# taz.de -- Tierschutzskandal auf Schweinehof: Auf frischer Tat ertappt
       
       > Tierschützer filmen, wie ein Schweinemäster seine Tiere erschießt. Er
       > trifft nicht richtig. Die Schweine leiden. Auch die Haltung ist
       > katastrophal.
       
 (IMG) Bild: Vor dem Tod ein qualvolles Leben: Schwein auf dem Hof in Ohne
       
       OSNABRÜCK taz | Die Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2020 ist eine Nacht
       qualvoller Bilder. Tierschützer nähern sich einer Schweinemast in Ohne, in
       der Grafschaft Bentheim. Ihre Kamera läuft; das Phosphor-Grün der
       Nachtsichtoptik sieht militärisch aus. Überzüge über die Schuhe,
       Schutz-Overall an, Einweg-Handschuhe. Dann öffnen sie die Tür. Was sie
       sehen, ist schockierend: Enge, vor Dreck starrende, einstreulose Boxen.
       Gedärm, das aus den Aftern von Tieren quillt. Klauen, die nur noch blutige
       Klumpen sind.
       
       Eine Woche später, am 17. Oktober, [1][zeichnet eine ihrer im Stall
       versteckten Kameras Nottötungen] auf, in einer Krankenbucht mit vier
       Tieren. Ein Mann mit einem Jagdgewehr, vermutlich. 22er-Kleinkaliber, ist
       darauf zu sehen. Er zielt auf einen Kopf, drückt ab. Das Tier zuckt und
       zuckt. Der Mann geht. Kommt zurück. Zielt auf ein zweites Tier. Kopfschuss.
       Das Tier zuckt und zuckt, neben ihm windet sich noch immer das erste.
       Gehen, zurückkommen, dritter Schuss. Gehen, zurückkommen, vierter. Der Mann
       schießt einhändig, sichere Treffer sind so kaum möglich. Über sechs Minuten
       dauert das. Es sind brutale Szenen.
       
       Jan Peifer, Vorstandsvorsitzender des Vereins Deutsches Tierschutzbüro,
       werden die Aufnahmen zugespielt. „Das sind schon krasse Bilder“, sagt er,
       aus 20 Jahren Tierrechtsarbeit unerträgliche Anblicke gewohnt. „Wer das
       nicht selber sieht, glaubt das nicht.“
       
       Peifer informiert das Veterinäramt im niedersächsischen Nordhorn. Das
       kontrolliert den Betrieb sofort, unangekündigt. Stellt Haltungsmängel fest,
       erlässt ordnungsrechtliche Verfügungen. Acht Kontrollen sind es bis heute.
       Hermann Kramer, Abteilungsleiter Veterinärwesen des Landkreises Grafschaft
       Bentheim, empören besonders die Schüsse.
       
       „So was ist für mich kein Töten. Das ist nicht nur tierschutzwidrig, das
       ist frevelhaft. Das ist eine Ermordung.“ Ein Kehlschnitt, der durch
       Ausblutung den schnellen Tod herbeiführt, unterbleibt. Der Mann geht
       einfach. Das Sterben der Tiere dauert lange. „Für mich wirkt der Schütze“,
       sagt Kramer, „als wolle er lieber nicht so genau hinsehen.“
       
       ## 15 Seiten Strafanzeige
       
       Peifer informiert auch die Staatsanwaltschaft, stellt Strafanzeige wegen
       des Verdachts auf Verstoß gegen § 17 Nr. 2b des Tierschutzgesetzes. Es sei
       „davon auszugehen, dass den betreffenden Tieren länger anhaltende oder sich
       wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt wurden“. Die
       Strafanzeige ist 15 Seiten lang. Sie bemängelt die Platznot der Tiere, die
       zu breiten Schlitze des Spaltenbodens, in denen sich die Klauen verhaken
       können.
       
       Sie spricht von lahmenden Tieren, die kaum mehr aufstehen können. Der
       Hauptvorwurf aber ist die Tötung: „Die Schüsse führen offensichtlich nicht
       umgehend zu einer Betäubung und dem Tod der Tiere.“ Mehr noch: Es sei
       „offenbar tagelang“ gewartet worden, einen Tierarzt hinzuzuziehen, „um dann
       noch einmal tagelang zu warten, bis die eindeutig empfohlene Nottötung
       erfolgte“.
       
