# taz.de -- Coronakrise in der Volksrepublik: China impft weniger als geplant
       
       > Bis zum Ende des Jahres wird die große Bevölkerung nicht durchgeimpft
       > werden können. Doch erst dann kann die Abschottung des Landes beendet
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Obligatorisches Temperaturmessen gegen Corona am Eingang eines Shopping-Centers in Peking
       
       PEKING taz | Einige Senioren haben Holzstühle auf den Weg vor ihren
       Wohnanlagen gestellt, um in der wärmenden Nachmittagssonne ihre Zigaretten
       zu genießen. Sie schauen dem Treiben vor dem Liulitun-Gesundheitszentrum in
       Pekings Chaoyang-Bezirk zu, wo zwei schwarzuniformierte Männer mit
       „Russenmütze“ und roter Armbinde über Absperrbänder wachen. Jeden Morgen
       reihen sich hier Hunderte Anwohner ein, um eine Dosis des Coronavakzins
       injiziert zu bekommen. Der sechsstöckige Funktionsbau ist eines von
       insgesamt 220 Impfzentren in Chinas Hauptstadt.
       
       Wie die Prozedur abläuft, berichten staatliche TV-Sender seit Wochen in den
       Abendnachrichten – von der Registrierung bis zum Wartebereich, wo die
       frisch Geimpften eine halbe Stunde unter Beobachtung bleiben, falls sie
       allergisch reagieren.
       
       Ursprünglich lag die Volksrepublik in der [1][Spitzengruppe] beim
       Impfstoffrennen. Fernab der Medienöffentlichkeit begannen die Behörden
       bereits im letzten Frühsommer, als Teil eines sogenannten Notfallprogramms
       auch [2][außerhalb klinischer Tests] die vielversprechendsten
       Impfstoffkandidaten an bestimmte Bevölkerungsgruppen zu verabreichen,
       darunter medizinisches Personal.
       
       Doch gut vier Wochen nach der [3][Zulassung des ersten chinesischen
       Impfstoffs] ist das Fazit durchwachsen. Wie in vielen anderen Staaten auch
       laufen Produktion und Verteilung schleppender als erwartet. Zwar haben die
       Behörden mit Stand vom Sonntag bereits knapp 24 Millionen Dosen landesweit
       verabreicht und zog die Geschwindigkeit ab Mitte Januar nochmals deutlich
       an. Doch wegen Chinas schierer Bevölkerungsgröße sind solche Zahlen
       keineswegs beeindruckend: Das erklärte Ziel, bis zum chinesischen
       Neujahrsfest Mitte Februar 50 Millionen Menschen durchzuimpfen, wird wohl
       deutlich verfehlt.
       
       ## Peking fehlt noch ein längerfristiger Impfplan
       
       Bislang hat die Regierung noch keinen längerfristigen Impfplan verkündet,
       was als Indikator für viele Unsicherheiten zu deuten ist. Noch immer werden
       – im Gegensatz zu Europa – grundsätzlich keine Senioren über 59 Jahren in
       China geimpft.
       
       Offiziell heißt es zur Begründung, dass die Ergebnisse der klinischen Tests
       für die entsprechenden Altersgruppen noch veröffentlicht werden müssen.
       Ebenfalls gibt es widersprüchliche Angaben über die Wirksamkeit der
       führenden Impfstoffe aus China: In Bezug auf das Vakzin des Pekinger
       Unternehmens Sinovac sprechen türkische Behörden laut vorläufigen Daten von
       einer Effizienz von 91,2 Prozent; die Gesundheitsämter in Indonesien nur
       von 65 Prozent und die abschließenden [4][Daten aus Brasilien] legen nahe,
       dass der Impfstoff bei Patienten mit milden Verläufen gerade einmal zu 50
       Prozent wirkt.
       
