# taz.de -- Fahrkartenkontrolle bei der BVG: In die eigene Tasche gesteckt
       
       > 60 Euro in bar, aber keine Quittung: Wie zwei Kontrolleure der BVG in
       > Berlin offenbar einen Geflüchteten aus Syrien betrogen haben.
       
 (IMG) Bild: Kein Einstieg, kein Ticketverkauf – aber Kontrollen im Bus: die BVG in Coronazeiten
       
       BERLIN taz | Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Womöglich haben die
       landeseigenen Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) diesen Satz als Leitmotiv,
       wenn es um Klagen von Fahrgästen über übergriffige
       Fahrscheinkontrolleur:innen geht. Zumindest legt das ein Fall nahe,
       der sich an einem Dienstagmittag Ende April zugetragen hat. Im Mittelpunkt:
       Houzan A., ein seit fünf Jahren in Deutschland lebender Flüchtling aus
       Syrien, und zwei mutmaßlich raffgierige Fahrausweisprüfer der BVG.
       
       Alle drei sind an jenem Tag in einem Bus der Linie M 27 unterwegs von der
       Turmstraße in Moabit Richtung Jungfernheide. A. hat keinen Fahrschein
       dabei, wie er selbst zugibt. Das ist dann aber auch schon fast die einzige
       Übereinstimmung in den Schilderungen über die Dinge, die sich im Bus und
       danach zugetragen haben.
       
       Es ist in der Pandemie leichter als sonst, unter die
       Schwarzfahrer:innen zu geraten. Fahrscheine [1][werden derzeit im Bus
       nicht verkauft]; das Personal soll so vor einer Ansteckung geschützt
       werden. Zwar wurden auch die Ticketkontrollen ausgedünnt, was die BVG nicht
       an die große Glocke hängt. Doch es gibt sie weiterhin. Und wer, so wie der
       30-jährige Houzan A., erwischt wird und es mit strengem Kontrollpersonal zu
       tun bekommt, hat Konsequenzen zu fürchten: Das sogenannte erhöhte
       Beförderungsentgelt von 60 Euro kann auch in diesem Fall erhoben werden.
       Die Argumentation der BVG: Es sei grundsätzlich möglich, Fahrscheine vorher
       an einem Kiosk, einem Automaten am Bahnhof oder über die Handy-App zu
       kaufen.
       
       Houzan A. fährt normalerweise nie schwarz, diesmal will er sein Ticket beim
       Umstieg in Jungfernheide lösen. Aber er erlebt mit den Kontrolleuren etwas,
       das ihn fassungslos macht. Nach zwei Frauen ohne gültigen Fahrschein – der
       einen fehlte die Bescheinigung des Jobcenters, die andere wollte zum
       nächsten Aldi – ist er dran. Und weil er nicht genug Bargeld dabeihat,
       fahren die Kontrolleure mit ihm zur nächsten Haltestelle, an der es einen
       Geldautomaten gibt. Houzan A. hebt 70 Euro ab; inklusive Fremdentgelt,
       sprich Gebühren für die Bank, wird sein Konto mit 74,95 Euro belastet.
       
       Er zahlt den beiden Kontrolleuren 60 Euro und fragt nach einer Quittung.
       Aber die wiegeln, so seine Darstellung, ab, nachdem sie sein Ausweispapier
       gesehen haben, aus dem seine syrische Herkunft hervorgeht. Es sei nicht gut
       für ihn, mit Namen im BVG-System registriert zu werden, wird ihm geraten.
       Die Daten würden dort drei Jahre lang gespeichert. Besser wäre für ihn,
       einfach so zu bezahlen, so die Argumentation der Kontrolleure: keine
       Quittung, kein Ersatzfahrschein, aber eben auch keine Probleme.
       
       Als die beiden Kontrolleure weg sind, wird dem überrumpelten Houzan A. erst
       so richtig klar, was passiert ist. Er ist von Beruf Filmemacher – jetzt
       aber war er in einem schlechten Film gelandet. Noch von unterwegs ruft er
       bei der BVG-Hotline an, berichtet A. weiter. Beim fünften Versuch geht
       jemand dran und A. schildert, was ihm widerfuhr. Die Empfehlung: Er solle
       so rasch wie möglich per E-Mail alles berichten.
       
