# taz.de -- Merkels Absage des Osterlockdowns: Die Schuldbremse
       
       > Die Kanzlerin hat die umstrittene „Ruhetage“-Entscheidung zurückgenommen
       > und die Schuld für Fehler auf sich genommen. In der Union wächst die
       > Unruhe.
       
 (IMG) Bild: Sorry und nochmal von vorne: Merkel bei der Regierungsbefragung am Mittwoch
       
       BERLIN taz | Am Anfang scheint selbst Wolfgang Schäuble ein bisschen aus
       dem Tritt zu sein. Nach der Eröffnung der Sitzung kommt der
       Bundestagspräsident kurz mit der Tagesordnung und den Zetteln auf seinem
       Pult durcheinander. Dann ruft Schäuble zur Regierungsbefragung der
       Bundeskanzlerin auf. Und Angela Merkel wiederholt nun noch einmal das, was
       sie etwa eine halbe Stunde zuvor schon der Presse verkündet hat.
       
       Dass sie die [1][sogenannte Osterruhe] abgeblasen hat. Dass viele Fragen in
       der kurzen Zeit nicht lösbar waren, das Vorhaben deshalb nicht umsetzbar
       sei. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler“, sagt Merkel dann.
       Und dafür trage sie auch die Verantwortung. Sie entschuldigt sich bei der
       Bevölkerung für die zusätzliche Verunsicherung, die durch das Hin und Her
       entstanden sei. „Dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um
       Verzeihung.“
       
       Es ist ein beispielloser Vorgang: ein öffentliches Sorry der Frau, die am
       Ende die Verantwortung für irgendwie alles trägt. Für einem Moment ist da
       der Gedanke im Raum: Wenn Merkel die Verantwortung persönlich übernimmt –
       zieht sie dann auch persönliche Konsequenzen?
       
       Aber das tut sie natürlich nicht. Merkel tritt bei der Bundestagswahl im
       September nicht mehr an, [2][ihre Ära endet sowieso]. Dennoch zeigt sie in
       diesem Moment Größe. Im Bundestag zollen ihr dafür von FDP über Grüne bis
       zur Linken viele Respekt. Aber sie greifen Merkel auch an. Dietmar Bartsch,
       der Fraktionschef der Linken, fordert, Merkel müsse die Vertrauensfrage
       stellen. Auch FDP-Fraktionschef Christian Lindner und die AfD-Fraktion
       sehen das so. Bartsch verhaspelt sich bei seinem Statement, sodass Merkel
       trocken entgegnet: Eine Frage sei das ja nun nicht, sondern eine
       Aufforderung?
       
       ## Aufgeladene Stimmung bei CDU/CSU
       
       Merkel umschifft den heiklen Punkt gekonnt. Aus ihrer Sicht hat sie die
       Notbremse gezogen in einem Zug, der zu entgleisen drohte. In einer hektisch
       einberufenen, digital abgehaltenen Ministerpräsidentenkonferenz am
       Mittwochvormittag kassierte sie die Idee, den Gründonnerstag und Karsamstag
       zu „Ruhetagen“ zu erklären. An diesen Tagen sollten relevante Teile der
       Industrie stillgelegt werden. In der Sitzung schwante es den Beteiligten
       schon, dass die Korrektur schlecht ankommen würde. „Wir sind jetzt die
       Deppen“, hat Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) laut Bild dort
       gesagt.
       
       Doch die Ruhetage-Regel, für die sie sich vor gerade mal einem Tag in einer
       zwölfstündigen Sitzung mit den RegierungschefInnen der Länder eingesetzt
       hat, stieß auf zu derbe Kritik, als dass sie zu halten gewesen wäre. Kaum
       waren die Beschlüsse am frühen Dienstagmorgen bekannt, hagelte es Einwände
       – von der Opposition, von den Kirchen, vom Handel. Aber auch von einigen
       MinisterpräsidentInnen, die selbst an der Runde beteiligt waren. Von
       CSU-Innenminister Horst Seehofer, der immerhin Teil der Regierung ist. Und
       in der Fraktion von CDU und CSU im Bundestag.
       
       Dort sei die Stimmung aufgeladen und erhitzt gewesen, wird nach der Sitzung
       am Dienstagnachmittag kolportiert. Die Beschlüsse der
       Ministerpräsidentenkonferenz seien weder nachvollziehbar noch
       kommunizierbar, lautete die Kritik.
       
       Die Abgeordneten kriegen den Frust über das Gewurschtel im Wahlkreis voll
       ab, müssen sich vor genervten GastwirtInnen, wütenden UnternehmerInnen oder
       gefrusteten Eltern rechtfertigen.
       
