# taz.de -- Neues Hochschulgesetz: Machtfrage um Mitentscheidung
       
       > Antidiskriminierung und Transparenz werden mit dem neuen Hochschulgesetz
       > gestärkt. Rot-Rot-Grün und Verbände ringen darum, wer mitreden darf.
       
 (IMG) Bild: Sprachprüfung an der FU Berlin in Vor-Corona-Zeiten: Studierende wollen mehr Mitsprache
       
       BERLIN taz | Nach einem langen Beteiligungsprozess gehen die Forderungen
       der Beteiligten deutlich auseinander: Bis Ende der letzten Woche konnten
       die Verbände der Hochschulangehörigen nämlich zum neuen Entwurf des
       Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) Stellung nehmen. Auf der einen Seite
       sind das Grüne und Linke sowie [1][die Studierenden] und Gewerkschaften,
       die sich einen grundlegenderen Wandel wünschen. Auf der anderen Seite
       befinden sich die Senatsverwaltung, die SPD und die Hochschulleitungen, die
       eher an den bisherigen Strukturen festhalten wollen. „Wir können die
       Hochschulen jetzt nicht in Grundordnungsdebatten stürzen, denn aktuell
       steht die Pandemie im Vordergrund“, erklärt etwa Ina Czyborra,
       wissenschaftspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, gegenüber der taz.
       
       Dennoch wird sich an den Hochschulen einiges ändern, wofür es durchaus Lob
       gibt: Mit Nachhaltigkeitskonzepten sollen die Hochschulen der Klimakrise
       begegnen, Diversitätsbeauftragte und Antidiskriminierungsstellen sollen
       dafür sorgen, dass sich [2][die Vielfalt Berlins] auch in den Hörsälen vor
       und hinter dem Podium wiederfindet und wohl fühlt. Junge Eltern, Pflegende
       und Berufstätige werden sich über die ausgeweitete Möglichkeit des
       Teilzeitstudiums freuen und Wissenschaftler:innen sollen künftig
       weniger prekär lehren und forschen. Und um den akademischen Betrieb
       nachvollziehbarer und demokratischer zu gestalten, sollen Hochschulgremien
       unabhängige Informationen von einem sogenannten Gremienreferat erhalten.
       Weiterhin sollen Hochschulverträge mit dem Land Berlin transparenter
       verhandelt werden.
       
       Andererseits enttäuscht der BerlHG-Entwurf viele Erwartungen, womit ein
       jahrzehntelanger Konflikt wieder deutlicher hervortritt, dessen Wurzeln in
       der Studierendenbewegung der 68er liegen. Denn die Studierenden von heute,
       vertreten durch den Zusammenschluss der Berliner Asten, sowie die
       Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beharren auf ihrem Anliegen:
       gleiche Macht für Professor:innen, Studierende und
       (nicht-)wissenschaftliches Personal in Hochschulgremien.
       
       Als Zugeständnis an die Studierendenbewegung hatte man 1969 den Professoren
       ihre Allmacht an Universitäten genommen und dies ins Westberliner
       Hochschulgesetz geschrieben. Doch das Bundesverfassungsgericht urteilte
       1973, Professor:innen müssten in allen Gremien die absolute Mehrheit
       der Sitze innehaben, damit die Forschungsfreiheit nicht gefährdet sei. Die
       derzeitige Mehrheit der Professorenschaft führe dazu, dass an der
       Hochschulspitze Studierende oder Mitarbeiter:innen keine Mehrheiten
       finden können, wenn nicht alle anderen Gruppen und mindestens ein:e
       Professor:in ihr Anliegen teilen.
       
       ## „No Comment“
       
       Im Zentrum des Streits um mehr Teilhabe steht zudem die sogenannte
       Erprobungsklausel. Sie erlaubt seit 1997, dass Hochschulen vom Gesetz teils
       abweichen dürfen, „um neue Modelle der Leitung, Organisation und
       Finanzierung zu erproben, die dem Ziel einer Vereinfachung der
       Entscheidungsprozesse und einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit,
       insbesondere der Erzielung eigener Einnahmen der Hochschule, dienen“.
       
       Zwar steht der Paragraf in leicht reduzierter Form als „Innovationsklausel“
       im vorgelegten Gesetzentwurf von Staatssekretär Steffen Krach (SPD), doch
       Studierende, Gewerkschaften sowie Grüne und Linke fordern ihre Abschaffung.
       In der Vergangenheit seien damit die Mitbestimmungsmöglichkeiten der
       Gremien zugunsten der Hochschulleitung deutlich eingeschränkt worden.
       
       Die Hochschulleitungen bezeichneten den Gesetzentwurf in ihrer
       Pressemitteilung als „Misstrauensvotum“ gegenüber den Hochschulen, der mit
       neuen Verantwortlichkeiten zu Kostensteigerungen führe. Da die
       Abweichungsmöglichkeit vom Gesetz nun stark reduziert sei, würde dies und
       viele neue Vorgaben die Hochschulen „massiv zurückwerfen“. Viele
       Dekan:innen der Berliner Universitäten schließen sich dieser Kritik an.
       Der Senat mische sich zu sehr in die Hochschulbelange ein, [3][Berlin als
       internationaler Wissenschaftsstandort] würde geschwächt. „Wir schätzen
       diese Schwächung als so umfassend ein, dass ein vollständiger Neubeginn des
       Verfahrens unter kontinuierlicher Beteiligung der Universitäten unabdingbar
       erscheint“, heißt es in der Stellungnahme.
       
