# taz.de -- Trockenheit in Berlin: Wasser muss zum Baum
       
       > Hunderttausende Berliner Stadtbäume werden nicht genug gegossen – während
       > das Land wertvolles Regenwasser in die Kanalisation laufen lässt.
       
 (IMG) Bild: BaumpatInnen in Friedrichshain – ob die Beatles auch Wasser geschleppt hätten, um Bäume zu gießen?
       
       BERLIN taz | Im Frühjahr 2020 wollte Sigrid Warns* nicht mehr mit ansehen,
       wie die Bäume vor ihrem Haus in Schöneweide und im Innenhof dürsteten. Zwei
       rekordverdächtig trockene Sommer lagen hinter ihnen, und das tägliche
       Gießen mit Wasser, das Warns aus der vierten Stock herunterschleppte, waren
       nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
       
       Die Mieterin, die sich bei Parents for Future und GermanZero engagiert,
       wandte sich an ihre Vermieterin, die Degewo, und bat sie, den Wasserhahn im
       Innenhof zugänglich zu machen. Geht nicht, lautete die Antwort, dann fingen
       bekanntlich manche an, ihr Auto damit zu waschen, und die Mieten müsse man
       auch anheben. Warns gab sich nicht zufrieden und bat die Mieterbeiräte von
       Oberschöneweide um Unterstützung. Aber auch als diese das
       Wohnungsunternehmen auf das Bewässerungsdefizit der Bäume aufmerksam
       machte, gab es kein Entgegenkommen.
       
       Die Degewo ist eines von sechs landeseigenen Wohnungsbauunternehmen und
       kann auf Anfrage den Baumbestand auf ihren Flächen exakt beziffern: 28.361
       sollen es aktuell sein. Wie viele Bäume insgesamt auf Berlins Wohn-, Büro-
       und Industrieflächen stehen, weiß dagegen niemand.
       
       Bei der Senatsumweltverwaltung kennt man zwar die Zahl der Straßen- und
       Anlagenbäume – rund 430.000 –, die Zahl der Stadtbäume auf Grundstücken
       aber könne „seriös nicht geschätzt werden und ist daher unbekannt“.
       Überschlägt man deren Zahl anhand von Luftbildern, kommt man ohne Weiteres
       auf mehrere hunderttausend Exemplare, die in keiner Statistik auftauchen
       und doch genauso wichtig für das urbane Klima sind.
       
       Auf Anfrage beteuert die Degewo, sie sehe sich „als Eigentümer, im
       Interesse unserer Mieter sowie im Sinne der Umwelt natürlich in
       Verantwortung für den Erhalt des Grünbestands in unseren Quartieren“. Das
       beinhalte die „ausreichende Bewässerung“, besonders von „Neupflanzungen,
       Neuansaaten und Jungbäumen“. Man unterstütze auch das „ehrenamtliche
       Engagement unserer MieterInnen“, sich an der Grünpflege zu beteiligen,
       allerdings stünden „nur begrenzt Außenwasserhähne zur Verfügung“.
       
       Das liege an den strengen Hygienevorschriften der Trinkwasserverordnung,
       denn in Gartenwasserleitungen könne Wasser verkeimen und sich „negativ auf
       die gesamte Trinkwasserinstallation auswirken“. Sigrid Warns sagt, dieses
       Argument habe man ihr gegenüber nie genannt.
       
       ## Abhängig vom Willen der GrundstückseigentümerInnen
       
       Fest steht: Der Zustand einer riesigen Menge von Stadtbäumen ist abhängig
       vom Willen der – öffentlichen und privaten – GrundstückseigentümerInnen,
       die sich mal mehr, mal weniger eifrig darum kümmern. Im Fall der Bäume an
       den Straßen hat die rot-rot-grüne Koalition zuletzt den „Pflegesatz“
       deutlich erhöht, damit die Bezirke sie auch in Dürrephasen einigermaßen
       versorgen können.
       
       Jenseits von Straßen und Parks gibt es dagegen kein Geld vom Land.
       Bewässert werden die allermeisten dieser Bäume mit dem ganz normalen
       Trinkwasser, das die Berliner Wasserbetriebe (BWB) aus Tiefbrunnen an die
       Oberfläche holen und aufbereiten.
       