       ## Klamauk von Linke, FDP und AfD
       
       In der Fraktionssitzung geht es um untersagten Osterurlaub in deutschen
       Ferienwohnungen und erlaubte Flüge nach Mallorca, um geschlossene Geschäfte
       und unerwünschte Ostermessen. Unmut herrschte nicht nur bei einigen wenigen
       Abgeordneten, sondern bei der Mehrheit derer, die sich zu Wort gemeldet
       hatten. Einige Abgeordnete machten sich gar öffentlich Luft. Sie könne die
       Beschlüsse nicht mehr schönreden, twitterte etwa die CDU-Abgeordnete
       Elisabeth Motschmann aus Bremen.
       
       Und der Thüringer Abgeordnete Albert Weiler schrieb gar einen offenen
       Brandbrief an die Kanzlerin. Die Beschlüsse seien „planlos, ratlos,
       mutlos“, heißt es darin – und eine Kapitulationserklärung. Weiler schreibt
       in seinem Brief, adressiert an die eigenen Leute in der Regierung, von
       „Politikversagen“. Brutaler geht es nicht.
       
       Warum also keine Vertrauensfrage? Eine Kanzlerin oder ein Kanzler kann mit
       einer Vertrauensfrage Neuwahlen erzwingen, indem sie absichtlich verliert.
       An diesem Szenario dürfte Merkel kein Interesse haben, da sie ohnehin nicht
       mehr antritt. Oder der Kanzler, die Kanzlerin kann die Koalition auf seinen
       Kurs zwingen. Dafür ist die Lage aber zu unübersichtlich: Den Beschluss mit
       den strittigen Ruhetagen haben 16 MinisterpräsidentInnen – auch die von
       SPD, Linken und Grünen – unterschrieben, er wurde nicht vom Parlament
       bestätigt. Welchen Kurs sollte sich Merkel da bestätigen lassen?
       
       Was Linke, FDP und AfD fordern, ist also auch ein bisschen
       Oppositionsklamauk. Linkspartei-Chefin Susanne Hennig-Wellsow schrieb noch
       vor der Bundestagssitzung auf Twitter: „Wir brauchen Klarheit darüber, ob
       diese Regierung noch handlungsfähig ist“. Ganz ähnlich hört es sich bei
       Lindner an. Beide wissen natürlich: In der Unionsfraktion geht ohnehin die
       Panik um – da sind die Korruptionsaffären, die schlechten Ergebnisse bei
       den Landtagswahlen und immer weiter sinkender Umfragewerte für CSU und CDU.
       
       ## Merkel antwortet routiniert
       
       Und doch: Die Kanzlerin, die ja deutlich angeschlagen ist, in Bedrängnis zu
       bringen, das gelingt der Opposition nicht. Das mag auch an dem Format
       liegen. Die Regierungsbefragung, der sich die Kanzlerin hier turnusgemäß
       stellt, hat strikte Regeln. Eine Minute Frage, eine Minute Antwort, dann
       darf noch eine Nachfrage gestellt werden. Marco Buschmann von der FDP will
       wieder einmal wissen, wann die Kanzlerin endlich die Entscheidung über die
       Coronapolitik zurück in das Parlament bringe.
       
       Die Grüne Katrin Göring-Eckardt fragt, ob sich die
       Ministerpräsidentenkonferenz nicht überlebt habe. Und der Linke Dietmar
       Bartsch erkundigt sich, ob Merkel nicht der Ansicht sei, dass
       Regierungsmitglieder wie Gesundheitsminister Jens Spahn und
       Verkehrsminister Andi Scheuer nicht ihrem Vorbild folgen und ihre Fehler
       eingestehen sollten. Und natürlich geht es auch um fehlende Schnelltest und
       die Lage an den Schulen, aber auch um die EU-Finanzen und den
       Nachtragshaushalt. Das alles beantwortet Merkel routiniert.
       
       Kurz vor ihrem öffentlichem Sorry im Kanzleramt legt Michael Kretschmer
       einen bemerkenswerten Auftritt hin. Als Ministerpräsident in Sachsen kennt
       er die Wut vieler BürgerInnen über die Coronapolitik aus erster Hand.
       Kretschmer wirft sich mit Verve vor die Kanzlerin. „Ich finde, sie muss
       dafür nicht die Verantwortung übernehmen“, sagt er. Die Entscheidung sei
       von 16 MinisterpräsidentInnen und der Regierung getroffen worden. Und: Der
       Kampf gegen das Virus werde „auch in Zukunft“ mit neuen Entscheidungen und
       Strategieänderungen einhergehen.
       
       Auch ein anderer Mann stellt sich neben Merkel, einer, auf den alle in der
       CDU schauen – und viele zunehmend skeptisch. Armin Laschet, Regierungschef
       in Nordrhein-Westfalen, neuer CDU-Chef und möglicher Kanzlerkandidat,
       verteidigt die Rücknahme der österlichen Ruhetage im Düsseldorfer Landtag.
       „Man kann nicht einen gesetzlichen Feiertag mal eben innerhalb von zehn
       Tagen vorher einführen.“ Man habe viele Probleme nicht gesehen, sagt
       Laschet.
       
