# taz.de -- Verfassungsschutz in Niedersachsen: Wenigstens ein Student, der zuhört
       
       > Darf ein V-Mann die universitäre Selbstverwaltung untergraben? Das
       > Verwaltungsgericht Hannover weist die Klage einer linken Aktivistin ab.
       
 (IMG) Bild: Demo der Basisdemokratischen Linken in Göttingen 2018: Möglicherweise mit V-Mann
       
       HANNOVER taz | Es war ein großes Drama, jetzt geht es an das lange und
       kleinteilige juristische Nachspiel: 2018 wurde an der Uni Göttingen [1][der
       V-Mann Gerrit G. enttarnt.] Er hatte im Auftrag des Verfassungsschutzes die
       „Basisdemokratische Linke“ ausspioniert, und zwar über zwei Jahre lang.
       
       Aufgeflogen war das, weil eine Aktivistin ein Auskunftsersuchen beim
       Verfassungsschutz gestellt hatte. Sie wollte fehlerhafte Daten löschen
       lassen. In den Gerichtsakten fanden sich detaillierte Hinweise auf den
       Einsatz des V-Mannes, weil beim Verfassungsschutz jemand geschlafen und es
       versäumt hatte, die Seiten zu schwärzen.
       
       Ein Riesenskandal damals, [2][in dessen Folge Verfassungsschutz-Chefin
       Maren Brandenburger gehen] musste. Die betroffene Aktivistin versucht immer
       noch vor Gericht zu erwirken, dass ihre Daten gelöscht werden und der
       Verfassungsschutz einräumen muss, dass das Vorgehen insgesamt nicht in
       Ordnung war.
       
       In der Zwischenzeit hat der Verfassungsschutz immerhin die Daten gesperrt
       und zur Löschung vorgemerkt – allerdings nicht, weil sie unrechtmäßig
       zustande gekommen waren, sondern weil sie veraltet sind und die junge Frau
       längst aus Göttingen weggezogen ist.
       
       ## Wie weit darf eine V-Mann gehen?
       
       Anwalt Sven Adam lässt deshalb noch lange nicht locker: Vor dem
       Verwaltungsgericht Hannover hat er Klage gegen den Verfassungsschutz
       eingereicht, um feststellen zu lassen, dass die Erfassung und Speicherung
       der Daten nicht rechtens war und der Einsatz des V-Mannes
       unverhältnismäßig. In seinen Augen wirft der Fall nämlich eine ganze Reihe
       von grundsätzlichen Fragen auf, die dringend einmal geklärt werden müssten.
       
       Da wäre zum Beispiel die Frage, wie weit ein V-Mann eigentlich gehen darf.
       Das spielt vor Gericht immer mal wieder eine Rolle – etwa wenn es darum
       geht, ob verdeckte Ermittler oder V-Männer der Polizei oder auch des
       Verfassungsschutzes zu Mittätern oder Anstiftern geworden sind.
       
       Im Fall Gerrit G. hat das Ganze aber noch eine ganz andere Note, sagt der
       Göttinger Anwalt. Der hat sich nämlich über die Alternative Liste in
       diverse Gremien wählen lassen – und damit eigentlich die universitäre
       Selbstverwaltung und letztlich die Wissenschaftsfreiheit untergraben.
       
       Auch bei der Einstufung seiner Mandantin und der Gruppe als
       Beobachtungsobjekt habe man es sich zu leicht gemacht, findet Adam. Der
       einzige konkrete Vorwurf gegen seine Mandantin, der sich in den
       freigegebenen Akten findet, ist, dass sie an der Demo „Bautzen bleibt bunt“
       teilgenommen hat. Sie soll dabei zwei Dosen Pfefferspray in der Tasche
       gehabt haben – ein Vorwurf, den sie allerdings vehement bestreitet.
       