       Der Fall aus Ohne ist kein Einzelfall. Fast zeitgleich hat Peifer fünf
       weitere Strafanzeigen gestellt, zu Fällen aus derselben Region, aus
       Wietmarschen und Merzen, aus Samern und Herzlake.Auch dort ein ähnliches
       Bild: Tiere mit geschwollenen Gelenken, abgebissenen Schwänzen und
       entzündeten Augen. Schwache und tote Tiere. Unbehandelte, verdreckte
       Wunden.
       
       Überbesetzte Buchten. Überall Exkremente. Mangelndes Licht. Kadavertonnen
       mit Schweinen, betäubt durch einen Bolzenschuss, aber ohne Kehlschnitt.
       Peifer sagt: „In dieser Häufung und Brutalität ist das schon ungewöhnlich.“
       Was ihn besonders beunruhigt: „Bei allen sechs Fällen handelt es sich um
       Zufallsfunde. Es gab keinerlei Hinweise, keine Indizien. Wir schließen
       daraus: Das Problem ist offenbar flächendeckend, systemisch.“
       
       ## Material durch Hausfriedensbruch
       
       Alle sechs Fälle liegen nun bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg, die
       [2][auf Landwirtschaftskriminalität spezialisiert] ist. „Derzeit wird das
       Sachverständigengutachten erstellt“, sagt Staatsanwalt Thorsten Stein über
       die Schüsse von Ohne: „Da wird auch das Foto- und Videomaterial
       analysiert.“
       
       Dass dieses Material durch Hausfriedensbruch entstanden ist, schränkt seine
       gerichtliche Verwendbarkeit nicht ein. „Es ist verdeckt entstanden,
       undercover. Aber dafür sind keine Türen aufgehebelt worden, keine Fenster
       eingeschlagen“, stellt Peifer klar. „Wir würden keine Aufnahmen verwenden,
       die durch Einbrüche entstanden sind.“
       
       Vier der sechs Fälle fallen in den Zuständigkeitsbereich des Veterinärs
       Kramer. „So was hätte ich in meinem Landkreis nicht für möglich gehalten“,
       sagt er, tief erschüttert. „Es gibt viele Landwirte, die machen gute
       Arbeit. Aber mein Vertrauen ist jetzt erst mal dahin.“
       
       Kramer setzt auf hohen Kontrolldruck: „Wir konzentrieren unsere Leute jetzt
       erst mal auf den Tierschutz. Und ich habe der Landwirtschaft gesagt: Wir
       kommen!“ Jedes einzelne Tier sehe man sich dann an. „Und auch die in der
       Kadavertonne, denn tote Tiere zeigen dir viel über das Leben, das sie
       geführt haben.“ Der Schütze von Ohne darf keine Nottötungen mehr selbst
       durchführen. Auch das hat Kramers Amt verfügt.
       
       Der Betrieb ist Zulieferer von Tönnies und hat das Prüfzeichen der QS
       Qualität und Sicherheit GmbH, eines Unternehmens, getragen von Verbänden
       der Land- und Ernährungswirtschaft. Die Ohner Mast hat auch hier einen
       schlechten Ruf: „Wir haben in den vergangenen Audits Mängel und
       Abweichungen von den QS-Anforderungen festgestellt und dokumentiert“, sagt
       Kathrin Voskuhl, QS, Bonn.
       
       „Wir haben Korrekturmaßnahmen eingefordert und auch ein Sanktionsverfahren
       gegen den Betrieb eingeleitet.“ Er werde „risikoorientiert kontrolliert“.
       Das Fleisch aus Ohne, verrieten Peifer im Stall befindliche Dokumente, wird
       von Goldschmaus, EGO, Vion und Westfleisch weitervermarktet.
       
       ## Schweinebauer sitzt im Gemeinderat
       
       Die Gemeinde Ohne, die südöstlichste Gemeinde der Samtgemeinde Schüttorf,
       ist winzig. Nur wenige Quadratkilometer, nur ein paar Hundert Bewohner.
       Ohne wirbt mit dem Slogan „Wo jeder jemand ist!“. Auch Gewehrschütze S. ist
       hier jemand. Er ist Ratsherr im Gemeinderat. Hauptberuflich arbeitet er für
       die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, als Berater für
       Modellbetriebe. Seine Handynummer ist nicht mehr aktiv. Aber das Festnetz
       geht. S. wirkt angeschlagen. Reden will er nicht. Das sei alles so
       belastend, sagt er matt. Er habe einen Anwalt, der beantworte alle Fragen.
       Die Antworten kommen nie.
       