       Das macht Houzan A. Sein Deutsch ist noch etwas holprig, aber er bringt die
       Situation sehr gut auf den Punkt. „Die haben nach 60 Euro Strafe gefragt
       und ich hatte kein Bargeld dabei. Deswegen die sind mit mir mit dem
       nächsten Bus nach Mierendorffplatz gefahren und dort gibt es Bankotomat.“
       
       Und weiter: „Ich habe nach der Rechnung gefragt und die haben mir erzählt,
       dass die Rechnung muss an mein Name sein und das ist nicht gut für mich
       weil meine Name in eurem System bis zum drei Jahre bleibt. Und weil ich
       Angst habe Strafe zu haben, habe ich ohne Rechnung akzeptiert. Jetzt habe
       ich gewusst, dass die dürfen so was nicht machen. Wahrscheinlich die haben
       die 60 Euro für sich selbst genommen.“
       
       ## Reflexhafte Reaktion der BVG
       
       Welches Motiv sollte Houzan A. für eine solche Schilderung haben, wenn sie
       nicht der Wahrheit entspricht, sondern eine Räuberpistolengeschichte ist?
       Diese Frage hat sich die BVG offenbar nicht gestellt, sondern reflexhaft
       die beiden Kontrolleure in Schutz genommen.
       
       Houzan A. bekommt am 7. Mai folgende Mail der BVG: „Guten Tag Houzan A.,
       aufgrund Ihrer Mitteilung haben wir eine Stellungnahme der zu dem genannten
       Zeitpunkt und dem genannten Bereich tätigen Fahrausweisprüfer veranlasst.
       Das Ergebnis liegt uns nun vor, allerdings kann der von Ihnen geschilderte
       Sachverhalt nicht bestätigt werden. Beide Fahrausweisprüfer erklären
       unabhängig voneinander, an diesem Tag weder mit noch ohne Begleitung eines
       Fahrgastes den Geldautomaten aufgesucht zu haben. Sie sehen die gegen sie
       erhobenen Anschuldigungen als falsche Verdächtigung an. Ergänzend dazu
       liegen uns von beiden Fahrausweisprüfern eidesstattliche Versicherungen
       vor, die besagen, dass sie strafrechtlich gegen die erhobenen Vorwürfe
       vorgehen werden.“
       
       „Krass“, sagt Houzan A. heute. Er überlegt, ob ihm die Politikerin Ramona
       Pop helfen kann – die grüne Wirtschaftssenatorin ist Vorsitzende des
       BVG-Aufsichtsrates. Aber vorher schreibt er erneut an die Verkehrsbetriebe
       und bittet, sich die Sache noch einmal anzuschauen. Er wolle nicht, dass
       die beiden Kontrolleure weitere Leute erpressen. Die seien nämlich „sehr
       professionell“; schauten, ob der Mitfahrende „aus einem fremden Land“ sei.
       „Die haben mir erzählt, dass ich aus Syrien bin und dass die Strafe für
       meine Situation gefährlich ist. Für mich ist wichtig, dass die BVG jetzt
       Bescheid weiß.“
       
       ## Es gibt viele Beispiele für übergriffige Kontrolleure
       
       Aber weiß die BVG nicht schon Bescheid über Probleme mit ihren
       Kontrolleuren? Im März berichtete die taz über [2][die Petition
       #BVGWeilWirUnsFürchten] „Stoppt Diskriminierung und Gewalt durch
       Kontrolleure“. Ausgangspunkt war unter anderem der Fall eines Mannes, der
       im Dezember 2020 wegen einer fehlenden Fahrradkarte krankenhausreif
       geschlagen wurde. Die Initiatorinnen der Petition, Anna-Rebekka Helmy und
       Achan Malonda, sagten damals: „Mit Blick auf das Ausmaß der Gewalt ist das
       sicher ein Extrem, körperliche Übergriffe sind leider dennoch keine
       Einzelfälle.“ Bisher haben mehr als 34.000 Menschen die Petition
       unterschrieben.
       
       Es ist nicht ganz leicht zu sagen, ob es nur einzelne schwarze Schafe unter
       den Kontrolleur:innen gibt – oder ob solche Verfehlungen System haben.
       Was jedoch nicht nachvollziehbar ist: wenn Hinweisen nicht ausreichend
       nachgegangen wird, sondern diese in Drohungen gegen die Opfer umgemünzt
       werden, wie es im Fall von Houzan A. geschehen ist.
       
       Erst nach einer Anfrage der taz prüfte die BVG den Vorfall erneut. Houzan
       A. bekam am Mittwoch eine Mail. „Mögliches Fehlverhalten des Personals“
       werde demnach „stets sehr ernst genommen“, hieß es nun. Und
       „selbstverständlich“ müssten die Fahrausweisprüfer die Barzahlung eines
       erhöhten Beförderungsentgeltes – auch eine spätere Zahlung sei möglich –
       quittieren.
       
       Vollständig aufklären konnten oder wollten die Verkehrsbetriebe den Fall
       nicht. „Es steht,Aussage gegen Aussage'“, schrieb die BVG. Sie deutete
       zugleich an, dass sie von der Unschuld ihrer beiden Mitarbeiter nicht mehr
       vollständig überzeugt ist: „Ohne hierzu Details nennen zu können, möchten
       wir Ihnen aber mitteilen, dass Ihr Hinweis arbeitsrechtliche Relevanz hat.“
       
       12 May 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /OePNV-und-Corona/!5723839
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Meisner
       
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