       ## Falsche Infos aus Sachsen
       
       Der Eintrag beruht auf Informationen des Verfassungsschutzes Sachsen und
       weist einige sachliche Fehler auf – so stimmt beispielsweise die Jahreszahl
       nicht und das Pfefferspray wurde nicht auf der Demo, sondern bei einer
       (später vor Gericht angefochtenen) Durchsuchung des Autos nach der Demo
       gefunden. Weil mehrere Personen im Wagen saßen, konnte es ihr nicht klar
       zugeordnet werden.
       
       Die „Basisdemokratische Linke“, zu der die junge Frau gehört, versteht sich
       als Teil der [3][„Interventionistischen Linken“,] die regelmäßig in den
       Verfassungsschutzberichten auftaucht. Sie gilt als Teil der
       autonomen/post-autonomen Szene, Phänomenbereich Linksextremismus.
       
       Darunter wiederum fasst der Verfassungsschutz so einiges. Eine Auflistung
       von Straftaten, die vor Gericht verlesen wird, umfasst alles: Von der
       Zerstörung von rechten Wahlplakaten über den Tortenwurf auf ein
       AfD-Mitglied über Brandanschläge bis hin zu Ausschreitungen bei
       Demonstrationen.
       
       ## Verfassungsfeindliche Selbstbeschreibung
       
       Der Haken: Wenig bis gar nichts von dem, was hier als autonome Gewalttat
       aufgelistet wird, konnte der Uni-Gruppe der Basisdemokratischen Linken
       zugeordnet werden. Bei der argumentiert der Verfassungsschutz im
       Gerichtssaal immer bloß damit, dass sich aus der Selbstbeschreibung ergäbe,
       dass man verfassungsfeindlich gesinnt sei – da sei immerhin von der
       Überwindung des Kapitalismus und der bestehenden Herrschaftssysteme die
       Rede.
       
       Außerdem, sagt der Linksextremismusexperte des Verfassungsschutzes, Udo
       Baron, habe sich die Interventionistische Linke ausdrücklich nicht von den
       gewalttätigen Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg distanzieren
       wollen. Und wenn sich die Basisdemokratische Linke als Teil der
       Interventionistischen Linken verstehe, sei sie eben auch Teil dieses
       Gewaltverständnisses.
       
       Aufgrund der „Organisations- und Hierarchiefeindlichkeit“ der Autonomen
       könne man ja auch gar nicht anders als die Beobachtungsobjekte so weit zu
       fassen, dass auch die ständig wechselnden Gruppen und Untergruppen davon
       erfasst würden.
       
       ## Politik will Auskunftsrechte wieder einschränken
       
       Das Verwaltungsgericht Hannover folgt dieser Argumentation und weist die
       Klage ab. Es gäbe hinreichende Begründungen und Kontrollmechanismen –
       durch den Innenminister, die G10-Kommission, die vertrauliche Unterrichtung
       des entsprechenden parlamentarischen Ausschusses – argumentiert die
       Richterin. Da sei davon auszugehen, dass die Einstufung als
       Beobachtungsobjekt sorgsam erfolgt sei.
       
       Deshalb sei der Einsatz des V-Mannes auch nicht unverhältnismäßig oder
       sonst wie zu beanstanden gewesen. Und was die universitären Gremien angehe:
       Da sei die Klägerin gar nicht klageberechtigt, weil sie nicht in ihren
       subjektiven Rechten betroffen sei. Rechtsanwalt Sven Adam sagt, dass er
       damit im Grunde gerechnet habe. Er will nun in die nächste Instanz gehen.
       
       Auf der politischen Ebene wird derweil an einer erneuten Änderung des
       niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes herumgedoktert. Man möchte vor
       allem die Auskunftsrechte Betroffener weiter beschneiden, mit denen der
       ganze Schlamassel erst angefangen hat.
       
       19 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Goettinger-Antifaszene/!5547198
 (DIR) [2] /Datenpanne-beim-Verfassungsschutz/!5549783
 (DIR) [3] /!s=Interventionistische+Linke/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nadine Conti
       
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