       ## Überwältigender Eindruck von Planlosigkeit
       
       Was passiert mit Lieferketten, die unterbrochen werden? Was mit Fleisch,
       das pünktlich im Supermarkt sein muss? Was mit Babynahrung, die tagesgenau
       gefertigt werde? Laschets Fazit: Es tue der politischen Kultur in
       Deutschland gut, wenn die Notbremse rechtzeitig gezogen werde. Und die
       Schuld für den Fehler sieht er nicht allein bei Merkel: „Wir haben Bedenken
       geäußert“, sagt er. Aber „am Ende“ hätten alle 16 Ministerpräsidenten
       gesagt: Wir machen das so.
       
       Alle Augen richteten sich am Mittwoch auf Merkel. Aber zur Wahrheit gehört,
       dass die gesamte Ministerpräsidentenkonferenz zuletzt ein schlechtes Bild
       abgab. Mehrere LänderchefInnen scheiterten nach der 12-stündigen
       Marathonsitzung daran, die eigenen Beschlüsse nachvollziehbar zu erklären.
       Der Brandenburger Dietmar Woidke eierte im Radio hilflos herum, als er
       sagen sollte, was den Ruhetag von einem Feiertag unterscheide. Irgendwo im
       Arbeitsschutzgesetz stehe es drin.
       
       Es bleibt ein überwältigender Eindruck von Planlosigkeit. Am Morgen nach
       der Nachtsitzung meldete sich die evangelische Kirche zu Wort. Der
       Beschluss „hat uns sehr überrascht, zumal davon das wichtigste Fest der
       Christen betroffen wäre“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich
       Bedford-Strohm. Eine christliche Volkspartei, die im Eifer des Gefechts die
       Ostergottesdienste vergisst – kann ja mal passieren? Nein, so etwas
       passiert besser nicht.
       
       24 Mar 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Shutdown-ueber-Ostern/!5757083
 (DIR) [2] /Coronapolitik-der-Regierung/!5761302
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine am Orde
 (DIR) Ulrich Schulte
       
       ## TAGS
       
 (DIR) GNS
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Kolumne Sie zahlt
 (DIR) Christentum
 (DIR) Entschuldigung
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Lockdown
 (DIR) Michael Müller
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Angela Merkel
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
 (DIR) Schwerpunkt Coronavirus
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Macht der Entschuldigung: Feministische Kommunikation
       
       Frauen entschuldigen sich ständig für alles Mögliche, weil sie gelernt
       haben, dass das höflich sei. Dabei sollten sie viel öfter nein sagen.
       
 (DIR) Karsamstag über sein Selbstverständnis: „Aber ich bin“
       
       Der Karsamstag ist nicht gerade ein Leistungsträger unter den Ostertagen.
       Im taz-Interview reklamiert er dennoch seine Bedeutung als Zwischendings.
       
 (DIR) Entschuldigungen im Hollywood-Film: Noch nie was Dümmeres gehört!
       
       Aus aktuellem Anlass werfen wir einen Blick auf das wandlungsfähige Thema
       Entschuldigungen im Hollywood-Film. Wichtig ist es dort allemal.
       
 (DIR) Coronapolitik von Bund und Ländern: Zu viele Köche
       
       Die größten Fehler in der Coronapolitik gehen aufs Konto der
       Bundesregierung. Doch auch die Länder haben versagt – durch ihre
       Blockadehaltung.
       
 (DIR) Auswege aus dem Dauerlockdown: Neue Perspektiven, bitte!
       
       Trotz Lockdown werden die Infektionszahlen weiter steigen. Es ist an der
       Zeit, kontrollierte Öffnungen zu ermöglichen – verbunden mit Schnelltests.
       
 (DIR) Corona-Debatte im Abgeordnetenhaus: Müller mag nicht notbremsen
       
       Der Regierungschef räumt wie tags zuvor die Bundeskanzlerin Fehler ein und
       setzt gegen steigende Infektionszahlen auf mehr Tests und Impfungen.
       
 (DIR) Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Saarland plant Lockerungen
       
       Das Saarland will den Lockdown nach Ostern in einem Modellprojekt beenden.
       Kanzlerin Merkel äußert sich im Bundestag zur aktuellen Krisenpolitik.
       
 (DIR) Coronapolitik der Regierung: Merkels Ende rückt näher
       
       Erst ein konfuser Plan für die Ostertage, dann wird dieser wieder
       einkassiert. Die Regierung ist dabei, ihre Autorität zu verspielen.
       
 (DIR) Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: GroKo prüft Auslandsreise-Stopp
       
       Reisen in beliebte Urlaubsziele könnten untersagt werden. Angela Merkel
       nimmt den am Montag beschlossenen Osterlockdown zurück. Die Wirtschaft
       freut sich.
       
 (DIR) Shutdown über Ostern: So läuft der Hase
       
       Bund und Länder haben beschlossen, das öffentliche Leben über Ostern
       drastisch zurückzufahren. Die taz erklärt, was es nun zu beachten gilt.