# taz.de -- Mediengesetz in Polen: Der Staat geht auf den Sender
       
       > Es könnte das Aus des regierungskritischen Fernsehsenders TVN24 sein:
       > Polen verabschiedet ein Gesetz, das die Pressefreiheit extrem
       > einschränkt.
       
 (IMG) Bild: Protest in Lodz am 10. August 2021
       
       Einen solchen Tumult im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, hat Polen
       schon lange nicht mehr gesehen. Der private Nachrichtensender TVN24, den es
       nach dem Willen der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und
       Gerechtigkeit (PiS) schon bald nicht mehr geben soll, übertrug alles live.
       „Schande! Schämt euch!“, riefen Abgeordnete der liberalkonservativen und
       linken Opposition, als die PiS eine verlorene Abstimmung einfach
       annullieren ließ. Angeblich habe es einen Formfehler gegeben. Nach knapp
       zwei Stunden und einer weiteren Abstimmung fiel das Ergebnis zur
       Zufriedenheit der PiS aus: [1][Das neue Mediengesetz erhielt die Mehrheit.]
       Drei Abgeordnete der rechten Opposition hatten sich kaufen lassen. Die
       wutentbrannte Verachtung der Abgeordnetenkollegen und -kolleginnen ließen
       sie stoisch über sich ergehen.
       
       Solche Szenen wird es in Zukunft wahrscheinlich öfter geben, denn an der
       umstrittenen Novelle des Rundfunk- und Fernsehgesetzes ist die
       [2][bisherige Regierungskoalition „Vereinte Rechte“ zerbrochen]. Dadurch
       verlor die PiS die bisher absolute Mehrheit im Sejm und muss nun bei jeder
       Abstimmung von Neuem nach Unterstützern suchen. Die Kleinpartei
       Porozumienie (Verständigung), die 2015 gemeinsam mit der PiS auf einer
       Liste in den Sejm eingezogen war, verließ nach sechs Jahren die Koalition
       aus Protest gegen das Mediengesetz. Die Begründung: Das „Lex TVN“ soll kein
       allgemeingültiges Recht schaffen, sondern richtet sich gegen einen einzigen
       Fernsehsender. Dadurch, so der Porozuminie-Chef Jarosław Gowin, gerate
       nicht nur die Medienpluralität in Polen in Gefahr, sondern auch die bisher
       guten polnisch-amerikanischen Beziehungen.
       
       Der PiS war der unabhängige und regierungskritische Sender TVN mit mehreren
       Kanälen schon länger ein Dorn im Auge. Es wurden investigative Sendungen
       über Skandale und Korruption in der Regierung – und auch in der PiS –
       ausgestrahlt. Vergleichbares gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen in
       Polen nicht.
       
       Die Gesetzesnovelle beschränkt nun das Eigentum ausländischer
       Medienkonzerne, die nicht dem europäischen Wirtschaftsraum angehören – also
       allen Ländern außer den EU-Ländern, der Schweiz, Norwegen, Liechtenstein
       und Island – auf 49 Prozent.
       
       ## „Das ist das Fernsehen, das die Obrigkeit will“
       
       Der US-amerikanische Konzern Discovery, dem TVN gehört, müsste demnach 51
       Prozent seiner Anteile verkaufen, sollte die „Lex TVN“ tatsächlich in Kraft
       treten. Ziel der PiS ist es, TVN24 nach dem Vorbild des ehemaligen
       öffentlich-rechtlichen Rundfunks TVP in eine Regierungspropagandaschleuder
       zu verwandeln oder aber als „Sender ohne Sendelizenz“ einfach zu schließen.
       
       Die Gesetzesnovelle, die der Sejm am Mittwoch kurz vor Mitternacht mit
       besagten Stimmen einiger Oppositioneller aus dem rechten Lager
       verabschiedete, muss nun noch den Senat passieren, die zweite Kammer des
       polnischen Parlaments. Sollte der Senat Änderungsvorschläge haben oder das
       Gesetzesprojekt in Gänze verwerfen, muss es erneut in den Sejm und von dort
       aus zu Präsident Andrzej Duda, dessen Unterschrift zur Verabschiedung nötig
       ist.
       