       Dabei ginge es viel einfacher, denn es fällt ja Regen auf Berlin – und ein
       beträchtlicher Teil davon auf Dächer. Dieser Teil wird von nachhaltig
       denkenden Menschen in den Einfamilienhaus-Siedlungen am Stadtrand vielfach
       aufgefangen und später zum Gießen verwendet.
       
       Aber überall dort, wo Mehrfamilienhäuser dominieren, rauscht der
       Niederschlag in die Kanalisation und anschließend – bestenfalls – direkt in
       die Oberflächengewässer. Handelt es sich um die alte Mischkanalisation der
       Berliner Innenstadt, vermischt sich der Regen mit dem Abwasser aus Küche,
       Klo und Bad und nimmt dann den Weg zum Klärwerk. Schlechtestenfalls – bei
       Starkregen – läuft das stinkende Gebräu in den Kanal oder den Fluss über.
       
       ## Regen für urbane Verdunstungskühle
       
       Die Wasserbetriebe bauen seit Jahren unterirdische Zwischenspeicher und
       Wehre für dieses schmutzige Mischwasser, um diesen worst case abzumildern.
       Eigentlich aber ist es das erklärte Ziel des Berliner Senats, den kostbaren
       Regen gar nicht so weit kommen zu lassen. Auch um in wärmer werdenden
       Zeiten für urbane Verdunstungskühle zu sorgen, soll das Wasser, das vom
       Himmel fällt, durch Entsiegelung, die Anlage von Gründächern oder den Bau
       von Speichern zurückgehalten werden.
       
       „Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung“ heißt das, und die
       Koalitionsvereinbarung von 2016 macht eine klare Ansage: „Die Koalition
       wird die Gebäude- und Grundstücksflächen, von denen Regenwasser direkt in
       die Mischwasserkanalisation eingeleitet wird, jährlich um 1 Prozent
       reduzieren.“
       
       Tatsächlich gründete das Land Berlin 2018 sogar eine „Regenwasseragentur“
       und stattete sie mit einem jährlichen Etat von 900.000 Euro aus, um
       Gebäudeeigentümer und Bauherrinnen in dieser Hinsicht zu beraten. Aber
       bislang liegt das 1-Prozent-Ziel in weiter Ferne: Die aktuellen Maßnahmen
       seien dafür „nicht ausreichend“, räumt ein Sprecher der
       Senatsumweltverwaltung ein, und überhaupt sei „die genannte Zielstellung
       vor dem Hintergrund der bereits sehr dichten und weiterhin zunehmenden
       Bebauung“ im innerstädtischen Bereich „als ambitioniert zu bewerten“.
       
       Die Hoffnung will man in der Umweltverwaltung natürlich nicht aufgeben:
       „Vor dem Hintergrund, dass Planungs- und Bauvorhaben routinemäßig mehrere
       Jahre umfassen“, sei ein Erreichen des einen Prozents in den ersten Jahren
       des Transformationsprozesses auch gar nicht zu erwarten.
       
       Dafür seien aber schon „strategische Weichenstellungen in Wasserwirtschaft
       und Städtebau“ erfolgt, wie strengere Auflagen für die Regenentwässerung im
       Neubau. Auch liefen mehrere Forschungsvorhaben, die die Potenziale der
       sogenannten „Abkopplung“ von Regenwasser aus dem Kanalisationssystem
       untersuchten.
       
       ## 226,5 Millionen Euro Niederschlagswasserentgelt
       
       Genau beziffern lässt sich die bisherige „Abkopplung“ offenbar nicht – wenn
       es denn überhaupt eine gegeben hat. „Es wurden Flächen entsiegelt, aber es
       sind auch Flächen hinzugekommen“, so der Sprecher der Berliner
       Wasserbetriebe, Stephan Natz, in Bezug auf ganz Berlin, also auch die
       äußeren Ortsteile, die nicht am Mischwassersystem hängen.
       
       Ablesen lässt sich die Stagnation auch an einem Betrag: 226,5 Millionen
       Euro betrug 2020 das sogenannte Niederschlagswasserentgelt. Alle privaten
       und öffentlichen Grundstückseigner müssen es an die Wasserbetriebe für die
       „Entsorgung“ des Regenwassers entrichten, das auf die von ihnen versiegelte
       Fläche fällt. Gezahlt wird pro Quadratmeter, rund 1,80 Euro werden jeweils
       fällig. Diese Einnahmen sind in den vergangenen Jahren nicht etwa gefallen,
       sondern sogar leicht gestiegen.
       
