# taz.de -- Visionen vom Stillstand: VW Käfer aus Vinyl
       
       > Künstler waren vom Anfang an vom Auto fasziniert. Die Ästhetik fasziniert
       > ebenso wie die skulpturale Möglichkeit der Verschrottung.
       
 (IMG) Bild: Die Cadillac Ranch von Ant Farm in Texas
       
       Man muss sich nicht so blöd wie Greenpeace aufführen und als Angeber in
       Macho-Krieger-Manier ins Fußballstadion einfliegen, um gegen VW Stellung zu
       beziehen. Um auf die verwerfliche Produktionspolitik der Wolfsburger
       aufmerksam zu machen, eignet sich der weiche VW-Käfer in Originalgröße aus
       Vinylstoff der mexikanischen Künstlerin Margarita Cabrera viel besser. Der
       weiche Käfer in der Nachfolge von Claes Oldenburgs Soft Sculptures wurde
       von Arbeiterinnen in den sogenannten Maquiladoras gefertigt.
       
       Diese Fabriken multinationaler Unternehmen mit Hauptsitz in den USA können
       dank besonderer Übereinkünfte zwischen den Regierungen ihrer Länder
       besonders günstig in Mexiko produzieren und in die nahen USA distribuieren.
       Hier profitierte und profitiert VW nur von Ausbeutung, anderswo allerdings
       knüpft man inzwischen schon wieder [1][an Traditionen aus den 1940er
       Jahren] an.
       
       Ansonsten waren die Künstler – genauso wie der Rest der Menschheit – von
       Anfang an vom Auto fasziniert. „Ein Rennwagen, dessen Karosserie große
       Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen“, schien ihnen
       „schöner als die Nike von Samothrake“. So jedenfalls sah es [2][Filippo
       Tommaso Marinetti im Manifest des Futurismus], das er am 20. Februar 1909
       im Pariser Le Figaro veröffentlichte. Aber wie halt Künstler so sind, mit
       dem Auto machen sie dann Dinge, die sie mit der Nike nie machen würden,
       höchstens mit der Mona Lisa – wie ihr ein kleines Schnurrbärtchen geben für
       zukünftige Gender-, Trans- und Queerdebatten.
       
       Der [3][US-amerikanische Künstler John Chamberlain] (1927–2011) jedenfalls
       würdigte die skulpturalen Qualitäten des Automobils, indem er die Autos in
       die Schrottpresse steckte, um sie dann zu freistehenden Plastiken
       aufzutürmen. In Berlin lässt sich sein 11 Meter hoher, über zwei Etagen
       aufragender „Turm von Klythie“ im Foyer des Quartier 205 bewundern. Laut
       Info-Kubus reflektiert der Turm auf „abstrakte expressionistische und
       popartige Weise die Produktionszusammenhänge der industriellen Realität:
       Erfindung, Herstellung und Zerstörung, Konstruktion und Destruktion“.
       
       ## Zehn Cadillacs nahe der Route 66
       
       Genau deswegen befinden wir uns im Wahljahr 2021 auch im Straßenkampf.
       Generell scheinen die Künstler das Auto gerne still zu stellen. Die Gruppe
       visionärer Architekten zum Beispiel, die zwischen 1968 und 1978 als Ant
       Farm mit Videokunst, Performances und Installationen in Erscheinung traten
       (1977 auf der documenta 6), pflanzte 1974 zehn Cadillacs mit der Schnauze
       vorneweg in ein Feld nahe der Route 66 westlich von Amarillo.
       
       Nur die hintere Hälfte mit den berühmten Heckflossen, die zu diesem
       Zeitpunkt abgeschafft wurden, ragte aus der Erde. Gesponsert wurde die
       Sache vom Helium-Millionär und Mäzen Stanley Marsh III., der
       interessanterweise befand, dass ausgerechnet diese feststeckenden Autos
       „die große Flucht, die Freiheit der Wahl, die Möglichkeit, einfach
       abzuhauen“, symbolisierten.
       
       Dass es damit nicht wo weit her ist, befand 1987 [4][Wolf Vostell und
       stellte in Berlin „2 Beton Cadillacs in Form der nackten Maja“] 1987 auf,
       um auf das Ende der Autokultur hinzuweisen. Da daran damals niemand glauben
       wollte, jeder aber befürchtete, dass Vostell in the long run recht haben
       würde, formierte sich heftiger Bürgerprotest gegen Vostells „24-stündigen
       Tanz der Autofahrer um das Goldene Kalb“. Die Skulptur war wohl das
       umstrittenste Kunstwerk in der Berliner Nachkriegszeit. Tatsächlich
       umfahren es Autofahrer 24 Stunden jeden Tag an seinem Standort auf dem
       Rathenauplatz am Ende des Ku’damms.
       
       1 Jul 2021
       
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