# taz.de -- Begegnung mit einem Wutbürger: Im Disput mit Doktor Querdenk
       
       > Wer in eine verbotene Coronaleugner-Demonstration wie am Sonntag in
       > Berlin gerät, sollte sich auf erleuchtete Argumente gefasst machen.
       
       Am Sonntag hatte ich erneut eine Begegnung der gespenstischen Art. Erst
       kürzlich war ich vor dem Impfzentrum im Flughafen Tempelhof in einen
       Autokorso von Coronaleugnern aus der Provinz geraten, die mit ihren
       Lautsprechern die Hauptstadt beschallten: „Merkel aufs Schafott, Spahn aufs
       Schafott, Söder aufs …“
       
       Jetzt war ich nach einem Radausflug durch Berlin im Tiergarten angelangt.
       Was lag da näher, als sich im beliebten Biergarten am Neuen See mit einem
       passenden Radler zu stärken? Allerdings förderten der im Himmel über der
       Siegessäule kreisende Hubschrauber und die mit Sirenengeheul die Straße des
       17. Juni entlangjagenden Polizeiwannen nicht gerade die sommerliche
       Bierlaune. Denn rund um den Großen Stern hatten sich sogenannte Querdenker
       zusammengerottet.
       
       Darunter auch der ehemalige Fußballnationalspieler Thomas Berthold, der
       sich immer stärker darum bemüht, mit seinen irren Angriffen auf die
       Coronapolitik die letzten Reste seiner Reputation zu verspielen. Wenn sich
       Abwehrspieler in den gegnerischen Strafraum verirren, geht es selten gut
       aus. Wer querdenkt, denkt auch an und vor, nur nicht nach, spotteten wir
       schon vor mehr als dreißig Jahren, als Berthold gerade Weltmeister wurde.
       
       An der Siegessäule kam es nun zum Fahrradstau. Die Polizei hatte die
       Kreuzung gesperrt, weil Coronaleugner sich gorillagleich auf die Brust
       trommelten und die Uniformierten herausforderten, die sich einige der
       Aufgeblasenen herausgriffen und ins Polizeireservat abtransportierten.
       
       Neben mir tauchte plötzlich ein Mann mittleren Alters auf, eher schmal und
       schmächtig, vom Typus alternativer Heilpraktiker im Wutbürgermodus.
       Fanatisch schrie er: „Faschismus, Faschismus …“ Da war es wieder, das
       Endlösungswort jeder deutschen Demo und Diskussion. Wenn nicht mehr
       weiterargumentiert wird, fällt todsicher das F-Wort. Wobei von Faschismus
       mit seinen mörderischen Konsequenzen hierzulande derzeit selbstverständlich
       keine Rede sein kann. Es wird der Tag kommen, dann werden auf einer Demo
       Nazis das Wort „Faschismus“ skandieren.
       
       Entschieden entgegnete ich dem Schreihals: „Schwachsinn!“ Was den Schwaben
       völlig in Rage versetzte: „Schämen Sie sich!“, überschlug sich seine
       Stimme. „Corona-Schwachkopf!“, konstatierte ich. Was ihn restlos aus der
       Fassung brachte: „Was haben Sie denn in Ihrem Leben erreicht? Ich habe
       promoviert!“
       
       Du lieber Himmel über Berlin! Diese unendliche Frustration, gepaart mit
       maßlosem Zorn, diese Selbstüberschätzung, jemanden am Wegesrand mit einem
       Doktortitel beeindrucken zu wollen. Ich lachte herzhaft auf: „Wer hat Sie
       denn zur Promotion angenommen?“ Er machte einen Schritt auf mich zu.
       „Abstand halten, Schwachkopf!“, mahnte ich und zog demonstrativ meine
       schwarze Maske an. Endlich löste sich der Fahrradstau auf, und ich ließ
       Doktor Querdenk entgeistert zurück. Aus seinen Augen schoss der pure Hass.
       
       3 Aug 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Ringel
       
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