       Gegenüber dem Tagesspiegel erklärte Krach bereits: „Mir fehlt jegliches
       Verständnis dafür, wenn Hochschulleitungen in der Verbesserung von
       Beschäftigungsverhältnissen, Stärkung von Gleichstellung, Diversität und
       Gremienarbeit eine Gefahr sehen. Das sehe ich entschieden anders.“ Auch
       Tobias Schulze, wissenschaftspolitischer Sprecher der Linken, reagierte auf
       Twitter kühl auf die Kritik: „Die Präsident:innen der Hochschulen waren
       von Anfang in die Erarbeitung des Gesetzentwurfes eingebunden. Dass es
       jetzt so eine PR gibt und darüber hinaus kaum Vorschläge für die
       Verbesserung von Studium, Forschung, Personal und Finanzen kommen. No
       Comment.“
       
       ## Gemeinsam entscheiden
       
       Statt der Fortsetzung der Erprobungs- oder Innovationsklausel sollten die
       Hochschulangehörigen nach einer großzügigen Übergangsfrist zukünftig
       gemeinsam entscheiden, wo sie von der Gremienstruktur im Hochschulgesetz
       abweichen wollen, fordert Eva Marie Plonske, wissenschaftspolitische
       Sprecherin der Grünen-Fraktion. Im Gesetz müsse man einen konkreten Rahmen
       schaffen, in dem Mindeststandards an Mitwirkungsrechten und Zuständigkeiten
       gesetzt werden. Innerhalb dessen sei es sinnvoll, den Hochschulen
       Flexibilität zu ermöglichen. „Wissenschaft funktioniert im Team. Die beste
       Struktur für Hochschulen kann sich nur durch die gemeinsame Suche nach dem
       besten Weg ergeben. Deswegen halte ich ein paritätisches
       Grundordnungsgremium immer noch für den richtigen Weg, auch wenn dies in
       der Koalition leider kein Konsens ist“, sagte sie der taz.
       
       In eine ähnliche Richtung gehen auch die Forderungen von Larissa Klinzing
       von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft: „Wir kommen bei dem Thema
       ‚Gute Arbeit‘ nur dann voran, wenn es nicht bei der Hochschulleitung und
       den Professoren liegt, sondern in den Gremien gleichberechtigt
       Entscheidungen getroffen und die Blockaden gegen Dauerstellen für
       qualifizierte Wissenschaftler:innen aufgebrochen werden.“
       
       Für die wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen mit selbstständigen
       Aufgaben in Forschung und Lehre brauche es faire Mitbestimmung. Die
       Schaffung einer neuen Stellenkategorie, wie sie Grüne, SPD und Linke
       einführen wollen, sei dabei ein erster Schritt zu besseren
       Arbeitsbedingungen. „Wir haben ein Heer von guten Leuten im Mittelbau und
       können diesen derzeit nur das Durchhangeln auf Kettenverträgen anbieten.
       Die wenigsten erreichen eine Professur, viele fliegen aus dem System. Wir
       vergeuden die Menschen mit den besten Ideen“, so Tobias Schulze.
       
       ## Die Uhr tickt
       
       Bei der neuen Stellenkategorie sowie mit der Einführung des
       Promotionsrechts für Fachhochschulen sind sich die Fraktionen von
       Rot-Rot-Grün einig, doch hat jeder der Koalitionspartner noch eigene Ziele.
       Schulze möchte eine Anerkennung von Leistungen, die Studierende in Berlin
       und Brandenburg abseits der Heimathochschule erbracht haben, ohne dass
       diese eine gesonderte Prüfung belegen müssen.
       
       Die Grünen streben Nachbesserungen bei Diversität und dem Aufbau der
       Fachbereiche an und Ina Czyborra (SPD) meint, die Innovationsklausel müsse
       bleiben. Ehe man die Sitzverhältnisse in Hochschulgremien antaste, müsse
       man die Gerichtsentscheidungen in Bundesländern wie Thüringen abwarten, wo
       eine paritätische Gremienzusammensetzung gesetzlich festgeschrieben wurde.
       
       Auf die Frage, wie viel Macht jeweils Hochschulleitung, Professor:innen,
       Studierende und Mitarbeiter:innen in ihren Institutionen haben sollen,
       hat Rot-Rot-Grün noch keine gemeinsame Antwort gefunden. Doch die Uhr
       tickt: Auf Basis der Stellungnahmen der Verbände lässt Staatssekretär
       Steffen Krach einen neuen Entwurf ausarbeiten, der dann im Abgeordnetenhaus
       beraten wird. Noch vor der Sommerpause will die Koalition das neue Gesetz
       beschließen. Bis dahin müssen sie sich einigen, denn anschließend beginnt
       der Wahlkampf, und die Machtfrage weitet sich auf ganz Berlin aus.
       
       16 Mar 2021
       
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