       „Man könnte eine Preisliste der käuflichen PolitikerInnen aushängen“, sagt
       am nächsten Morgen ein älterer Mann im Zeitungskiosk an der Warschauer
       Metrostation Pole Mokotowskie. „Also ‚Abgeordneter XY für dreimal Ja –
       10.000 Zloty‘ beispielsweise und ‚Abgeordnete Z für einen ganzen
       Abstimmungsblock – einen Job für die Tochter im Aufsichtsrat einen
       Staatsunternehmens‘.“
       
       Eine etwa dreißigjährige Frau im Sommermantel nickt ihm zu und hält dann
       das Boulevardblatt Fakt in die Höhe. Auf der Titelseite „Das ist das
       Fernsehen, das die Obrigkeit will“ sind sechs Fernseher zu sehen, wie sie
       in der kommunistischen Zeit in Polen produziert wurden. Auf allen Kanälen
       wird nur ein Programm ausgestrahlt – Jarosław Kaczyński redet, der
       PiS-Parteichef, stellvertretender Premier und Minister für Sicherheit in
       Polen. „So weit sind wir nun wieder gekommen!“, seufzt die junge Frau: „Ich
       kann es kaum glauben!“
       
       ## Keine Absichten gegen konkrete Sender
       
       Scharfe Kritik kommt aus Washington. Auf Twitter schreibt der
       US-amerikanische Außenminister Antony J. Blinken, dass das Gesetzesprojekt,
       das der Sejm bereits verabschiedet habe, die Medienlandschaft in Polen
       beschädigen werde. „Freie und unabhängige Medien stärken unsere
       Demokratien. Sie sind fundamental für unsere bilateralen Beziehungen.“
       Blinken verweist auch auf das bisher gute polnisch-amerikanische
       Investitionsverhältnis, das durch das Gesetz enormen Schaden nehmen würde.
       Dann fordert er die polnische Regierung auf, „die von uns geteilten
       Prinzipien nicht nur in Worten zu bekennen, sondern auch in Taten für sie
       einzustehen“.
       
       Nur wenige Stunden später weist Polens Premierminister Mateusz Morawicki
       von der PiS die Vorwürfe aus den USA zurück, und zwar mit dem seltsamen
       Satz: „Ich habe schon oft erklärt, dass es keine Absichten gegenüber einem
       konkreten Fernsehsender gibt. Wir wollen lediglich unsere Vorschriften
       schärfer formulieren, sodass Firmen von außerhalb der EU sich nicht völlig
       frei Medien in Polen kaufen können.“
       
       Der Haken an seiner Aussage: TVN ist der einzige Sender in Polen, der einer
       „Firma von außerhalb der EU“ gehört. Weder Russland, China noch Kolumbien
       betreiben in Polen Fernsehsender. „Ernstzunehmende Staaten haben reale
       Instrumente“, so Morawiecki auf seiner Pressekonferenz in Warschau, „um
       eine Genehmigung zu erteilen oder auch nicht. Die bisherigen Vorschriften
       waren durchlässig.“
       
       In der Gesetzesnovelle, die auf der Internetseite des Sejms nachzulesen
       ist, steht aber nichts von „Genehmigungen für Firmen von außerhalb der EU“.
       Solche Genehmigungen sind zum Beispiel auch in Deutschland in Regelungen
       vorgesehen, auf die PiS-Politiker auch immer wieder gern verweisen. Hier
       aber wird eine Vorschrift, die es Discovery 2015 erlaubte, den
       Fernsehsender TVN über eine Holding in den Niederlanden zu erwerben, mit
       einem neuen Satz enger gefasst: „Die im europäischen Wirtschaftsraum
       registrierten Unternehmen dürfen nicht einem Besitzer außerhalb der
       dazugehörenden Staaten gehören.“ Es gibt nur einen einzigen Sender, auf den
       diese Vorschrift zutreffen würde: TVN.
       
       ## Einschnitt in die Medienfreiheit
       
       Morawiecki hätte Blinken beruhigen und auf die Verlängerung der Sendelizenz
       für den beliebten Nachrichtenkanal TVN24 um weitere zehn Jahre verweisen
       können. Doch zu dem Thema sagt er kein Wort, und das aus gutem Grund: Die
       von der PiS dominierte Rundfunkbehörde KRRiT hat zwar den Antrag auf
       Verlängerung der TVN24-Sendelizenz seit Februar 2020 vorliegen, doch bisher
       nichts entschieden. In Wahrheit hat die PiS den Sender somit im
       Zangengriff: Die Gesetzesnovelle würde Discovery zum Verkauf von 51 Prozent
       zwingen und das Ende von TVN bedeuten, ebenso wie das Auslaufen der
       Sendelizenz. Ohne eine Entscheidung der KRRiT kann Discovery nicht einmal
       gegen die Behörde klagen.
       
       „Unter dem Vorwand, fremde Propaganda in Polen verhindern zu wollen,
       versucht die PiS, die Medienfreiheit in Polen einzuschränken“, sagt
       Katarzyna Issat, die TVN-Pressesprecherin, bitter. „Unsere Journalisten und
       Journalistinnen nehmen ihre Aufgabe sehr ernst, als ‚vierte Gewalt im
       Staate‘ den Regierenden genau auf die Finger zu gucken. Keiner Partei
       gefällt Kritik, das ist jedoch die Aufgabe freier Medien, nicht aber
       Regierungspropaganda.“
       
       12 Aug 2021
       
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