# taz.de -- Die Wahrheit: Vögeldrama
       
       > Tagebuch einer Filmchenguckerin: Eine Tragödie von geradezu
       > shakespearehafter Dimension spielt sich an einem langweiligen Pandemietag
       > ab.
       
 (IMG) Bild: Er setzt Häuser in Brand, sie Männerherzen: Pia Frankenberg als Gina und Ian Dury als Harry
       
       Na, wie geht’s?“, würde im Rheinland oder Ruhrgebiet, wo man sich zur
       Analyse von Weltbewegendem beim Kaltgetränk am Büdchen trifft, zurzeit mit
       „Immer datselbe“ beantwortet. Berliner ertragen solche
       Abwechslungslosigkeit weniger gelassen, schließlich ist man gewohnt, dass
       in der Hauptstadt der Feierbiester was abgeht, und zwar twentyfourseven!
       
       Mit dem Frühling läuft es gerade auch nicht gut, der April ist saukalt, der
       Maibeginn frostig, Blätter quälen sich mühsam aus Baumknospen, und die
       Tulpen im Park schlottern im atlantischen Nordwind. Derweil schleppt sich
       der Bürger zur Arbeit, verwahrlost im Homeoffice oder geht in Dauerschleife
       spazieren. Ödeste Ödnis, außer Demos ist überhaupt nichts los, und Demos
       sind ja eigentlich auch Spaziergänge, nur mit Plakaten, Gebrüll und am Ende
       Gehaue, bis wieder einer heult.
       
       Mitten in dieser Ereigniswüste landet die Mail einer Freundin mit
       angehängtem Video im Postfach, eines dieser lustigen Filmchen, willkommene
       Würze in der tristen Gleichförmigkeit des Lebens. Arglos klickt man es an,
       und es entfaltet sich ein Drama von shakespearehafter Dimension.
       
       Alles beginnt mit Love and Peace am idyllischen Lietzensee im einigermaßen
       stabilen Stadtteil Charlottenburg, man sieht frierendes Spaziervolk,
       umschwebt von den üblichen Rauchschwaden der Kiffer. In Ufernähe dümpelt
       eine herzallerliebste Entenfamilie, Mama, Papa, sieben Kinder. In einigem
       Abstand verschönt ein graziler Reiher die Szenerie. Kleinkinder staunen,
       Brotkrümel fliegen in den See, Entzückensschreie verhallen auf der Tonspur.
       
       Vom Bildrand rauscht wie ein Ku’damm-Raser posermäßig Flügel schlagend ein
       Erpel übers Wasser, hält entschlossen auf die junge Mutter zu und
       attackiert sie wild flatternd von hinten. Aufschrei am Ufer!
       Auseinanderstiebende Kükenschar, lautes Geschnatter, Pandemonium! Der
       entsetzte Gatte eilt zu Hilfe, umsonst, der dreiste Vergewaltiger kriegt,
       was er will.
       
       ## Dann ein Chor aus Klagelauten
       
       Das ist die Gelegenheit für den lachenden Dritten. Während der
       Geschlechterkampf noch tobt, schnappt sich der Reiher-Schönling einen
       flauschigen Leckerbissen aus der unbeaufsichtigten Schar. Wildes Gefiepe,
       kollektives Entsetzen auf den Zuschauerrängen, die Ufer-Arena hält den Atem
       an. Dann ein Chor aus Klagelauten. Väter halten Kindern die Augen zu,
       hartes Brot prasselt auf den Aggressor, „Kükenkiller!“, brüllt es im Off.
       
       Höhnisch präsentiert der Geschmähte die Beute und würgt genüsslich sein
       Zweitfrühstück runter. Der Vergewaltiger lässt befriedigt von seinem Opfer
       ab, die Kükenmutter ordnet ihr zerfleddertes Gefieder und Papa scheucht die
       dezimierte Brut zusammen.
       
       Ja, liebe Kinder, in der Berliner Tierwelt geht es zu wie bei den Menschen:
       Brot & Spiele, Sex & Crime, und zwei Mackervögel klatschen sich im Ufergras
       ab. Die Freundin, von der das Video kam, suchte übrigens nach
       repräsentativen Orten für Onlinestadtführungen.
       
       6 May 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
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