# taz.de -- Sauberkeit bei Kindern: Das Kind wär' gern keimfrei
       
       > Über Eltern, die immer Desinfektionsmittel parat hatten, habe ich stets
       > gelacht. In Corona-Zeiten bin ich selbst so geworden – und es bricht mir
       > das Herz.
       
 (IMG) Bild: Vielleicht wird es Zeit, mit dem Kind mal eine Schlammgrube auszuheben
       
       Igitt, bitte lass das liegen, das ist saudreckig …“, sage ich, als der
       Dreijährige mit Schwung einen von Hunden zerkauten Stock aus dem Schlamm
       zieht. Er lässt ihn fallen, guckt mich mit großen Augen an. Ich putze ihm
       eilig die Hände mit einem Taschentuch ab, greife schon nach dem
       Desinfektionsmittel in meiner Manteltasche und es ist einer dieser Momente,
       in denen ich mich selbst ohrfeigen möchte.
       
       Hab ich gerade dieses Kind, das jeden Sommer nur mit viel Überredungskunst
       auch mal barfuß den Rasen betritt und es hasst, klebrige Hände zu haben, zu
       mehr Sauberkeit ermahnt? Das Kind, das Fingerfarbe total angewidert von
       sich schiebt und einen Pinsel verlangt? Was geht?
       
       Es gibt ja wenig Schlimmeres als die Arroganz der Kinderlosen, aber ich
       gebe zu, ich habe mich früher über diese Eltern lustig gemacht. Über Eltern
       wie mich in diesem Moment. Und vollkommen zu Recht, finde ich. Auch mit
       Kind haben mich die Leute, die diese kleinen [1][bunten
       Desinfektionsmittelfläschchen] von Rucksäcken, Kinderwägen und
       Schlüsselbund baumeln haben, immer belustigt. Stets ausgerüstet, als würden
       sie gleich einen Berg besteigen, wie alles an ihnen zu brüllen schien:
       „Jederzeit bereit zur Dekontamination!“ Ein super Geschäft für die
       herstellenden Unternehmen natürlich – was gibt es Profitableres als die
       Angst der Eltern?
       
       Ich gehöre eigentlich eher zur Fraktion „Kinder kann man waschen und
       Klamotten auch“. Wobei ich auch zugeben muss, dass ich erst als Mutter
       kapiert habe, an wen sich diese total übertriebenen Waschmittelwerbungen
       richten. Diese Werbespots, in denen ein ganzes Dorf wie auf Magic Mushrooms
       ein weißes Bettlaken mit Kakao, Tinte, Wildschweinkot und Tomatensoße
       beschmiert. Die Waschmaschine, der Endgegner. Ich dachte immer: Wer zur
       Hölle macht denn so was? Aber ja, okay! Inzwischen weiß ich, wer.
       
       Aber diese Nummer mit dem Desinfektionsmittel ist mir irgendwie total
       entglitten [2][seit Corona] und das gefällt mir überhaupt nicht. Ich will
       nicht so sein. Doch wo ist die Grenze?
       
       Nachdem der Dreijährige im ersten halben Jahr Pandemie bei jedem von uns
       empfohlenen Händewaschen ein Theater in drei Akten veranstaltet hat, hat er
       letztendlich ein Buch bekommen, das erklärt, wieso es gerade jetzt so
       wichtig ist, Hände zu waschen. Darin steht, was Keime sind und wie der
       Körper sie bekämpft. Er weiß jetzt Bescheid. Das ist gut, aber es bricht
       mir manchmal auch das Herz. Letztens hat er sich einen Schnupfen
       eingefangen. Und dann sitzt er neben mir und fragt mich ganz geknickt:
       „Mama, wieso hat denn mein Körper die Keime nicht bekämpft? Wie lange
       bleiben die jetzt in mir drin?“
       
       Das sind Sätze, die ein Dreijähriger nicht sagen sollte. Ich wollte doch
       nur, dass er sich die Hände wäscht, wenn er nach Hause kommt. Aber es sind
       eben besondere Zeiten. Vielleicht planen wir einfach mal ein gesundes
       Kontrastprogramm. Draußen eine Schlammgrube ausheben und sich darin suhlen
       oder so.
       
       30 Mar 2021
       
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