# taz.de -- Vormarsch der afghanischen Taliban: Weitere Städte erobert
       
       > Inzwischen kontrollieren die militanten Islamisten schon sechs
       > Provinzhauptstädte. Regierungstruppen versuchen Kundus zurückzuerobern.
       
 (IMG) Bild: Eine afghanische Familie ergreift am Sonntag die Flucht vor Kämpfen im westafganischen Herat
       
       BERLIN taz | Die afghanischen Taliban haben am Montag zwei weitere
       Provinzhauptstädte eingenommen. Sar-i Pul in der gleichnamigen Nordprovinz
       ist nach mehr als einwöchigem Widerstand von Armee und Polizei gefallen,
       teilte der Provinzratschef Mohammed Noor Rahamani laut AFP am Montag mit.
       Regierungskräfte hätten sich aus der Provinz zurückgezogen, lokale Milizen
       sich kampflos ergeben.
       
       Zuvor hatte die afghanische Nachrichtenseite [1][Tolo News] berichtet, die
       Taliban hätten dort den Gouverneurssitz, das Polizeihauptquartier und das
       Büro des Geheimdienstes eingenommen.
       
       Am Montag meldeten Agenturen, dass auch Aibak, die Hauptstadt der
       nördlichen Provinz Samangan, von den Taliban kampflos eingenommen worden
       sei. Die Regierungstruppen seien geflohen. Dort wie in Sar-i Pul leben vor
       allem ethnische Usbeken und Tadschiken.
       
       Damit haben die Taliban in vier Tagen sechs von 34 Provinzhauptstädten
       eingenommen. Am Freitag hatten sie [2][Sarandsch] (Provinz Nimrus), am
       Samstag Schebgerghan (Dschuzdschan) und am Sonntag [3][Kundus] (Kundus) und
       Talokan (Takhar) erobert.
       
       Kundus ist mit 370.000 Einwohnern davon die größte und strategisch wie
       symbolisch wichtigste Stadt. Den früheren Bundeswehrstandort hatten die
       Taliban schon 2015 und 2016 jeweils für wenige Stunden eingenommen. Damals
       halfen vor allem US-Spezialtruppen samt ihrer Bomber bei der Rückeroberung.
       
       Jetzt halten Regierungstruppen noch den außerhalb gelegenen Flughafen und
       eine ebenfalls außerhalb gelegene Kaserne. Seit Montag versuchen sie
       offenbar eine Rückeroberung, wie andauernde heftige Schusswechsel
       nahelegen. Es ist mit vielen Opfern und weiteren Zerstörungen der Stadt zu
       rechnen.
       
       Der BBC berichtete ein Bewohner aus Kundus, die Taliban hätten sich auf
       einen Angriff vorbereitet, in dem sie Löcher in die Wände von
       Nachbarhäusern schlugen, um zwischen ihnen hin- und herwechseln zu können,
       ohne die Straße nutzen zu müssen. Viele Bewohner versuchen aus der Stadt zu
       fliehen.
       
       Mehrfach machten Lokalpolitiker ausbleibende Unterstützung aus Kabul für
       Niederlagen verantwortlich. So berichtete die Provinzrätin Machboba Rahmat
       der dpa aus Aibak, dortige Sicherheitskräfte hätten das
       Verteidigungsministerium um Luftangriffe gebeten, aber dieses habe nicht
       auf sie gehört. „Sie dachten, wenn die Regierung ihnen keine Aufmerksamkeit
       schenkt, werden sie ihr Leben nicht für die Regierung riskieren“, so
       Rahmat. Stammesälteste handelten Aibaks Übergabe aus.
       
       ## Ein panischer Zusammenbruch?
       
       Auch durch Propaganda und Versprechen gelingt es den Taliban immer wieder,
       Regierungskräfte zur Kapitulation zu bewegen. Statt eines geordneten
       strategischen Rückzugs erwecken diese dann eher den Eindruck eines
       panischen Zusammenbruchs.
       
       Umkämpft ist weiterhin Lashkar Gah, Hauptstadt der Südprovinz Helmand. Hier
       hält die Armee laut Tolo News noch zwei Distrikte. US-amerikanische und
       afghanische Flugzeuge bombardierten dort am Wochenende Taliban-Stellungen,
       trafen aber laut [4][Tolo News] auch eine Schule und ein Krankenhaus. 20
       Zivilisten starben. Schon seit einem Monat belagern die Taliban
       Afghanistans zweitgrößte Stadt Kandahar.
       
       Laut UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sind allein im Juli mehr als
       tausend Menschen durch Kämpfe in den Provinzen Helmand, Kandahar und Herat
       getötet oder verletzt worden. Nach Angaben des Kinderhilfswerk Unicef
       starben in den letzten 72 Stunden in nur drei Provinzen 27 Kinder bei
       Kämpfen, 136 seien verletzt worden.
       
       9 Aug 2021
       
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