# taz.de -- Geflüchteter stirbt in Delmenhorst: Tod nach Gewahrsam
       
       > Qosay Khalaf ist 19. Am 5. März gerät er in eine Polizeikontrolle. Er
       > kommt in Haft, am nächsten Tag ist er tot. Sein Cousin stellt bohrende
       > Fragen.
       
 (IMG) Bild: Die provisorische Gedenkstätte für Qosay Sadam Khalaf im Wollepark, wo er verhaftet wurde
       
       Wie eine Metallplatte, die gegen meine Brust auf der linken Seite drückt.
       Immer wieder.“ So beschreibt Barsan Mehdi die Beklemmung, die er verspürt.
       Vor etwas mehr als sechs Wochen hat sich das Leben des 28-Jährigen
       verändert. Denn sein Cousin Qosay Khalaf lebt nicht mehr und niemand vermag
       zu sagen, woran er gestorben ist.
       
       An einem sonnigen Apriltag sitzt Barsan Mehdi auf einer Bank im Wollepark
       in Delmenhorst. Mehrere Häuserblocks rahmen die Grünfläche, die größer als
       ein Fußballfeld ist. Die umliegenden Blocks gelten als sozialer Brennpunkt.
       Barsan Mehdis Gesichtszüge wirken müde und wütend. Sein Boxerschnitt ist
       zerzaust in die Stirn gekämmt.
       
       Er erinnert sich an den Moment, als ihn sein Onkel am Morgen des 6. März
       weckte. Sein Cousin Qosay Khalaf sei nach einer Polizeikontrolle im
       Wollepark in einem kritischen Zustand im Krankenhaus, habe er gesagt. Er
       habe das zuerst nicht glauben wollen. Mehdi, der vor einiger Zeit von
       Deutschland nach Norwegen umgezogen ist, versucht, Qosay K.s Familie im
       Hunderte Kilometer entfernten Delmenhorst anzurufen. Erst nach mehreren
       Stunden habe er eine Ärztin im Krankenhaus erreicht: „Die meinte, sie habe
       so etwas bei einem 19-Jährigen noch nie gesehen.“ Die Hände und Füße seien
       schon abgestorben, habe sie weiter gesagt. Die Familie solle sich
       verabschieden. „Alles ist stillgestanden. Ich wollte das nicht wahrhaben“,
       sagt Mehdi.
       
       So schnell wie möglich reist er mit Fähre und Auto nach Delmenhorst. Als er
       am Montag ankommt, ist sein [1][Cousin schon tot]. Mehdi schweigt und lässt
       seinen Blick schweifen. Bäume und Steine des Wolleparks sind mit „RIP
       Qosay“-Schriftzügen versehen. In einem Tunnel durch die Häuserblocks steht
       mit wackeliger Schrift an der Wand unter Qosays Namen: „Gestorben durch
       Polizeigewalt.“
       
       ## Der Augenzeuge Hamudi A.
       
       Einer der Letzten, der Qosay K. bei Bewusstsein gesehen hat, ist Hamudi A.,
       der eigentlich einen anderen Namen trägt, diesen aber nicht veröffentlicht
       sehen möchte. Die schwarze Cap sitzt tief im Gesicht des 24-Jährigen, der
       einmal Friseur werden will. Der Reißverschluss seiner Jacke ist bis unters
       Kinn zugezogen. Am Abend des 5. März habe er zusammen mit Qosay Khalaf hier
       im Wollepark einen Joint rauchen wollen.
       
       „Da waren wir keine fünf Minuten, da sind schon zwei Männer auf uns
       zugelaufen“, erzählt er ruhig. Sein Freund habe sie als Zivilpolizisten
       erkannt und sei weggelaufen. „Der eine hat mir mein Handy abgenommen,
       seine Handschellen rausgeholt und mich an der Bank festgemacht. Dann ist er
       den beiden hinterhergelaufen“, erinnert sich Hamudi A. und zeigt auf die
       blaue Bank am Ufer eines Teiches. „Wir wollen zusammen lachen“, steht auf
       die Lehne gedruckt, auf der anderen Seite mit weißer Sprühfarbe „Ruhe in
       Frieden“.
       
       Etwa zwanzig Minuten sei er an dieser Parkbank angesperrt gewesen, schätzt
       Hamudi A. Während dieser Zeit soll es nach Angaben der Polizei zu einer
       Auseinandersetzung zwischen dem fliehenden Qosay Khalaf und den Beamten
       gekommen sein. Mehrere Polizist*innen seien notwendig gewesen um den
       19-Jährigen zu „fixieren“, heißt es in einem polizeilichen Pressebericht.
       
