# taz.de -- Nach 40 Jahren Aids: Eine neue Option
       
       > Prep schützt gegen HIV. Obwohl Jens Spahn die Pille auf Druck
       > demokratisiert hat, bestehen Hürden – besonders seit Corona.
       
 (IMG) Bild: Kleine Pille, große Wirkung: die Prep
       
       Martin Viehweger wirkt für gewöhnlich wie ein ruhiger, besonnener Mensch.
       Doch in den letzten Monaten erlebte er in seiner Praxis etwas, das ihn
       aufzuregen scheint: „Zu uns kamen Menschen, die Schwierigkeiten hatten, von
       ihren vorigen Ärzt:innen Prep verschrieben zu bekommen“, erzählt der
       junge Arzt, der gemeinsam mit Elena Rodríguez seit Oktober 2020 die
       [1][ViRo Praxis in Berlin-Neukölln] betreibt. „Das finde ich hoch
       besorgniserregend“, sagt er, „wenn ärztliche Personen die Versorgung mit
       Prep verweigern – mit dem Argument, man dürfte während der Pandemie keinen
       Sex haben – und könne deshalb eine Pause mit der Prep einlegen.“
       
       Aber noch mal einen Schritt zurück: Prep, was ist das eigentlich? Prep
       steht kurz für Präexpositionsprophylaxe: eine prophylaktische Arznei, die,
       bei täglicher Einnahme, vorbeugend verhindern soll, dass man sich mit dem
       HI-Virus infiziert. Prep besteht aus zwei von drei Bestandteilen eines
       Medikaments, das auch HIV-positive Menschen nehmen würden – um zu
       verhindern, dass Aids bei ihnen ausbricht.
       
       Mittlerweile ist durch Studien sehr gut belegt, dass die Prep tatsächlich
       vor einer HIV-Infektion schützt. So gut, dass die Kosten für die Prep seit
       September 2019 auch in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen
       übernommen werden – bei Menschen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko.
       Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte sich [2][persönlich bei
       den Kassen dafür eingesetzt, die rund 50 Euro pro Patient pro Monat zu
       bezahlen]. Der Dank der queeren Community hält sich in Grenzen. Vergangene
       Woche schrieb der Lesben- und Schwulenverband: „Spahn lobt […] seine
       gesundheitspolitischen Errungenschaften für die LSBTI Community. Die
       wenigen Errungenschaften, die es tatsächlich gab, waren jedoch nur auf
       massiven Druck der Zivilgesellschaft möglich.“
       
       Doch immerhin: Prep ist für viele Menschen nunmehr eine Option. Bis 2017
       kostete das Präparat (da das Patent des Originalherstellers noch nicht
       abgelaufen war) mehr als 800 Euro pro Monat, was den illegalen
       (Internet-)Markt beflügelte. Mittlerweile gibt es seriöse ärztliche
       Begleitung.
       
       ## Ärzt:innen sind oft nicht neutral
       
       Doch nicht jede:r Ärzt:in darf die Prep verschreiben. Nur wer
       Infektiolog:in ist oder Erfahrung in der Behandlung von
       HIV-Patient:innen vorweisen kann. Aber selbst dort treffen Menschen, die
       die Prep nehmen wollen, immer wieder auf Unverständnis.
       
       „Manche Menschen wissen nicht, wo sie hingehen sollen“, sagt Martin
       Viehweger, „weil sie sich vorverurteilt fühlen von ärztlichen Personen.
       Obwohl die eigentlich neutral sein sollen. Aber das sind sie ganz oft
       nicht. Vor allem, wenn es um Sexualität und Identität geht. Und um
       schambesetzte Themen.“
       
       Die Prep wird vor allem empfohlen bei Männern, die kondomlosen Sex mit
       Männern haben. Und bei Sexarbeitenden. „Man kann denen nicht sagen, zuhause
       zu bleiben. Die haben ja einen Job. Und die Nachfrage nach Bareback-Sex,
       also kondomlosem Sex, ist hoch“, sagt Martin Viehweger. „Und man bekommt
       dafür einen höheren Stundenlohn. Mit Prep können sie sich dabei schützen.“
       
       Der Haken an der Sache: Prep schützt tatsächlich „nur“ vor HIV, jenem
       Virus, das, 1981, vor genau 40 Jahren, erstmals entdeckt, die Aids-Pandemie
       auslöste. Gegen andere sexuell übertragbare Krankheiten (Syphilis etwa,
       Hepatitis und Gonokokken) bringt die Prep nichts – weshalb
       Prep-Skeptiker:innen anmahnen, durch die Verbreitung von Prep könnten
       andere sexuell übertragbare Krankheiten (wieder) zunehmen.
       
       ## Kein falsches Sicherheitsgefühl
       
       Martin Viehweger sieht es differenziert: „Die meisten, die die Prep nehmen,
       kriegen mit, dass sie häufiger andere Geschlechtskrankheiten (STDs) haben.
       Es gibt da kein falsches Sicherheitsgefühl.“ Sowieso sind Prep-User:innen
       dazu verpflichtet, neben ihren Nierenwerten (die die Prep verschlechtern
       kann) auch alle drei bis sechs Monate Tests auf andere STDs machen zu
       lassen – was dazu führt, dass diese bei ihnen oft früher erkannt werden.
       
       Zumal man weiß, dass sich viele Menschen, die es nicht „müssen“, seit
       Corona deutlich weniger auf STDs testen lassen. „Die Prep allein macht ja
       nicht andere Geschlechtskrankheiten“, sagt Viehweger. „Es geht eher um die
       sexuelle Kultur, die sich liberalisiert – vielleicht mit häufiger
       wechselnden Sexualpartner:innen. Oder vielleicht auch in anderen
       riskanteren Situationen. Wenn ich drei, vier regelmäßige Fuck-Buddys habe,
       erhöht das das Risiko auf STDs womöglich deutlich weniger, als wenn ich auf
       eine Chem-Sex-Session gehe und dort mit vielen Menschen Sex habe.“
       
       Da die ViRo Praxis von Martin Viehweger und Elena Rodríguez, die etwa ein
       Drittel Prep-Patient:innen hat, auch auf trans Menschen spezialisiert ist,
       haben sie natürlich auch Männer mit Vagina als Patienten. Da gilt es zu
       beachten, dass die Schleimhäute einer Vagina länger brauchen als Penis oder
       Anus, bis sie die Prep in schützendem Maße aufgenommen haben. Ein (von den
       Herstellern ohnehin nicht empfohlener) Einsatz „on demand“, also spontan
       vor Tagen mit Sex, wird da abermals schwieriger.
       
       Auch kommen in die ViRo Praxis immer wieder Menschen ohne
       Krankenversicherung. Dann arbeiten Viehweger und Rodrígez gemeinsam mit
       gemeinnützigen Organisationen wie dem [3][Checkpoint am Neuköllner
       Hermannplatz] oder auch mal mit der Stadtmission – um die Kosten für die
       Patient:innen niedrig zu halten.
       
       „Hier geht es um Public-Health-Fragen“, sagt Martin Viehweger. „Im Grunde
       wie bei [4][Impfungen]: Wir impfen Menschen, die gesund sind, um sie zu
       schützen und die Gesellschaft zu schützen. Und das ist die gleiche Frage,
       mit der wir an Prep rangehen.“
       
       31 Jul 2021
       
       ## LINKS
       
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