# taz.de -- Egan Bernal dominiert den Giro d’Italia: Wie sein Held
       
       > Der Kolumbianer Egan Bernal überzeugt bei den Bergetappen des Giro
       > d’Italia mit Leistungen, die ihn nahe an die Großen des Radsports
       > heranrücken.
       
 (IMG) Bild: Trotzt auch der Kälte: Egan Bernal, mal wieder allein unterwegs, dominiert den Giro d'Italia
       
       So sieht Dominanz aus: Auf den letzten Meter der schweren Dolomitenetappe
       des Giro d’Italia am Montag richtet sich Egan Bernal plötzlich auf. Er
       öffnet mit seinen steif gefrorenen Fingern die schwarze Regenjacke, die er
       bei dem eisigen und feuchten Wetter übergestreift hat und versucht sich,
       des Kleidungsstücks zu entledigen. Dabei gerät er etwas aus dem
       Gleichgewicht. Er fährt Schlangenlinie. Schließlich gelingt ihm das
       Unterfangen und im einzigen durch die Wolken brechenden Sonnenstrahl
       leuchtet plötzlich das rosa Trikot auf. „Ich wollte das rosa Trikot zeigen.
       Ich liebe es und respektiere es. Und man gewinnt ja nicht jeden Tag eine
       Etappe mit dem rosa Trikot. Es war mir auch egal, wenn ich beim Ausziehen
       ein paar Sekunden verliere“, sagte er später.
       
       Bernal achtet bei diesem Giro auf jedes Detail. Sogar ästhetische Momente
       sind ihm wichtig, eben selbst dann, wenn der magere Körper in der bitteren
       Kälte nur so schlottert. Gut erzogen, wie er ist, warf er die Regenjacke
       dann auch nicht achtlos auf den Asphalt, sondern verstaute sie am Rücken.
       Dass das noch einmal eine Verzögerung mit sich brachte, störte ihn auch
       nicht. [1][Er ist so überlegen und führt so deutlich], dass er noch im
       Finale einer Bergetappe an seinem Erscheinungsbild arbeiten kann.
       
       Damit keine Missverständnisse aufkommen: Eitel ist dieser Sohn einer
       Blumenverkäuferin und einen Wachmanns aus dem Hochland um die
       Landeshauptstadt Bogota gewiss nicht. Er will bei seiner Rückkehr in die
       absolute Elite des Profiradsports nur alles richtig machen.
       
       Dazu gehören in allererster Linie Siege. Die liefert er bei diesem Giro in
       Atem beraubender Frequenz ab. Die wegen schlechter Wetterbedingungen um
       zwei Zweitausender-Pässe verkürzte Etappe durch die Dolomiten am Montag
       bestimmte er eindeutig. Kurz vor Erreichen des letzten verbliebenen
       Zweitausenders, des Passo Giau, trat er an. Er ließ die Konkurrenz förmlich
       stehen, sammelte die Reste der Fluchtgruppe auf und meisterte auch souverän
       die glatte und technisch anspruchsvolle Abfahrt.
       
       ## Willkommene Attacke
       
       Am Monte Zoncolan am Samstag holte er zwar nicht den Etappensieg. Drei Mann
       aus der Fluchtgruppe des Tages konnten sich noch vor dem von hinten
       heranjagenden Kraftprotz in rosa in Sicherheit bringen. Aber seine direkte
       Konkurrenz, diejenigen, die gern aufs Podium kommen wollen bei dieser
       Italienrundfahrt, die hielt er locker in Schach. Erst scherte er aus,
       schaute sich um, ob jemand attackieren wollte. Als sich dann der Brite
       Simon Yates traute, nahm er dankbar an. Er heftete sich ans Hinterrad des
       für den australischen Rennstall Bike Exchange fahrenden Profis. Und als sie
       weit genug weg waren von den anderen und die Straße noch mal richtig steil
       wurde, trat Bernal selbst an. Yates musste ihn frustriert ziehen lassen.
       
       Eine weitere Bergetappe gewann der Kolumbianer in der ersten Woche. Da
       holte er sich erst mit dem Etappensieg das rosa Trikot und fuhr noch im
       Ineos-Shirt über den Zielstrich. Dieses Bild ist nun durch den Coup in rosa
       verdrängt. Bernal denkt da ganz richtig: Sponsorennamen kommen und gehen,
       Radhelden bleiben. Und am besten schreiben sie sich in den Wertungstrikots
       der jeweiligen Rundfahrten ins kollektive Gedächtnis ein.
       
       Im gelben Trikot ist so ein Heldenfoto von Bernal noch nicht überliefert.
       Als er bei der abgebrochenen Schlammetappe zum Col d’Iseran bei der Tour
       2019 allein vor dem Peloton herfuhr, gab es zum Zeitpunkt des Abbruchs
       weder eine weiße Ziellinie noch trug er schon gelb. Die Führung errang er
       erst durch diesen Coup.
       
       Mit seinem bravourösen Ritt in rosa durch Italien schreibt er aktuell aber
       Geschichten, die ihn nahe an die ganz Großen des Radsports heranrücken.
       „Ich werde jetzt oft mit Pantani verglichen“, erzählte er. Er sei zwar
       nicht Pantani und wolle il pirata auch nicht nachahmen. „Aber in meinem
       Kinderzimmer hatte ich ein Bild von Pantani. Da war sonst nichts anderes,
       was mit Radsport zu tun hatte, Pantani war aber da“, sagte er.
       
       So schließt sich ein Kreis, vom Dolomitenheros Pantani über die Anden und
       wieder zurück in die Dolomiten. Dass Bernal ein so trauriges Ende nehmen
       wird [2][wie einst sein Held], ist unwahrscheinlich. Bernal wirkt
       charakterlich gefestigt und ist in sein altes soziales Umfeld weiterhin gut
       eingebunden. Jetzt hat er noch drei weitere Bergetappen Zeit, an seinem
       Bild für die Radsportchroniken zu feilen.
       
       25 May 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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