# taz.de -- Kleinpartei Volt tritt erstmals an: Der Traum von mehr Europa
       
       > 2017 hat sich die Partei Volt gegründet. Nun wollen die
       > Pro-Europäer*innen die Fünf-Prozent-Hürde knacken. Wie wollen sie das
       > erreichen?
       
 (IMG) Bild: Paneuropäische Vision: Eine Demonstration der Volt-Partei im Jahr 2018
       
       BERLIN taz | Eigentlich kennt man den Begriff Volt aus der Physik. Er ist
       die internationale Maßeinheit für elektrische Spannung. Hans-Günter Brünker
       dient er der Selbstvermarktung: „Uns geht es darum, neue Energie in die
       Politik zu bringen.“ Brünker ist Chemiker, war in den 90ern fünf Jahre bei
       McKinsey, dann ist er Schauspieler geworden.
       
       Jetzt will der 54-Jährige in den Bundestag – für eine kleine junge Partei,
       die sich nach der elektrischen Maßeinheit benannt hat und sich so ein
       revolutionäres Image geben will. Zum ersten Mal tritt Volt nun zur
       [1][Bundestagswahl] an.
       
       Die Partei versteht sich als Reaktion auf erstarkenden Populismus und
       Nationalismus in Europa. Ihr Gegenentwurf: eine europäische Republik, die
       in der Lage sein soll, den Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen – vom
       Klimawandel über die Mobilitätswende und die Digitalisierung bis zu
       sozialer Ungleichheit.
       
       „Diese Herausforderungen machen ja nicht an den Landesgrenzen halt. Wir
       brauchen europäische Lösungen für gemeinsame Probleme“, erklärt Rebekka
       Müller. Die 32-jährige BWLerin, die an der privaten Zeppelin Universität
       studiert hat, ist die zweite Spitzenkandidatin für Volt.
       
       Europäisches Denken 
       
       Langfristig stellt sich die Partei ein starkes EU-Parlament mit
       Initiativrecht und eine handlungsfähige europäische Regierung vor, die
       nationale Interessen hintanstellt. Dafür müsse die EU weg vom
       Einstimmigkeitsprinzip und der europäische Rat abgeschafft werden. So steht
       es im 177-seitigen Parteiprogramm.
       
       Außerdem müsse es eine gemeinsame europäische Außenpolitik und eine
       „Verteidigungsarmee“ geben. Auch [2][die Asylpolitik solle erneuert
       werden], inklusive Verteilungsschlüssel und der Entkriminalisierung von
       Seenotrettung.
       
       Für diese Vision will die junge Partei in ganz Europa Politik machen. Auch
       dafür stehe der Name Volt, so Müller. „Er bedeutet in ganz Europa dasselbe
       und wird überall verstanden.“ 2017 hat sich Volt als paneuropäische Partei
       gegründet. Inzwischen gibt es in über 30 Ländern nationale Ableger mit
       insgesamt mehr als 25.000 Mitgliedern.
       
       Der Gedanke: Europa lässt sich ohne die Macht der nationalen Parlamente und
       ein europäisches Denken auf allen Ebenen nicht verändern. Seit 2019 ist
       Volt mit einem Mandat im EU-Parlament vertreten. Im März dieses Jahres
       konnte die Partei drei Sitze im niederländischen Parlament ergattern.
       
       Keine Koalition mit der AfD 
       
       In Deutschland haben die Pro-Europäer 2.800 Mitglieder. Zum Vergleich: Bei
       den Grünen sind es über 100.000. Gewählt vor allem von jungen
       Wähler*innen ist Volt an mehreren Stadtregierungen beteiligt – zum
       Beispiel in Frankfurt, Bonn, Köln und Münster.
       
       Die Partei arbeitet zusammen mit SPD, Grünen und Linken, aber auch mit FDP
       und CDU. Gegen Links- und Rechtsextremismus hat Volt einen
       Unvereinbarkeitsbeschluss verabschiedet. [3][Mit der AfD] würde man demnach
       nicht koalieren, sagt Müller.
       