       Wahrscheinlich wird Parteichef Xi Jinping erst rund um den Nationalen
       Volkskongress im März einen genauen Zeitplan ausgeben. Doch Wunder sind
       nicht zu erwarten. „Selbst wenn man von einer angezogenen Distribution in
       den kommenden Monaten ausgeht, wird es praktisch unmöglich sein, eine
       vollständige Impfung der Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen im Jahre
       2021 zu erreichen“, heißt es im renommierten Newsletter der Beratungsfirma
       Trivium China: „China wird länger mit dem Gespenst von Covid-19 leben, als
       viele erwarten“.
       
       ## Die Kehrseite des Erfolgs
       
       Ein wenig ist also dran an dem Argument, das der Gesundheitsexperte
       Yanzhong Huang von der New Yorker Denkfabrik Council on Foreign Relations
       vertritt – dass nämlich Chinas Staatsführung ausgerechnet ihr
       epidemiologischer Erfolg zum Verhängnis werden könnte.
       
       Denn Pekings Parteikader wählten seit jeher eine Strategie, die dem aktuell
       im deutschen Sprachraum diskutierten „Zero Covid“ ähnelt: Die
       Wachstumskurve wurde nicht abgeflacht, sondern das Virus vollständig
       ausradiert.
       
       Bislang hat das dank drakonischer Lockdowns und einer disziplinierten
       Bevölkerung auch sehr gut geklappt. Davon zeugt das Rekordwachstum des
       Bruttoinlandsprodukts 2020 von 2,3 Prozent, das erst möglich gemacht wurde
       durch den erfolgreichen Kampf.
       
       Doch sind die Behörden nun dazu verdammt, „die drakonischen und
       kostspieligen Maßnahmen gegen das Virus“ bis zum weit entfernten Ziel der
       Herdenimmunität beizubehalten, schreibt Huang auf Twitter.
       
       Darunter fällt auch die massive Abschottung vom Ausland. Denn jeder
       Einreisende birgt die Gefahr eines eingeführten Erregers, der insbesondere
       seit den jüngsten Muationen potenziell die epidemiologische Arbeit von
       Monaten zunichtemachen kann. Die Paranoia vor Corona hat zuletzt sogar dazu
       geführt, dass Einreisende aus Risikogebieten nach Peking vier Wochen lang
       unter gesundheitlicher Beobachtung stehen müssen.
       
       ## Chinas Abschottung dürfte zunächst noch zunehmen
       
       Mittelfristig führt dies zu noch stärkerer Abschottung zwischen dem
       bevölkerungsreichsten Land und dem Rest der Welt. In Chinas Metropolen hört
       man bereits von vielen Studierenden, die ihre Pläne für Auslandssemester
       aufgegeben haben. Und unter Expats in Peking ist das dominierende Thema die
       Ungewissheit, wann man eigene Familienmitglieder wieder besuchen kann. Denn
       trotz strenger Quarantäne und negativer Virustests bleiben die Grenzen für
       Nicht-Staatsbürger auf unabsehbare Zeit dicht.
       
       Die Erlösung kann im Grunde nur der Impfstoff bieten. Dessen Bedeutung
       haben auch die Staatsmedien erkannt: „China muss die globale
       Impfstoffentwicklung anführen“, titelte etwa die Global Times,
       Propagandaorgan der Kommunistischen Partei, in einem Leitartikel: „Wir
       müssen die höchste Impfrate erreichen und bei der Herdenimmunität auf den
       vorderen Reihen landen“. Nur dann könne China weiterhin ein offenes Land
       sein und die globale wirtschaftliche Erholung anführen.
       
       Bis dahin muss der Staat auch die Impfskepsis der Bevölkerung überwinden.
       Zwar zeigt eine aktuelle Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos, dass
       rekordverdächtige 80 Prozent der Chinesen sich ein Vakzin injizieren lassen
       würden. Doch hört man auch gegenteilige Einschätzungen: „Viele wollen sich
       nicht impfen lassen, weil das Risiko, sich derzeit in China anzustecken,
       wegen der niedrigen Infektionszahlen gering ist“, sagt eine Ärztin aus
       Schanghai.
       
       1 Feb 2021
       
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