# taz.de -- St. Pauli, das Paulihaus und die Bäume: Ein Paradox
       
       > Auf St. Pauli gibt es Proteste gegen das geplante Paulihaus. Dabei sind
       > die Leute hinter dem Paulihaus doch gar nicht die Bösen. Oder etwa doch?
       
 (IMG) Bild: Gegenwind im Stadtteil: Demonstration gegen das Neubauprojekt Paulihaus am 21. November 2020
       
       Ich fühl mich nicht. Ich habe Schnupfen und Kopfschmerzen und bleibe lieber
       im Bett. Du musst zum Arzt gehen, sagt meine Schwester am Telefon, du musst
       einen Coronatest machen.
       
       Ach hör doch auf, sage ich. Ich schmecke gut und habe weder Husten noch
       Fieber. Ich fühl mich nur nicht. Und das schon länger. Man muss sich
       bewegen und die Sonne sehen.
       
       Das tue ich. Ich ging am Samstag vierzehn Kilometer die Elbe entlang. Ich
       war nur nicht allein. Ich wusste es vorher, aber wenn man derzeit am
       Wochenende spazieren geht, egal in welchem Naturschutzgebiet, Moor, Park
       oder Wald in Hamburg, dann sind da überall Menschen, Menschen, Menschen.
       
       Ich gehe schon viele Jahre wandern, und früher waren die Menschen gar nicht
       da. Aber jetzt sind sie da, diese vielen Menschen der Stadt, die raus
       wollen, wie ich, Sonne, Vitamin D, Bewegung, auf andere Gedanken kommen.
       Noch nie ist mir so klar geworden, wie eng es in der Stadt ist, wie wenig
       Platz wir auf diesen Grünflächen haben, wie jetzt. Und es wird enger.
       
       Montagmorgen standen ein paar Menschen am Neuen Pferdemarkt, um das
       Abholzen der Bäume dort zu verhindern. Und sie verhinderten es. Am
       Montagmorgen um fünf Uhr – es sind Helden! Seit Längerem starre ich diesem
       Unheil an diesem Platz ins Auge.
       
       Na und?, denke ich, auch schon seit Längerem. Auch nur eine dieser
       Stadtentwicklungen, die sich nicht aufhalten lassen. Noch ein paar Bäume
       weniger, noch ein Bürohaus mehr, noch mehr Autos, mehr Verkehr, mehr Hitze
       im Sommer, mehr hoch- und zugebaut.
       
       Müde schaue ich mir die [1][Website dieses „Paulihauses“] an. Dort finde
       ich Antworten auf alle Fragen, eine saubere Rechtfertigung für das
       Bauvorhaben. Sie sind gar nicht die Bösen. Sie sind eine Baugemeinschaft,
       das ist doch fast so etwas wie eine WG oder eine Genossenschaft, ein
       Bauwagenplatz, ein Zeltlager, ein Camp? Das passt doch super in diese
       irgendwie immer noch alternative Gegend?
       
       Und dann beschäftigen sie auch noch so viele Menschen, die „im Viertel“
       wohnen, sagen sie, auf ihrer Website. Alles St.-Paulianer*innen,
       Einheimische, welche von uns/euch, „darunter Mütter und Väter, die in
       Teilzeit arbeiten, die „mittags zum Essen mit den Kindern nach Hause (…)
       gehen, nachmittags wieder bei der Arbeit (…) sein“ wollen.
       
       Wer könnte von solchen Eltern, die mittags mit den Kindern zum Mittagessen
       nach Hause gehen, was es seit den 50er-Jahren ja nicht mehr gegeben hat,
       verlangen, in ein Büro in die City Nord zum Arbeiten zu fahren? Oder nach
       Hasselbrook, nach Harburg oder wo die ganzen Büros alle sind, die gerade
       leer stehen?
       
       Familien! Darum geht es also. Ich habe mir jeden einzelnen Punkt
       durchgelesen und ich glaube, diese vier Firmen sind einfach – gut. Na ja,
       vielleicht sind sie auch nur – Firmen. Die Firma „Pahnke Markenmacherei“
       zum Beispiel, das ist eine „Full Service Agentur mit den Bereichen
       Campaigning, Consulting, Social Media, Packaging und Innovation“ (das habe
       ich von ihrer Website kopiert).
       
       Ich weiß wirklich nicht, was das ist, aber es ist sicher wichtig. Und die
       anderen Firmen, die zu dieser WG gehören, sind eben auch nur – Firmen. Die
       Steg-Hamburg („Wir verstehen die Stadt“), Argus und Hamburg-Team („Mit dem
       Blick für’s Ganze“). Irgendwo müssen die halt arbeiten, und sie wollen’s
       halt nun da. Und wissen auch, dass es schwierig ist, und wollen’s halt
       trotzdem.
       
       Und nun also, die Bäume müssen weg, die der Baustelle im Wege sind, da geht
       auch schon der Ärger los. Einige Leute sind dagegen, einige, die auch „im
       Viertel“ wohnen, aber natürlich nicht die, die in diesen Firmen arbeiten
       und mit ihren Kindern zum Mittagessen nach Hause gehen wollen.
       
       Und alles, was ich dazu sagen kann, ist: Ich fühl mich einfach nicht.
       (Oder, ich meine, die Sache ist einfach die, dass Firmen irgendwo arbeiten
       wollen, wo sie es geil finden, aus genau dem gleichen Grund, aus dem sie da
       eigentlich nicht besonders erwünscht sind. In Vierteln, in denen viele
       Leute wohnen, die andere Werte haben als diese Firmen, und denen
       „Campaigning, Consulting, Social Media, Packaging und Innovation“ am A…
       vorbeigehen“. Es ist ein Paradox.)
       
       19 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://paulihaus.de/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Seddig
       
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