# taz.de -- Messerangriff in Würzburg: Die Frage nach dem Warum
       
       > In Würzburg tötet ein Mann drei Frauen und verletzt weitere schwer. Das
       > Motiv des Täters ist weiterhin unklar.
       
 (IMG) Bild: Trauer hinter dem Absperrband am Tatort: viele Menschen stellten Kerzen für die Opfer auf
       
       WÜRZBURG taz | Und wieder steht die Frage im Raum: Warum? Nach dem
       Messerangriff mit drei Todesopfern in Würzburg bleibt das Motiv vorerst
       ungeklärt. Die Polizei prüft weiter islamistische Beweggründe. Gleichzeitig
       gibt es Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Täters. Nicht zum
       ersten Mal nach schweren Gewalttaten in jüngster Zeit.
       
       In Würzburg herrschte am Wochenende vor allem Bestürzung und Trauer.
       Menschen legten Blumen und Kerzen am Tatort ab. Die Stadt legte ein
       Kondolenzbuch aus, schaltete eine Notfallhotline. Am Sonntagnachmittag
       sollte eine Gedenkfeier an die Opfer im Würzburger Dom erinnern.
       Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) sagte, die Tat treffe die
       Stadt und auch ihn persönlich „mitten ins Herz“.
       
       Am Freitag gegen 17 Uhr hatte ein 24-Jähriger laut Polizei in einem
       Kaufhaus am Würzburger Barbarossaplatz nach einem Messer gefragt, ein
       solches ergriffen und auf eine Verkäuferin eingestochen. Danach attackierte
       er zwei weitere Frauen. Alle drei starben. In einer nahen Sparkasse und auf
       der Straße griff der Mann weitere Personen an. Dabei kam es zu sieben
       Verletzten, die meisten davon schwer. Alle Opfer waren Frauen, dazu wurde
       auch ein Junge verletzt.
       
       Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte der Täter „mit
       unglaublicher Brutalität auf die Opfer eingestochen“. Die Betroffenen und
       der Täter hätten sich nicht gekannt. Die Frage, warum es vor allem Frauen
       traf, werde noch geprüft, erklärte Polizeipräsident Gerhard Kallert. Dies
       könne auch Zufall gewesen sein.
       
       ## Psychische Auffälligkeiten
       
       Auf [1][Augenzeugenvideos], die auf Twitter oder Facebook verbreitet
       wurden, ist zu sehen, wie Passanten den Täter aufhielten, etwa indem sie
       ihn mit Gegenständen bewarfen. Kurz darauf traf auch die Polizei ein. Sie
       gab nach eigenen Auskünften einen Schuss auf den Mann ab und nahm ihn fest.
       Er wurde am Oberschenkel verletzt.
       
       Laut Polizei handelt es sich bei dem Festgenommenen um einen 24-jährigen
       Somalier, der im Mai 2015 nach Deutschland kam. Er wohnte zuletzt in einer
       Obdachlosenunterkunft in Würzburg. Nach einem Asylantrag wurde ihm
       subsidiärer Schutz gewährt. Laut Ermittlern ist der Mann nicht vorbestraft,
       zeigte zuletzt aber psychische Auffälligkeiten. Auf den Videos ist er
       barfuß, mit Atemschutzmaske und einem langen Messer zu sehen.
       
       Ein Kaufhausdetektiv berichtete von „Allahu akbar“-Rufen des Täters. Auch
       soll dieser nach seiner Festnahme von einem „Dschihad“ gesprochen haben –
       ansonsten schweigt er bisher zur Tat. Laut Medienberichten wurden in seiner
       Unterkunft IS-Propagandamaterial gefunden. Ermittler sprachen von
       „Hassbotschaften“, die derzeit noch ausgewertet würden.
       
       ## Fehlender Behandlungsbedarf
       
       Andererseits war der 24-Jährige [2][laut Polizei] zuletzt bereits zwei Mal
       kurz in psychiatrischer Behandlung. Das erste Mal, nachdem er zu
       Jahresbeginn bei einem Streit in seiner Unterkunft Mitbewohner mit einem
       Messer bedrohte. Das zweite Mal, nachdem er im Juni bei einem ihm
       Unbekannten ins Auto gestiegen sei und um Mitfahrt gebeten habe. Beide Male
       aber sei er kurz darauf „wegen fehlenden Behandlungsbedarfs“ wieder
       entlassen worden.
       
       Ob der Messerangriff tatsächlich islamistisch motiviert war, bleibt damit
       vorerst unklar. [3][Bereits vor fünf Jahren] hatte ein 17-jähriger Afghane
       in Würzburg in einer Regionalbahn Reisende mit einem Messer und einer Axt
       attackiert und schwer verletzt. Anschließend griff er eine Passantin an und
       wurde von Polizisten erschossen. Der Attentäter hatte seine Tat zuvor in
       einem Video angekündigt und die Terrormiliz „Islamischer Staat“ die Attacke
       für sich reklamiert – als erste in Deutschland.
       
       Zuletzt gab es bundesweit indes mehrere schwere Gewaltfälle von psychisch
       auffälligen Tätern, bei denen die Einordnung nicht so eindeutig war. 2018
       war ein Mann mit einem Transporter in Münster in eine Menschengruppe gerast
       und hatte vier Personen getötet, danach auch sich selbst. Die Polizei
       wertete die Tat als erweiterten Suizid. Im gleichen Jahr zündete ein Syrer
       im Kölner Hauptbahnhof einen Molotow-Cocktail, nahm eine Frau als Geisel
       und bezeichnete sich als IS-Anhänger. Hier sprachen die Ermittler von der
       Tat eines psychisch Kranken.
       