       Auf der anderen Seite des Flusses Delme, der den Wollepark nach Osten
       begrenzt, liegt des Nordwolle-Areal, eine Wohnsiedlung aus alten
       Fabrikarbeiterhäuschen. Mit den Händen in den Brusttaschen seiner Jacke
       läuft Hamudi den Weg entlang, den er auch mit den Polizisten am 5. März
       nahm. Zuerst habe er nichts Böses vermutet, erinnert er sich. Hohe,
       blickdichte Holzzäune und Hecken säumen die kleinen Straßen. Weißer Kies
       ziert die Vorgärten der renovierten Bungalows. Ein Mercedes steht an der
       Straßenseite.
       
       Als Hamudi A. von der Polizei zum Ort der Auseinandersetzung geführt wird,
       habe er seinen Freund zuerst gar nicht entdecken können, erinnert er sich.
       „Dann habe ich ihn in Handschellen am Boden liegen gesehen, mit einem
       Polizeibeamten auf dem Rücken. Er war mit seinem Knie auf dem Rücken
       drauf.“ Qosay Khalaf habe mehrmals nach Wasser gefragt. Als zwei
       Sanitäter*innen ankamen, habe die Polizei diesen erklärt, sie seien
       von ihnen wegen eines Pfeffersprayeinsatzes gerufen worden. Diese
       Schilderung bestätigt auch eine spätere polizeiliche Pressemitteilung.
       Dort heißt es weiter, Qosay Khalaf habe eine Behandlung abgelehnt.
       
       Augenzeuge Hamudi schildert die Situation anders: „Er hat gesagt, ihm sei
       übel und er bekomme sehr schlecht Luft. Daraufhin meinte der Sanitäter,
       dass er gerade schauspielere.“ Das wüsste er aus seiner jahrelangen
       Berufserfahrung. Er, Hamudi A., habe sich eingemischt. Der Mann vom
       Rettungsdienst habe sich wiederholt: Weder habe Qosay Khalaf blaue Lippen,
       noch sei er kurzatmig, er sei transportfähig.
       
       Bei dem Versuch ihn hochzuheben, sei Qosay K. dann eingesackt, sagt Hamudi.
       „Ich denke, weil er schon so kraftlos war.“ Unruhig blickt er dabei von
       links nach rechts. Fragen nagen seit diesem Abend an ihm: „Hätte ich etwas
       anders machen können? Hätte ich das verhindern können? Es ist kein schönes
       Gefühl, hier zu sein und zu wissen, dass Qosay hier eine seiner letzten
       Stunden verbracht hat.“ Um 19 Uhr darf Hamudi A. am Abend des
       Polizeieinsatzes gehen.
       
       Nach Polizeiangaben kollabiert Qosay Khalaf gegen 20 Uhr in der
       Gewahrsamszelle in Delmenhorst. Über die Videoüberwachung sei das
       aufgefallen. Aufgezeichnet werden diese aus Datenschutzgründen nicht, heißt
       es vonseiten der Polizei. Der Rettungsdienst brachte den 19-Jährigen in
       das evangelische Krankenhaus Oldenburg. Zwölf Tage nach den Vorfällen heißt
       es vom Rettungsdienst der Stadt zu den Schilderungen des Augenzeugen
       Hamudi A.: „Solche Anschuldigungen spiegeln in keiner Weise die
       Professionalität unseres Rettungsdienstes wider und entbehren jeglicher
       Grundlage.“
       
       ## Vom Sindschar-Gebirge nach Delmenhorst
       
       Qosay Sadam Khalaf kam am 28. Juli 2001 in Esya in Südkurdistan zur Welt
       und wuchs dort auf. „Am 3. August 2014 wurde das Sindschar-Gebirge
       überfallen, das war nicht weit von unserem Dorf entfernt“, berichtet Barsan
       Mehdi, sein Cousin. „Der ‚Islamische Staat‘ hat die Menschen ermordet,
       versklavt und vergewaltigt. Das waren unsere jesidischen Mitmenschen, von
       denen es ja nicht wirklich viele gibt. Wir waren alle voller Trauer und
       Schmerz.“
       
       Mehdis Stimme überschlägt sich, als er über den Genozid an den
       Jesid*innen spricht. „Viele Menschen mussten fliehen, sie hatten keine
       andere Wahl. Viele konnten das auch nicht, weil eine Flucht mehrere Tausend
       Euro kostet. Mein Onkel hatte nicht das Geld, um alle Kinder in Sicherheit
       zu bringen, deswegen haben sie Qosay mit 14 Jahren alleine losgeschickt.“
       
