# taz.de -- Ergebnis der Volkszählung in China: Älter, kinderärmer und gebildeter
       
       > Mit Verspätung hat China seinen Bevölkerungszensus veröffentlicht. Er
       > offenbart die demografische Zeitbombe des bevölkerungsreichsten Staates.
       
 (IMG) Bild: Die chinesische Bevölkerung altert rapide: Auf dem Gelände eines Wohnblocks in Peking
       
       PEKING taz | Nun ist es schwarz auf weiß: Die chinesische Bevölkerung
       ereilt dasselbe Schicksal wie praktisch sämtliche führende
       Wirtschaftsnationen. Sie wird rasant älter und bekommt immer weniger
       Kinder. Doch noch hält das Bevölkerungswachstum an: 2020 zählte die
       nationale Statistikbehörde 1,41178 Milliarden Menschen, 72 Millionen mehr
       als noch vor einer Dekade. Schon nächstes Jahr jedoch droht ein
       Bevölkerungsrückgang.
       
       Unter großem medialen Interesse wurde die Publikation der weltweit
       aufwändigsten Volksbefragung erwartet. Am Dienstagmorgen schließlich lud
       die Regierung in Peking zur offiziellen Pressekonferenz. Der Leiter der
       nationalen Statistikbehörde, Ning Jizhe, zeichnete zunächst ein rosiges
       Bild: Die Alphabetisierungsrate habe angezogen, der Männerüberschuss sich
       leicht verringert und die Anzahl an Hochschulabgängern konnte deutlich
       gesteigert werden.
       
       Die eigentliche Nachricht wurde bei der offiziellen Verlautbarung aber nur
       am Rande erwähnt: Chinas Bevölkerung wird rasant älter und bekommt immer
       weniger Kinder. Die demografische Zeitbombe ist längst die größte Bedrohung
       für den „chinesischen Traum“ von Staatschef Xi Jinping, eine moderat
       wohlhabende Gesellschaft zu werden.
       
       Ein Blick auf die Kernfakten: Im letzten Jahr wurden nur 12 Millionen
       Kinder geboren, was den niedrigsten Wert seit der großen Hungersnot 1961
       darstellt. Zugleich ist die Alterskohorte von über 65 Jahren deutlich
       angestiegen: Machte sie 2010 nur 8,9 Prozent an der Gesamtbevölkerung aus,
       sind es mittlerweile 13,5 Prozent. Ihr Anteil wird zudem rapide zunehmen:
       Allein in den nächsten fünf Jahren werden bis zu 300 Millionen das
       Rentenalter erreichen.
       
       ## Die 1-Kind-Politik ist vorbei, doch zwei Kinder sind zu teuer
       
       Zwar hat Peking vor etwa fünf Jahren seine [1][restriktive Ein-Kind-Politik
       gelockert], die massives Leid verursacht und zu einem Männerüberschuss von
       über 30 Millionen geführt hat. Doch auch wenn chinesische Familien
       mittlerweile zwei Kinder großziehen dürfen, wollen sie es schlicht nicht
       mehr. Das größte Hindernis sind die explodierenden Kosten für Wohnraum und
       Bildung.
       
       Grundsätzlich sind offizielle Daten aus China mit einer gewissen Skepsis
       einzuordnen: Bereits im April hatte die Financial Times (FT) berichtet,
       dass die nationale Statistikbehörde erstmals seit über 60 Jahren einen
       Bevölkerungsrückgang vermelden würde. Nun berichtet die FT abermals unter
       Berufung auf interne Quellen: Die Zahlen wurden nach oben revidiert. Dies
       würde auch die mehrwöchige Verschiebung erklären, denn ursprünglich wollte
       Peking seine Volksbefragungsergebnisse im April veröffentlichen.
       
       Chinesische Behörden haben in der Vergangenheit immer wieder Daten
       frisiert, um den ausgegebenen Zielen der Zentralregierung zu entsprechen.
       Selbst der heutige Premierminister Li Keqiang – damals Parteisekretär der
       Provinz Liaoning – hat laut einem Memorandum des US-Außenministeriums 2007
       vermerkt, dass er offiziellen Wirtschaftszahlen der Lokalregierung nicht
       trauen würde.
       
       Doch trotz Bedenken ist der Trend klar: Die demografische [2][Bedrohung für
       den Wirtschaftsaufstieg Chinas] ist vergleichbar mit der Situation in
       Europa und den USA: Überalterung, steigende Lohnkosten, sinkende Zahl der
       Arbeitskräfte. Nur befindet sich die Volksrepublik – trotz konstant
       anhaltendem Wachstum während der Coronazeit – auf einem ungleich
       niedrigeren Niveau: Allein um das Pro-Kopf-Einkommen von Spanien zu
       erreichen, müsste sich Chinas Bruttoinlandsprodukt um den Faktor 2,6
       erhöhen.
       
       Kurzfristig dürfte die demografische Transformation noch keine drastischen
       Auswirkungen auf die Volkswirtschaft haben. Denn noch kann sie durch das
       abgefedert werden, was Chinas Parteikader „Qualität der
       Bevölkerungsentwicklung“ nennt: Die Anzahl der Universitätsabsolventen hat
       sich in den letzten zehn Jahren auf 218 Millionen nahezu verdoppelt, ebenso
       ist die Urbanisierung – die als wichtiger Indikator für Produktivität gilt
       – im selben Zeitraum auf 902 Millionen Menschen angestiegen.
       
       ## Mehr Verstädterung, aber erst auf US-Niveau von 1950
       
       Derzeit leben etwa 64 Prozent der Chinesen in Städten. Das entspricht in
       etwa dem Niveau der USA von 1950 – und macht deutlich, wie viel Potenzial
       die chinesische Wirtschaft weiterhin hat.
       
       Doch mittelfristig steht die Staatsführung durch die Überalterung vor ihrer
       größten Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Peking setzt zwar
       zunehmend auf künstliche Intelligenz und Automatisierung, um dem
       demografischen Wandel entgegenzuwirken.
       
       Doch auch in den eigenen Reihen herrscht das Bewusstsein, dass jene offene
       Wette auf die Zukunft bei Weitem nicht ausreichen wird: „Wir müssen
       erkennen, dass Bildung und technologischer Fortschritt den
       Bevölkerungsrückgang nur schwer wird kompensieren können“, heißt es in
       einem Papier der chinesischen Zentralbank vom März.
       
       Angesichts der zunehmend nationalistischen Staatsführung scheint zugleich
       ausgeschlossen, dass China seine Migrationspolitik lockert. Derzeit leben
       knapp 850.000 Ausländer in China, von denen derzeit aber ein erheblicher
       Teil wegen der Grenzschließungen während der Coronapandemie außer Landes
       ist. Hochgerechnet auf die Bevölkerung machen ausländische Staatsbürger
       also weitaus weniger als 0,06 Prozent aus – einer der niedrigsten Werte
       weltweit.
       
       Auch lassen Pekings Bemühungen für eine höhere Geburtenrate die
       Unterdrückungspolitik der Uiguren in Xinjiang unter einem noch düstereren
       Licht erscheinen: Dort brach die Zahl an Neugeborenen 2019 in einigen
       Landkreisen um über 50 Prozent ein, was mit der systematischen Internierung
       von hunderttausenden Muslimen in der Region zu tun haben könnte. Die
       chinesische Botschaft in Washington twitterte zuletzt, uigurische Frauen
       seien nicht länger „Gebärmaschinen“.
       
       11 May 2021
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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