# taz.de -- Migrationspolitik in Sachsen: Der Freistaat schiebt weiter ab
       
       > Spätnachts wird eine Familie aus Pirna zurück nach Georgien gezwungen.
       > Seitdem streiten SPD und Grüne mit der CDU um den Abschiebekurs des
       > Landes.
       
 (IMG) Bild: Traurige Realität: Abgeschobene auf dem Weg in ein Flugzeug, das sie nach Kabul bringen soll
       
       LEIPZIG taz | Die schwarz-rot-grüne Regierung in Sachsen streitet über die
       Abschiebepraxis im Freistaat. Innenminister Wöller und die sächsische CDU
       sind schon lange für ihre strikte Abschiebepolitik bekannt, das Thema war
       bereits bei den Koalitionsverhandlungen 2019 ein Konfliktpunkt. Nun
       stagniert die Zusammenarbeit.
       
       Auslöser der aktuellen Debatte war eine Reihe von Abschiebungen, von denen
       auch Familien betroffen waren. Große Aufmerksamkeit erlangte der Fall der
       Familie Imerlishvili, die am 10. Juni nach Georgien abgeschoben wurde. Die
       neunköpfige Familie lebte seit acht Jahren in Pirna, fünf der Kinder waren
       in Deutschland geboren. Dennoch entschied die Ausländerbehörde sich für
       eine Abschiebung [1][mitten in der Nacht unter Tränen und Schreien der
       Kinder und Eltern.]
       
       Der vieldiskutierte Fall löste eine Debatte über die sächsische
       Abschiebepraxis aus. Sowohl Grüne als auch SPD kritisierten, dass Familien
       mit Kindern nachts aus ihren Wohnungen geholt werden. Der SPD-Abgeordnete
       Albrecht Pallas nannte die Abschiebepraxis „unmenschlich“. Außerdem stehe
       die Abschiebepraxis der Behörden in „eklatantem Widerspruch zu den
       Vereinbarungen des Koalitionsvertrags.“
       
       Auch die Grünen-Chefin Christin Furtenbacher kritisierte die Abschiebungen
       scharf und forderte klare und verbindliche Richtlinien. Der sächsische
       Ausländerbeauftragte Geert Mackenroth (CDU) hingegen verteidigte das
       Agieren der Behörden. Von seiner Partei hieß es, es seien in den besagten
       Fällen keine Menschenrechte verletzt worden.
       
       ## Kaum Hoffnung auf schnelle Veränderung
       
       Dieser Koalitionsstreit war programmiert. Das CDU-geführte Innenministerium
       unter Roland Wöller ist für seine harte Hand bekannt, Initiativen wie der
       Flüchtlingsrat kritisieren [2][die Abschiebungen aus Sachsen] seit Jahren
       als unwürdig. Um darauf zu reagieren, einigte sich die Regierung im
       Koalitionsvertrag von 2019 darauf, einen „Rückführungsleitfaden“ für die
       sächsische Abschiebepraxis zu entwickeln.
       
       Petra Čagalj Sejdi, asylpolitische Sprecherin der Grünen, sagte gegenüber
       der taz, der Leitfaden solle deutlich humanitäre Aspekte einbeziehen, um so
       beispielsweise Kindeswohlgefährdung zu vermeiden. Das Problem: Der
       Leitfaden steckt aktuell beim Innenministerium in der Bearbeitung fest.
       Čagalj Sejdi kritisierte, dass intern immer wieder Forderungen diskutiert
       würden, die die CDU jedoch ablehne. „Sonst gäbe es diesen Leitfaden schon“,
       so die Abgeordnete. Asylpolitik sei ein „ständiges Streitthema“
       
       Die Opposition findet noch härtere Worte als die Grünen. Die Hauptkritik
       müsse sich gegen die CDU und das Innenministerium richten, sagte Juliane
       Nagel, Sprecherin für Migration der Linkspartei im sächsischen Landtag. Der
       Leitfaden sei ebenfalls problematisch. Das Ziel solle nicht etwa ein
       „Bessermachen von Abschiebungen“ sein, sondern Wege zu finden, wie die
       Ausländerbehörden die Betroffenen in ihrem Bleiberecht unterstützen können.
       
       Nagel betont auch, dass das Problem kein neues ist. „Schon vor den
       öffentlichkeitswirksamen Fällen der vergangenen Monate gab es
       grundrechtswidrige Abschiebungen wie Familientrennungen.“ Weder Grüne noch
       SPD hätten auf Initiativen der Linkspartei, wie die Forderung nach einem
       coronabedingten Abschiebestopp, reagiert. Entsprechende Anträge
       scheiterten.
       
       Am Dienstag beriet der Koalitionsausschuss nun unter anderem über die
       Abschiebungen. Viele Fortschritte gab es jedoch nicht. Lediglich einen
       kleinen Ausblick gibt es: Innenminister Wöller sagte zu, dass der Leitfaden
       zur Abschiebepraxis bis zum kommenden Koalitionsausschuss im Oktober
       vorliegen soll. Bis dahin wird abgeschoben wie bisher.
       
       7 Jul 2021
       
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