       ## Fälle in Essen und Bottrop
       
       Wenige Monate später fuhr ein Mann in Essen und Bottrop in mehrere
       Menschengruppen, offenbar gezielt Migrant:innen. Ein Gericht attestierte
       auch ihm Wahnvorstellungen und schickte ihn in eine geschlossene
       Psychiatrie. Auch ein Iraker, der im August 2020 in Berlin auf der
       Stadtautobahn Motorradfahrer umfuhr und „Allahu akbar“ geschrien haben
       soll, landete in der Psychiatrie. Bei einem Autoangriff auf Menschengruppen
       in Volksmarsen im Februar 2020 genauso wie im Dezember in Trier, wo fünf
       Menschen starben, sind die Motive noch offen.
       
       Der Terrorismusexperte Peter Neumann erklärte, die Vermischung von
       extremistischer Rhetorik und psychischer Anfälligkeit sei vor allem bei
       Einzeltätern inzwischen „ein dominantes Muster“, das die Beurteilung und
       Bekämpfung der Taten noch schwerer mache. Für die Frage, ob Angriffe
       politisch sind, sei entscheidend, ob der Täter bei der Ausführung
       zurechnungsfähig war. Bei leichteren Persönlichkeitsstörungen schlössen
       sich Extremismus und psychische Vorbelastungen aber nicht aus, sondern
       könnten sich ergänzen oder gar verstärken, so Neumann. Dies müsse im Fall
       Würzburg nun geprüft werden – was eine Weile dauern könne.
       
       Der Ausländer- und Integrationsbeirat Würzburg fürchtet indes bereits jetzt
       eine Stigmatisierung von Migranten. Man sei „tief erschüttert über die
       tragischen Ereignisse“ und drücke allen Hinterbliebenen „tief empfundenes
       Mitgefühl aus“, teilte dieser mit. Gleichzeitig sei aber gerade die
       somalische Community in der Stadt nun „zutiefst verunsichert“. „Unsere
       gemeinsame Herausforderung ist nun, zu verhindern, dass diese Mordtat in
       pauschale Anschuldigungen umschlägt und das Geschehen von
       zuwanderungsfeindlichen Kräften politisch instrumentalisiert wird“,
       erklärte der Beiratsvorsitzende Antonino Pecoraro. Er verwies darauf, dass
       unter den Passanten, die den Täter aufhielten, auch Migranten waren. Zudem
       zeige sich, dass dringend „Mittel gefunden werden müssen, mit
       traumatisierten und psychisch auffälligen Geflüchteten angemessen
       umzugehen“, so Pecoraro.
       
       ## AfD instrumentalisiert die Tat
       
       Tatsächlich aber verknüpfte die AfD die Tat umgehend mit ihrer Agenda.
       AfD-Fraktionschef Alexander Gauland erklärte, „ohne Merkels
       unverantwortliche Politik der offenen Grenzen könnten diese drei Menschen
       noch leben“. Der Staat solle sich um die Sicherheit seiner Bürger kümmern,
       „nicht für das Wohlergehen von Menschen, die hier überhaupt nicht
       hergehören“. Auch der AfD-Innenpolitiker Gottfried Curio ätzte:
       „Masseneinwanderung ist auch Messereinwanderung“.
       
       Andere Spitzenpolitiker:innen äußerten dagegen Betroffenheit, ohne
       sich bereits auf ein Tatmotiv festzulegen. Ein Sprecher von Kanzlerin
       Angela Merkel sagte, die „entsetzliche Tat richtet sich gegen jede
       Menschlichkeit und jede Religion“. Die Politiker:innen dankten auch
       dem Eingreifen der Passanten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU)
       erklärte, „dieser selbstlose Einsatz verdient höchste Anerkennung“.
       
       Auch Würzburgs Oberbürgermeister Schuchardt lobte die Zivilcourage.
       Gleichzeitig fürchtet auch er eine gesellschaftliche Polarisierung nach der
       Tat. In einem offenen Brief an die Würzburger:innen schrieb er, er habe
       nach der Tat geweint. Um die Opfer und ihre Angehörigen. Aber auch um die
       Stadt, die nun schon zum zweiten Mal solch eine Gewalttat erlebe und nun
       wieder mit einem „Schubladendenken“ konfrontiert sei, in dem Geflüchtete
       mit „Glaubenskriegern“ gleichgesetzt würden. Verbrechen einzelner dürfen
       aber niemals ganzen Bevölkerungsgruppen zugeschrieben werden, so
       Schuchardt. „Dies ist meine moralische Forderung, mein Wunsch an die
       Gesellschaft.“
       
       27 Jun 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.focus.de/panorama/welt/grosseinsatz-in-wuerzburg-augenzeugen-filmen-wie-mutige-wuerzburger-den-messer-angreifer-stellen_id_13437850.html
 (DIR) [2] https://www.polizei.bayern.de/unterfranken/news/presse/aktuell/index.html/329668
 (DIR) [3] /Angriff-in-Zug-bei-Wuerzburg/!5321262
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Konrad Litschko
       
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