# taz.de -- Kinder brauchen mehr als ihre Eltern: Gegenseitige Auszeit
       
       > Kindererziehung ist nicht nur Elternsache. Deshalb ist es fatal, wenn die
       > Stadt Hamburg die betreuten Spielplätze nicht mehr unterstützen will.
       
 (IMG) Bild: Kann ein Ort der Freiheit sein: ein Spielplatz
       
       Meine [1][erste Kolumne für die taz nord] habe ich im Juli 2013
       geschrieben, dies ist nun meine dreihundertfünfundsechzigste. Es wird meine
       letzte sein, vorübergehend oder auch für immer. Denn ich bin müde geworden.
       
       Diese Kolumnen-Müdigkeit fällt zusammen mit einer umfassenderen: Ich bin
       müde, mit Leuten zu diskutieren, die nur an Glaubenssätzen festhalten;
       müde, die absurde Fratze der immer lauter schreienden, hasserfüllten
       Dummheit zu ertragen. Weil uns das Kissen unter unserem Arsch wichtiger ist
       als die Zukunft unserer Enkel, wird diese Welt untergehen. Diese fröhlichen
       Worte zum Anfang und zum Ende. Nun zu den Enkeln. Wie ich am Freitag las,
       sollen die [2][betreuten Spielplätze in Hamburg] nicht mehr von der
       Sozialbehörde unterstützt werden. Weil das Interesse abnehme, heißt es, und
       es andere Betreuungsangebote gebe. Für ihren Erhalt werden
       [3][Unterschriften gesammelt].
       
       Als mein Sohn ungefähr zwei Jahre alt war, beobachtete ich, wie er am
       Fenster seines Kinderzimmers stand, aufgeregt winkte und schrie: „Kinder!
       Kinder!“, weil eine Gruppe Kinder vorbei lief. Es brach mir das Herz. In
       diesem Moment wurde mir klar, wie sehr er andere Kinder brauchte. Ich war
       zu dieser Zeit zu Hause, ich hatte gerade ein zweites Kind bekommen und
       versuchte, ein Buch zu schreiben. Einen Anspruch auf einen Krippenplatz
       hätte ich nicht gehabt. Und mit dem Baby, das wenig schlief und viel
       schrie, war ich nicht sehr mobil.
       
       Da erzählte mir eine Freundin von diesen betreuten Spielplätzen. Ich
       brauchte mehr als eine halbe Stunde mit dem Kinderwagen und dem
       Zweijährigen zu Fuß, um zu diesem Spielplatz zu kommen, aber ab diesem Tag
       brachte ich ihn täglich für drei Stunden dorthin. Es war eine ungeheure
       Erleichterung für mich. Jeden Tag spielte der Junge drei Stunden draußen an
       der frischen Luft mit anderen Kindern. Wenn es regnete, bekam er seine
       Regensachen an, im Winter fand ich ihn, wenn ich ihn abholen wollte, im
       frostharten Sand spielend, vergnügt und mit roten Wangen. Später, als er
       schon im Kindergarten war, brachte ich auch seine Schwester auf den
       Spielplatz.
       
       Ich glaube nicht, dass Kinder, auch sehr kleine, nur ihre Eltern brauchen.
       Ich glaube auch nicht, dass Eltern immer und unter allen Umständen – und
       auch, wenn sie das Beste für ihre Kinder wollen und sich sehr bemühen – in
       der Lage sind, genau das zu sein und zu geben, was die Kinder brauchen.
       Manchmal sind Eltern überfordert, traurig, krank, sie können in
       Schwierigkeiten stecken, persönlichen Krisen, Partnerschaftskonflikten, sie
       können einfach müde sein. Und dann kann ihnen eine Pause gut tun.
       
       Es braucht mehr als Eltern, um Kinder zu erziehen. Kinder brauchen andere
       Kinder und andere Erwachsene. Sie brauchen die Freiheit, im Schneeregen im
       Sand spielen zu können.
       
       Ich konnte in diesen drei Stunden, und wenn das Baby ruhig war, meine
       ersten Schreibversuche machen. Ich werde nie vergessen, wie froh ich jeden
       Mittag mit dem Baby zum Spielplatz ging, um meinen kleinen Sohn abzuholen,
       der gar nicht mit nach Hause kommen wollte, sondern am liebsten noch
       weiterspielen. Wie stolz ich war, wenn ich ihn da sitzen sah, zwischen all
       den anderen Kindern, wie er mich überhaupt nicht vermisste, wie es ihm gut
       ging und er dazu lernte. Die auf unserem Spielplatz zuständige Betreuerin
       kümmerte sich gut um die Kinder, ich vertraute ihr, auch wenn sie einiges
       anders handhabte, als ich das getan hätte. Aber das eben ist ja das
       Prinzip: andere Menschen, andere Regeln.
       
       Ich weiß, dass es Kindergärten und Kinderkrippen gibt, die ausgebildetes
       Personal haben. Aber ich halte auch so ein niederschwellige Angebot wie
       diese betreuten Spielplätze für wichtig: für Mütter, wie ich es war, die
       gar keinen Anspruch auf einen Krippenplatz gehabt hätten; für die, denen es
       nicht gut geht, die es nicht schaffen, jeden Tag selbst auf dem Spielplatz
       zu sitzen; für Kinder, deren Eltern manchmal überfordert mit der Betreuung
       sind – oder für Kinder, denen es gut tut, einige Zeit von ihren Eltern
       befreit zu sein.
       
       6 Apr 2021
       
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