       Mehrere Monate dauerte es, bis der schließlich in Delmenhorst ankam. Für
       die im Irak verbliebene Familie hätte ein Anwalt zunächst nichts tun
       können, sagt Mehdi. Qosay Khalaf sei zum Deutschkurs gegangen, habe
       nachmittags zweimal die Woche in dem Dönerladen von Barsan Mehdi
       gearbeitet. „Irgendwann hat er dann als Koch in einem Imbiss in Bremen
       angefangen. Das Geld, das er verdient hat, hat er seiner Familie geschickt.
       Nach über zwei Jahren durfte diese im September 2017 dann endlich kommen.
       Natürlich hat er sich über alles gefreut.“
       
       ## Der Tod von Qosay Khalaf
       
       Bei einer [2][Kundgebung] im April, einen Monat nach dem Tod von Qosay
       Khalaf, auf dem Rathausplatz von Delmenhorst äußert sich erstmals Sameera
       Haji, Qosays Mutter, öffentlich zu den Ereignissen in der Nacht im
       Wollepark. Vor etwa 300 Menschen, mehrheitlich aus der Familie, der
       Gemeinde und dem Freund*innenkreis, berichtete die in einem bodenlangen
       Samtkleid gekleidete Mutter: Um 0.40 Uhr habe es an diesem Abend geklingelt
       und die Polizei stand vor ihrer Tür – ihr Sohn sei in einem kritischen
       Zustand. Der Vater sei zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen.
       
       Die Mutter fährt zusammen mit ihrem zweiten Sohn in das etwa 40 Kilometer
       entfernte Krankenhaus. Als sie dort ankam, sei ihr Sohn voller Blut und
       „quasi tot“ gewesen. Sameera Haji sagt, sie werde kämpfen, bis
       Gerechtigkeit nach Hause komme, übersetzte Barsan Mehdi ihre Schilderung
       der Ereignisse aus dem Kurdischen.
       
       Bilder, die der taz vorliegen, zeigen Qosay Khalaf auf dem Krankenbett.
       Schläuche zur Beatmung, Infusion und Bluttransfusion sind an den Jungen
       angeschlossen. Am Kinn hat er eine Schürfwunde. Die Beine sind auf den
       Seiten voller dunkler Flecken. Der Bauch ist aufgebläht und an der rechten
       Seite ist ein medizinischer Schnitt zu sehen. Das Laken ist an mehreren
       Stellen blutgetränkt. Am Abend des 6. März, einem Samstag, hört Qosay
       Khalafs Herz auf zu schlagen.
       
       Fünf Tage später setzen Familie, Freund*innen und Gemeinde den Jungen auf
       dem jesidischen Gräberfeld des Parkfriedhofs Bümmerstede in Oldenburg bei.
       Qosay Vater Sadam Khalaf trägt den mit Blumen und einem Tuch bedeckten Sarg
       zu Grabe. Einige Männer und Frauen spielen Oboe und Tambourin. Mehrere
       Frauen schreien laut und schlagen sich rhythmisch zur Musik auf Brust und
       Kopf. Die Musik sei für eine Beerdigung nicht üblich gewesen, aber da Qosay
       Khalaf unverheiratet war, sei das gleichsam auch die Hochzeitsfeier,
       erzählte Barsan Mehdi etwas abseits der trauernden Menge.
       
       „Die ersten Tage, ich weiß selbst nicht, wie das ging. Da war nur Trauer
       und Schmerz. Mir war schwarz vor Augen. Wir haben tagtäglich stundenlang
       geweint“, erinnert sich Mehdi im Wollepark und senkt seinen Blick. „Wir
       wussten auch nicht, was wir machen. Was richtig und was falsch ist. Ich
       wusste das nicht. Man ist ja auf einige Sachen vorbereitet, aber nicht auf
       so einen Schicksalsschlag.“
       
       Der Großvater der Familie wendet sich über die jesidische Gemeinde an die
       Öffentlichkeit und bittet darum, von Demonstrationen abzusehen. Er
       bekräftigt sein Vertrauen in die Behörden. Die Familie beauftragt den
       Rechtsanwalt Cahit Toland, der eine zweite private Obduktion in Auftrag
       gibt und mit der Bremer Anwältin Lea Voigt zusammenarbeitet. „Es war auch
       Angst. Unser Sohn, unser Cousin, unser Bruder ist gestorben. Wir wissen
       alle, er war kerngesund – wir waren ja tagtäglich mit ihm unterwegs. Diese
       Fragen, wie und warum, sind gemeinsam mit Angst gekommen, weil es in
       Polizeigewahrsam passiert ist“, erinnert sich Mehdi.
       
