# taz.de -- Kunst der Woche: Lederdrums und Hausgesicht
       
       > Ausstaffiert mit duftender Lederkluft: das Schlagzeug von die Tödliche
       > Doris. Zum Glück nicht wegsaniert: John Hejduks wesenhaftes Haus am
       > Besselpark.
       
 (IMG) Bild: Berliner Architekturen der 1980er Jahre – Audiowalk Route 1, Charlottenstraße 96–98: Wohnbebauung mit Atelierturm, John Hejduk, Moritz Müller
       
       Der Blick bleibt an dem lederbezogenen Schlagzeug auf dem Bildschirm
       haften: die Toms, die Becken, Bass Drum, High Hat – das ganze Drum Set ist
       von einem hellbraun gegerbten Rindsleder so eng überzogen als hätte
       Künstlerin Käthe Kruse es in flüssige Vollmilchschokolade getunkt. Dieses
       Schlagzeug spielte Käthe Kruse während ihrer Performances mit der
       Künstlergruppe die [1][Tödliche Doris] in den Westberliner Achtzigern. Man
       könnte ihm im Sinne Walter Benjamins eine Aura des Originals aus einer
       mittlerweile historisierten Zeit zuschreiben, würde der Lederüberzug es
       nicht auch noch mit diversen anderen „Auren“ überlagern, des Fetisch zum
       Beispiel, oder der Männlichkeit und Handarbeit.
       
       Käthe Kruses humorvolle Querung der Kunsttheorie lässt sich während einer
       [2][virtuellen Ausstellungsbegehung] auf der Website des Projektraums LAGE
       EGAL nur erahnen. Man kann sie aber trotz Lockdown auch im Original sehen
       (und riechen, denn so viel Rindsleder wirft Duft ab), wenn man sich denn
       online einen Termin bucht.
       
       Dann stellt man sich auch selbst die Benjamin'sche Frage nach Original und
       medialer Reproduzierbarkeit von Kunst, die die vier Macher:innen mit
       ihrer Ausstellungsreihe „Sonderlage“ jetzt in Pandemiezeiten geradezu
       beiläufig aufwerfen: Drei Künstler:innen zeigen in kleiner Serie
       produzierte Editionen in Gegenüberstellung mit den Publikationen eines
       Kunstbuchverlags (den Auftakt macht der Kölner Salon-Verlag), dazu
       unveräußerbare Einzelstücke wie das lederbezogene Schlagzeug.
       
       Ben Greber minimiert für die jetzige der fünf geplanten
       Sonderlage-Ausstellungen seine sonst eher raumgreifenden Installationen auf
       OP-grün getönte Medizinschränke, Clara Bahlsen zoomt auf ihren Fotografien
       banale Gegenstände zu schönen wie ungewöhnlichen Kompositionen heran und
       Käthe Kruse macht mit reduzierten Textarbeiten Zeit begreifbar. Für den
       Digitaldruck „75 Jahre – 75 Wörter“ etwa [3][sammelte Kruse Schlagworte]
       aus Artikelüberschriften von Berliner Zeitungen und vergegenwärtigt in
       knappster Form die Zeitgeschichte der Stadt.
       
       ## Mehr als nur Formen
       
       „Melancholie“, „Proteste“, „Inselstadt“ – einige der Begriffe von „75-Jahre
       – 75 Wörter“ kommen einem auch in den Sinn, lässt man sich an diesen
       Pandemie-Tagen beim Spaziergang von der Stimme des Schauspielers Frank
       Arnold durch die etwas in Vergessenheit geratene Berliner Postmoderne
       begleiten. In [4][drei Audio-Walks], die von der Berlinischen Galerie jetzt
       vorab zur Ausstellung „Anything Goes“ herausgegeben werden, führt die
       Stimme Arnolds zu einer Architektur der späten 1980er Jahre auf beiden
       Seiten des geteilten Berlins.
       
       Damals, kurz vor der Wende, wurde in Ost- wie in Westberlin mit den
       Paradigmen der Moderne gebrochen und die historische Form kehrte in die
       Stadt zurück, sei es an den Vorhangfassaden des Ostberliner Gendarmenmarkts
       oder mit einem zwischen konservativ und gewitzt changierenden Wohnungsbau
       der Internationalen Bauausstellung 1987.
       
       Vereinzelt dringt aus den hörbaren Architekturführungen hervor, dass es an
       den Baustellen in den späten Jahren des geteilten Berlins um mehr als nur
       um Formen ging: um Hausbesetzungen, Wohnraum, um öffentlichen Raum, um die
       Stadtgesellschaft, um Politik. Wie schwer sich der Immobilienmarkt dabei
       mit ungewöhnlicher Architektur tat, zeigt das Beispiel von John Hejduks
       Ensemble am Besselpark mit dem schmalen Atelierturm, der damals auch Raum
       für Künstler:innen geben sollte: Der US-amerikanische Architekt begriff
       seine Häuser als Wesen. Balkone sehen aus wie Schnäbel, Sonnenschutze wie
       Wimpern. Fast hätte man der Architektur Hejduks ihre Wesenhaftigkeit
       wegsaniert, hätte es nicht internationalen Protest gegeben.
       
       17 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ausstellung-zur-Toedlichen-Doris/!5659762
 (DIR) [2] https://lage-egal.net/
 (DIR) [3] http://Nazipelz
 (DIR) [4] https://berlinischegalerie.de/digital/anything-goes/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sophie Jung
       
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