       Aber ohne Antworten wird es nicht gehen. Zumal in Ohne selbst, im
       Gemeinderat. Ratsherr S. übt sein kommunales Mandat nicht als
       Parteimitglied aus. „Alle Ratsmitglieder“, sagt Ohnes Bürgermeisterin
       Charlotte Ruschulte, „sind Teil einer Wählergemeinschaft.“ Ja, man habe mit
       S. gesprochen, und was jetzt juristisch geschehe, und auch sonst, müsse man
       abwarten. Ob er für die anstehende Kommunalwahl erneut „zur Verfügung“
       stehe, sei offen.
       
       Der Fall S. ist [3][symptomatisch für eine generelle Fehlentwicklung]. Der
       Verbraucher will billiges Fleisch, also wird billiges Fleisch produziert,
       mit teils grauenvollen Folgen für die Tiere. Aber die Schuld liegt auch bei
       der Politik. Und Peifer hat nicht viel Hoffnung, dass sich da etwas ändert:
       „Das ist ja immer dasselbe: Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast
       zeigt sich nach außen hin zutiefst schockiert und fordert rückhaltlose
       Aufklärung, aber am Ende passiert nichts.“
       
       Massentierhaltung ist in Niedersachsen ein starker Wirtschaftsfaktor. „Da
       geht Profit vor Tierschutz“, sagt Peifer. Und dann erzählt er von
       Landwirten, die Schweine mit dem Hammer erschlagen, sie an den Hinterbeinen
       nehmen, ausholen und mit dem Kopf auf das Tor der Haltebucht schmettern.
       
       Filiz Polat, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Bramsche, nur eine
       Viertelstunde Fahrzeit sind es von hier bis zu einem der sechs Fälle, sagt:
       „Dass es immer wieder Fälle von Tierleid in niedersächsischen
       Schweineställen gibt, zeigt, dass wir eine deutlich höhere Quote an
       Kontrollen brauchen. Heute ist es so, dass ein Betrieb theoretisch alle 20
       Jahre kontrolliert wird. Problemställe kann man so praktisch nicht
       identifizieren – schon gar nicht, wenn die Kontrollen angekündigt werden.“
       Es sei „schon fast symptomatisch“, dass immer wieder erst heimliche
       Videoaufnahmen „die eklatanten Missstände ans Licht der Öffentlichkeit
       bringen“.
       
       ## Nottötungen kaum kontrollierbar
       
       Hinzu komme, „dass nicht fachgerechte Nottötungen, die dann auch noch
       fehlschlagen und zu noch mehr Tierleid führen, durch Kontrollen kaum
       erfasst werden können“. Es gelte, in allen Ställen einen gesetzlichen
       Standard zu erreichen, „der den Tieren nicht nur ein Leben ohne andauernde
       Leiden und Schmerzen, sondern ein tier- und artgerechtes Leben ermöglicht“.
       
       Bis das Realität ist, wird Peifer weiter Videomaterial sichten,
       Veterinärämter alarmieren, Strafanzeigen stellen. Wie im Fall des
       Schweinemästers B. aus Samern, bei dem Videoaufnahmen aus dem Oktober 2020
       ein abgemagertes Tier zeigen, das krank oder verletzt lange unbeachtet auf
       dem Stallgang liegt, ohne Futter, Wasser und Pflege. Ein Mann kommt, setzt
       einen Bolzenschuss.
       
       Tot ist das Tier danach nicht. Eine Minute später kommt der Mann zurück,
       tritt das Tier, setzt einen zweiten Bolzen. Dann geht er. Das Tier bewegt
       sich noch lange. Das Video zeigt auch einen blau angelaufenen Kadaver,
       blutige Schleifspuren auf Beton, abgestellte Tränken.
       
       Peifer ist froh um die moderne Videotechnik. „Fälle wie diese hat es schon
       immer gegeben“, sagt er. „Das Gute ist, dass wir sie jetzt beweisen können,
       durch Bilder. Vor 20 Jahren ging das noch nicht, die Kameras waren dazu
       viel zu groß.“ So aber wird es in ein paar Wochen oder Monaten einen neuen
       Landwirtschaftsskandal geben. Einen neuen Einzelfall, der keiner ist.
       
       16 May 2021
       
       ## LINKS
       
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