# taz.de -- Giro d'Italia und soziale Proteste: Die Straße genau kennen
       
       > Radprofi Egan Bernal fällt beim Giro doppelt auf. Er führt in der
       > Gesamtwertung und gilt als Kritiker der Missstände in seiner Heimat
       > Kolumbien.
       
 (IMG) Bild: Radsport funktioniert nur mit geöffneten Sensoren: Egan Bernal
       
       Egan Bernal ist ein sensibler Bursche. Das durfte man schon bei seinem
       [1][Tour-de-France-Sieg 2019] beobachten. Ganz unverstellt gab er sich
       seinen Gefühlen hin, schämte sich nicht seiner Tränen. Kurz vor dem Giro
       bewies der Kolumbianer Sensibilität mit den Menschen in seinem Land.
       
       Obwohl mittlerweile mit einem Millionenvertrag beim britischen Rennstall
       Ineos ausgestattet, hat er die Härten seiner eigenen Kindheit nicht
       vergessen und solidarisierte sich deshalb mit der Protestbewegung in
       Kolumbien gegen die Steuerreformen der konservativen Regierung.
       
       „Ich möchte hier nicht jeden Tag zu diesem Thema Stellung nehmen. Aber mich
       besorgt es, was in Kolumbien vorgeht. Und ich habe ja auch schon deutlich
       dazu Stellung genommen“, meinte er nach dem Überstreifen des rosa Trikots
       am Donnerstag gegenüber Pressevertretern.
       
       Bernals Haltung ist eindeutig. Noch vor dem Beginn des Giro textete er auf
       [2][Instagram]: „Was mich besonders beschämt, sind die Toten und die vielen
       Gewaltakte der Behörden gegen die Demonstranten. Das betrübt mich genauso
       wie das Verhalten der Personen, die die Unruhen für Vandalismus ausnutzen.“
       Er verstehe zwar die Gründe, die zu der Reform geführt haben, betonte er,
       warf aber zugleich den Regierenden eine zu große Entfremdung von der
       gesellschaftlichen Realität, in der weite Teile der Bevölkerung leben, vor.
       
       ## „Es gibt schlimmste Armut, Gewalt, Gesundheitsprobleme“
       
       „Wenn diese Leute unter den gleichen Bedingungen lebten wie ein großer Teil
       der Menschen, würden sie sie nicht derart ausquetschen wollen“, schrieb er.
       „Das Problem ist, dass das Land in einigen Gegenden in einem Zustand des
       Desasters ist. Es gibt Zonen schlimmster Armut, mit Gewalt,
       Gesundheitsproblemen und Mangel an Bildung.
       
       Ein Land zu regieren, ist nicht einfach, aber die, die an der Macht sind,
       müssen dazu in der Lage sein. Es ist ihre Verantwortung.“ Solche Töne hört
       man selten von Radprofis. Und auch dass sie während einer Rundfahrt, die
       sie gewinnen wollen, ihre Gedanken nicht komplett vor allem, was nicht
       rennrelevant ist, verschließen, ist eher selten.
       
       Bernal kommen seine Sensoren aber auch in seinem Sport zugute. Beim Giro
       zeigte er sich bislang sehr auf der Höhe der Dinge. Wenn es wichtig war,
       parierte er Attacken selbst und ließ ansonsten die Teamkollegen den Job
       erledigen. Für eigene Attacken nutzte er bislang optimale Momente. Sowohl
       am Berg als auch auf den Schotterstrecken fuhr der gelernte Mountainbiker
       den meisten Rivalen davon. Er war auf kurzen Rampen wie auf der vierten
       Etappe nach Sestola und zur Skistation Campo Felice auf der 9. Etappe der
       explosivste Fahrer. Dort holte er sich mit dem Tagessieg auch erstmals das
       rosa Trikot.
       
       Auf den längeren Bergen wie dem 15 Kilometer langen San Giacomo auf der 6.
       Etappe war er erneut der Ausdauerndste. Und auf den Schotterstraßen der
       Strade Bianche auf der 11. Etappe ließ er zunächst ganz abgeklärt den
       Ravensburger Emanuel Buchmann ziehen, um ihn dann doch einzufangen und im
       Sprintduell um Platz 11 ganz locker zu schlagen. In all diesen
       entscheidenden Momenten war er der beste Klassementfahrer beim Giro.
       Gegenwärtig zeigt Bernal keine Schwäche. Und sollte er eine haben, ist sein
       Team Ineos in der Lage, dies durch ein Tempo zu überspielen, das den
       eigenen Kapitän nicht plattmacht, der Konkurrenz aber den Zahn zieht.
       
       Das Finale auf dem Monte Zoncolan am heutigen Samstag wird Bernal aber wohl
       allein bestreiten müssen. Gewöhnlich tröpfeln die Fahrer da einzeln ein,
       voll beschäftigt im Kampf gegen die Schwerkraft auf den bis zu 27 Prozent
       steilen Anstiegen. Einen kleinen Vorteil immerhin hat die Konkurrenz:
       Bernal ist den Berg selbst noch nicht gefahren.
       
       21 May 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=LdgBc18R5y8
 (DIR) [2] https://www.instagram.com/eganbernal/?hl=de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tom Mustroph
       
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