       In den ersten Tagen nach dem Tod Khalafs ist in Delmenhorst von einem
       „traurigen Unglücksfall“ die Rede. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg leitet
       zunächst nur ein Todesursachen-Feststellungsverfahren ein. „Es gibt keine
       Ermittlungen gegen meine Polizeibeamten in Delmenhorst“, sagt der
       Polizeipräsident von Oldenburg, Johann Kühme, im Interview mit dem NDR am
       11. März.
       
       ## Eine Anzeige und die Folgen
       
       Die Anwält*innen der Familie erstatteten nach dieser Äußerung Anzeige.
       „Qosay wurde nach den Schilderungen des Zeugen nicht geholfen, das wurde
       nicht erkannt oder man wollte das nicht erkennen. Rennen, Panik, Fixierung,
       Pfefferspray, Bauchlage – wie haben diese Faktoren gewirkt?“, fragt
       Anwältin Lea Voigt. Das zweite, private Gutachten des Universitätsklinikums
       Hamburg-Eppendorf zeige: „Es gab äußere Gewalt, und Sauerstoffmangel
       führte zum Tod von Qosay Khalaf.
       
       Nun wird wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung gegen
       die Sanitäter*innen und Polizist*innen ermittelt. Acht jesidische
       Organisationen fordern Aufklärung. Erst nach öffentlichem Druck reagiert
       die Staatsanwaltschaft – und bestätigt Voigts Äußerungen. Die Anzeichen
       äußerer Gewalt passten allerdings zur Konfrontation und seien nur „mäßig
       intensiv“. Es habe eine Einblutung im Bauch gegeben und die
       Magenschleimhaut sei „nekrotisch und erosiv“.
       
       Eine nicht zu beschleunigende toxikologische Untersuchung des Mageninhalts
       steht immer noch aus, die klären soll, ob eine Vergiftung vorliegen könnte.
       Zeichen für ein mechanisches Ersticken gebe es nicht. Qosay Khalaf hatte
       den Wirkstoff von Marihuana im Blut – andere Drogen wurden nicht
       nachgewiesen. Weiterhin betont die Behörde, dass bisher keine Anzeichen für
       eine Fremdeinwirkung als Todesursache vorlägen.
       
       Barsan Mehdi erzählt, dass sich durch die Äußerungen des Polizeipräsidenten
       Kühme die Stimmung in der Familie verändert habe. „Hat er sich nicht
       gefragt, warum Qosay gestorben ist? Spätestens dann war mir klar: Ich mache
       das jetzt, gehe diesen Weg und versuche, mit allen Mitteln um Gerechtigkeit
       zu kämpfen.“
       
       Barsan Mehdi legt den Instagram-Account „erinnerunganqosay“ an und
       verbreitet anonymisiert die Schilderungen des Augenzeugen Hamudi. Unzählige
       Menschen hätten sich bei ihm gemeldet und ihr Beileid zum Ausdruck
       gebracht, erzählt er. Das habe er an die Familie weitergetragen. Als er
       spricht, weichen aus Barsan Mehdis Gesicht für einen Moment die ernsten
       Züge.
       
       Unter den empfangenen Nachrichten befindet sich auch eine von
       antirassistischen Aktivist*innen aus Bremen, das etwa 15 Kilometer von
       Delmenhorst entfernt liegt. Wenig später gründen Barsan Mehdi und andere
       Familienmitglieder zusammen mit diesen das „Bündnis in Erinnerung an
       Qosay“.
       
       ## Die Trauerfeier im Wollepark
       
       Zwei Wochen nach dem Tod des 19-Jährigen veranstaltet die Gruppe eine
       Trauerfeier im Wollepark. Etwa 250 Menschen kommen. Ziel sei es, einen
       kollektiven Ort der Trauer und des Gedenkens zu schaffen, um der
       Entmenschlichung durch den Tod entgegenzuwirken, sagte dort Gundula Oerter
       von dem Bündnis in Erinnerung an Qosay.
       
