf.
       
       Viele Chinesen werden froh sein, wenn mit dem 12. Februar das Jahr der
       Ratte – seit 2020 unweigerlich mit dem Corona-Ausbruch verbunden – endlich
       vorüber sein wird. Dass das Jahr des Ochsen ein gutes wird, darüber macht
       sich der Taxifahrer Li Kai gar keine Sorgen.
       
       Er stammt aus einer Satellitenstadt Pekings, wo seine Frau und die vier
       Kinder nach wie vor leben. Das Virus ist in Lis Leben längst kein Thema
       mehr, viel Zeit zum Grübeln bleibt in seinem Alltag ohnehin nicht. „Ich
       arbeite hart, um meine Familie durchzubringen“, sagt der Mittvierziger mit
       der Kurzhaarfrisur. Um sechs Uhr fängt seine Schicht an, erst um elf Uhr
       abends macht er Feierabend. Wer in sein weißes Taxi einsteigt, muss eine
       Maske tragen und sich per QR-Code mit seinem Smartphone registrieren.
       
       Seine Familie plant er trotz der Reisebeschränkungen zu besuchen. „Zwar
       muss ich in meiner Heimatstadt offiziell eine 14-tägige Selbstisolierung
       machen, aber streng überprüfen tut das niemand“, sagt Li Kai. Und ohnehin
       sei er [3][bereits geimpft worden], sagt er. Die zweite Dosis folge noch im
       Februar.
       
       10 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Faelle-von-Lungenkrankheit-in-China/!5654806
 (DIR) [2] /China-nach-der-Coronapandemie/!5743674
 (DIR) [3] /Coronakrise-in-der-Volksrepublik/!5748277
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) China
 (DIR) Neujahr
 (DIR) KP China
 (DIR) China
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Erinnerung an Whistleblower: Zensierter wird Chinas KP-Held
       
       In Wuhan warnte Li Wenliang als erster vor dem neuen Coronavirus. Dem Arzt
       wurde das verboten und er starb. Jetzt dient der Tote der Ehre der KP.
       
 (DIR) WHO sucht Corona-Ursprung in Wuhan: Unterwegs in heikler Mission
       
       Eine Untersuchungskommission der Weltgesundheitsorganisation sucht in Wuhan
       nach dem Ursprung von Sars-CoV-2. China betrachtet das mit Misstrauen.
       
 (DIR) Coronakrise in der Volksrepublik: China impft weniger als geplant
       
       Bis zum Ende des Jahres wird die große Bevölkerung nicht durchgeimpft
       werden können. Doch erst dann kann die Abschottung des Landes beendet
       werden.