       Aber wo genau steht Volt selbst? „Uns geht es um die Sache und die
       bestmögliche Lösung“, sagt Brünker. Politik dürfe nicht von Macht- und
       Grabenkämpfen bestimmt sein. Soll heißen: Fraktionsdisziplin,
       Parteirivalitäten und Ideologie dürften die Sachpolitik nicht überschatten.
       
       Stattdessen solle es lieber so laufen wie im Bamberger Stadtrat, in dem
       Brünker sitzt. Dort zwänge eine faktische Minderheitsregierung zum
       Austausch von Sachargumenten und der Beteiligung aller. „Das ist ein etwas
       anstrengenderes Regieren“, meint Brünker. „Aber letztlich viel
       zielführender.“
       
       „Da sind wir sicherlich nah an den Grünen dran“ 
       
       Er gibt aber auch zu: „Es ist sicherlich richtig zu sagen, dass wir
       programmatisch mehr Überlappungen mit dem Spektrum links der Mitte als
       rechts der Mitte haben.“ Das Parteiprogramm ist mit den Farben Rot, Grün
       und Gelb hinterlegt. Wohl nicht nur eine ästhetische Entscheidung.
       Abgesehen von Europa stehen denn auch sehr viele Themen auf der Agenda.
       
       [4][Ganz oben natürlich: Klimawandel.] Bis 2035 solle Deutschland CO2- und
       bis 2040 klimaneutral sein. Dafür müsse ein CO2-Preis her, dessen Erlöse
       als Klimadividende zurückgezahlt werden sowie in grüne Produkte und
       Forschung fließen. Bis 2025 soll der Mindestpreis für ein Zertifikat bei 70
       Euro liegen. Außerdem: Kohleausstieg bis 2030. Und: Tempolimit von 90 km/h
       auf Landstraßen und 130 auf Autobahnen.
       
       Die Mobilitätswende erfordere hohe Investitionen, unter anderem in das
       Bahnnetz. Die Schuldenbremse müsse dafür zumindest kurzzeitig ausgesetzt
       werden. All das klingt ziemlich nach den Grünen. „Beim Thema Klimakrise, da
       sind wir sicherlich nah an den Grünen dran“, gibt Müller zu. „Aber wir
       fordern neben dem sozialen Ausgleich auch die enge Einbindung der
       Wirtschaft. Das ist ja etwas, was man den Grünen weniger zutraut.“
       
       Tatsächlich ist in Volts Programm viel die Rede von Innovation, Start-Ups
       und Unternehmer*innentum. Volt wolle sich für eine „ökologisch-soziale und
       ökonomisch-nachhaltige Wirtschaft“ einsetzen, so Müller. Grüne und soziale
       Unternehmen müssten stärker gefördert werden.
       
       Entfesselung der Wirtschaft und sozialer Ausgleich 
       
       Bürokratie müsse abgebaut und die Unternehmenssteuersätze „in Richtung
       eines mittleren europäischen Niveaus“ gesenkt werden. Solche Stellen im
       Programm klingen dann doch etwas wie die [5][Wirtschaftsentfesselungspakete
       von FDP und Union].
       
       Brünker betont aber auch, wie wichtig ihm das Thema soziale Ungleichheit
       sei: „Ich sehe, dass unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderfällt.“
       Deshalb: eine Erhöhung der Einkommenssteuer im oberen Bereich, die
       Kapitalertragssteuer rauf und eine konsequentere Erbschaftssteuer.
       
       Außerdem solle die Grundsicherung um 100 Euro erhöht, die Sanktionsregeln
       nach dem Prinzip ‚Hilfe statt Strafe‘ umgestaltet werden und ein
       Mindestlohn von 13 Euro müsse her. Das fordert auch die Linkspartei. Die
       Grünen hatten hingegen auf ihrem letzten Parteitag einen Antrag, den
       Mindestlohn auf 13 statt auf 12 Euro zu erhöhen, abgelehnt.
       
       So richtig einordnen lässt sich die junge Partei nicht. Vielleicht ist sie
       am ehesten [6][vergleichbar mit etwas verjüngten Grünen] – dazu mit gelber
       und roter Färbung. Was die Partei gegenüber anderen auszeichnet? Unklar. Es
       dürfte nicht ganz einfach werden, die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken.
       
       9 Jul 2021
       
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