       Nazanin Ghafouri, die Moderatorin der Feier, verliest einen Brief der
       Angehörigen und sagt: „Ich bin mir sicher: Würde Qosay nicht Qosay heißen,
       würde er anders aussehen – er würde heute hier unter uns sein.“ Der
       behördliche sowie der Alltagsrassismus in Deutschland seien eine
       Erfahrung, die alle nichtweißen Menschen teilten. Während eines von Qosay
       Khalafs Lieblingsliedern läuft, recken die Teilnehmer*innen schweigend
       die Fäuste zum Himmel.
       
       Die Anwält*innen der Familie suchen nach weiteren Augenzeug*innen. In
       der Reihenhaussiedlung haben sie Zettel an die Wände gehängt und um
       Mithilfe gebeten. Nur einen Tag später ist knapp die Hälfte der Aufrufe
       abgerissen. Als Hamudi A. einen der Zettel im Schmutz entdeckt, hebt er
       diesen auf und sagt: „Ich kann mir das nicht erklären, warum man so etwas
       macht. In so einer Zeit kann man doch etwas Verständnis zeigen und einen
       Zettel hängen lassen.“
       
       Von den Anwohner*innen wollen die meisten an diesem Abend nichts
       gesehen oder gehört haben. Einer schlägt dem taz-Reporter die Tür vor der
       Nase zu, er dürfe ja eh nicht sagen, was er denke. Nur eine Person, die
       anonym mit „NDR Panorama“ gesprochen hatte, bekräftigt ihre Aussagen
       gegenüber der taz: Er habe den Jungen schreien gehört und habe gesehen,
       dass ein Polizist auf ihm kniete.
       
       Barsan Mehdi erzählt, er habe bisher nicht wirklich gute Erfahrungen mit
       den Bewohner*innen der Siedlung gemacht. Eigentlich wollte er mit
       Freund*innen am Ort der Verhaftung Kerzen und Schilder aufstellen. Eine
       Frau sei aus ihrem Haus gerannt und habe sie angeschrien. Er schüttelt den
       Kopf und sein Blick wird kalt. Deswegen gibt es jetzt neben der Bank, wo
       die Kontrolle der Polizei am 5. März begann, eine kleine provisorische
       Gedenkstätte.
       
       Über den vergangenen Monat ist diese gewachsen. Immer wieder sind
       Freund*innen und Verwandte von Qosay dort. Sie stehen schweigend
       beisammen und zünden Kerzen an. Barsan Mehdi spricht ein Gebet, küsst seine
       Hand und legt diese auf den Kopf einer Engelsstatue mit Qosays Khalafs
       Namen, als er vor dem Denkmal steht. „Ich werde mit allen Mitteln
       versuchen, die, die schuld sind, zur Rechenschaft zu ziehen. Der Schmerz
       wird nie wieder weggehen“, sagt er.
       
       „Wie lange können wir zusehen, wie die Mutter innerlich stirbt? Sie sitzt
       jeden Tag auf dem Boden neben dem Bett von Qosay. Wir versuchen alle, die
       Familie zu unterstützen. Ich weiß nicht, wie mein Leben weitergehen soll.
       Es ist so, als ob wir blind gehen, und die einzige Hoffnung ist, mit allen
       Mitteln für Gerechtigkeit zu kämpfen.“ Seine Rückkehr nach Norwegen hat
       Barsan Mehdi auf unbestimmte Zeit verschoben.
       
       ## Die Erinnerung wachhalten
       
       Trotz allem will er sich die positiven Erinnerungen an seinen Cousin
       erhalten. Qosay Khalaf habe oft schöne Worte gefunden, um alle
       aufzumuntern. „Er war ein fröhlicher Tänzertyp. Wir haben unzählige Videos
       von ihm, wie er tanzt“, sagt er mit einem Grinsen.
       
       Ein Großteil der Familie lebt inzwischen in Europa. Nur ein Problem gebe es
       weiter, sagt Barsan Mehdi. Qosays älteste Schwester Diana war bei der
       Ausreise nach Deutschland bereits volljährig und musste deshalb in Irak
       bleiben. Qosays Vater Sadam Khalaf ist in der letzten Woche zu ihr
       geflogen, um eine zweite Trauerfeier 40 Tage nach dem Tod seines Sohnes
       abzuhalten und sich um sie zu kümmern. Die Familie versucht, Diana nach
       Deutschland zu holen. Die Ausländerbehörde und die Stadt Delmenhorst
       hätten signalisiert, sie wollten den Fall mit Wohlwollen behandeln, erzählt
       Barsan Mehdi. „Einer von Qosays größten Wünschen war es, seine Schwester in
       diesem Leben noch einmal zu sehen. Aber leider wird das nie wieder
       passieren.“
       
       23 Apr 2021
       
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