       Gerlinde Schermer ist eine der Sprecherinnen des Berliner Wassertischs, der
       Initiative, die sich einst gründete, um die Rekommunalisierung der
       teilprivatisierten Wasserbetriebe einzufordern. Was 2012 auch geschah – nur
       dass die Mechanismen zur Gewinnmaximierung nach Ansicht der Initiative bis
       heute unangetastet blieben. „Damit die BWB diese Gewinne an den
       Landeshaushalt abführen“, so Schermer. Tatsächlich überwiesen die
       Wasserbetriebe dem Land für das vergangene Jahr die erkleckliche Summe von
       194 Millionen Euro.
       
       Schermer, die in den 1990ern für die SPD im Abgeordnetenhaus saß, findet es
       vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, dass die rot-rot-grüne
       Koalition in Bezug auf „Abkopplung“ des Regenwassers und Entsiegelung
       „alles vernachlässigt“ hat. „Auch die Senatskanzlei hat sich nicht weiter
       gekümmert, und dem Finanzsenator geht es nur darum, Geld für den
       Landeshaushalt zu generieren. Alle Parteien machen mit!“, lautet ihr
       enttäuschtes Fazit.
       
       ## Regenwasser gleich abfangen
       
       Einer, der sich – auch für den Wassertisch – ausführliche Gedanken über den
       Zusammenhang von Niederschlägen und urbanem Grün gemacht hat, ist Hermann
       Wollner. Der Agrarökonom, Jahrgang 1941, hat vor zwei Jahren eine Schrift
       mit dem Titel „Klimaresiliente integrale urbane Gehölz- und
       Regenwasserwirtschaft – kommunale Aufgabe für die Großstadt Berlin“
       veröffentlicht.
       
       Im Kern besteht seine Idee darin, das Regenwasser von rund 6 Millionen
       Quadratmeter innenstädtischer Dachfläche durch „Regenweichen“ gleich an den
       Traufrohren abzufangen und in dezentralen Zisternen zwischenzuspeichern.
       Aus diesen könne dann gezielt das private und das öffentliche Stadtgrün
       gegossen werden, das Problem der Mischwasserüberläufe erledige sich
       ebenfalls.
       
       „In Frankreich und Belgien wird das schon in vielen Städten praktiziert“,
       sagt Wollner, „dort heißt es ‚jardin de pluie‘ oder ‚bocage urbain‘.“ Nach
       seiner Berechnung bräuchte es im Bereich der Berliner
       Mischwasserkanalisation 1.500 bis 2.500 „Regen-zu-Baum-Quartiersprojekte“,
       die von angestellten „Regen-Rangern“ betreut würden. Die Kosten dafür
       veranschlagt er mit jährlich 6–7 Millionen Euro, was auch noch günstiger
       sei als das derzeitige Abflussmanagement des Niederschlagswassers.
       
       Wollner hat sein Konzept schon mehreren Abgeordneten und Stellen in der
       Berliner Verwaltung vorgestellt oder wenigstens zukommen lassen. Die
       ParlamentarierInnen hätten sich zumindest zurückgemeldet, von der
       Umweltverwaltung sowie den Wasserbetrieben hingegen habe er „noch nicht
       einmal eine Einladung zum Gespräch mit einem Referenten“ erhalten. Wollner:
       „Das Konzept ‚Regen zu Baum‘ ist offenbar zu sozial-partizipativ gedacht.“
       
       Auch Sigrid Warns wünscht sich, dass das Thema so bald wie möglich von der
       Politik aufgegriffen wird. Sie fordert einen runden Tisch, an dem
       Wohnungsbaugesellschaften, Wasserbetriebe, die Senatsverwaltungen für
       Stadtentwicklung und die für Umwelt, aber auch Vertreter der Bezirke und
       des Abgeordnetenhauses sowie Spezialisten für Wasser- und Landschaftsbau
       sitzen sollen.
       
       „Wir müssen gemeinsam Lösungen für den Erhalt einer lebenswerten und grünen
       Stadt finden“, sagt Warns. „Mit Sonntagsreden und einer Blockadehaltung
       gegen klimagerechte Maßnahmen kommen wir keinen Schritt weiter.“ Für sie
       geht es längst nicht mehr nur um das Aufdrehen von ein paar
       Außenwasserhähnen – sie sucht MitstreiterInnen, die sich für den Erhalt der
       Berliner Stadtbäume engagieren.
       
       *Name geändert
       
       20 Jul 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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